Entscheidungsstichwort (Thema)

Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit

 

Leitsatz (NV)

Soll auf den Einspruch des Steuerpflichtigen hin ein Einkommensteuerbescheid geändert werden (hier für 1979), ändert der Sachbearbeiter beim FA jedoch versehentlich den Einkommensteuerbescheid für den folgenden Veranlagungszeitraum (1980), so kann dieser Änderungsbescheid wegen offenbarer Unrichtigkeit berichtigt werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit an Hand des Bescheids und der ihm vorliegenden Unterlagen erkennen konnte oder nicht.

 

Normenkette

AO 1977 § 124 Abs. 1, §§ 129, 172 Abs. 1 Nr. 2, § 173 Abs. 1 Nr. 1; VwVfG § 42

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hatte die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) für das Streitjahr 1979 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) zur Einkommensteuer veranlagt. Dabei hatte das FA im Bescheid vom 14. Juli 1980 den von den Klägern erklärten Werbungskostenüberschuß aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 4 827 DM (darin enthalten erhöhte Absetzungen gemäß § 7b des Einkommensteuergesetzes - EStG - von 6 316 DM) angesetzt. Durch Bescheid vom 28. April 1982 änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für 1979 nach § 164 Abs. 2 AO 1977 unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung und berücksichtigte nunmehr einen Werbungskostenüberschuß aus Vermietung und Verpachtung vom 381 DM. Ebenfalls durch Bescheid vom 28. April 1982 änderte es den Einkommensteuerbescheid für 1980 hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, wobei es statt bisher ./. 2 315 DM nunmehr 2 131 DM ansetzte. Die Anlage zum Einkommensteuerbescheid für 1980 enthielt folgende Erläuterung: ,,Die Absetzungen für Abnutzung gemäß § 7b EStG für das Grundstück . . . waren 1978 letztmalig zu gewähren. Die Restwert-Absetzungen betragen 2,5 % von 74 807 DM = 1 870 DM."

Der Einkommensteuerbescheid für 1979 vom 28. April 1982 wurde bestandskräftig. Gegen den Einkommensteuerbescheid für 1980 legte der Kläger Einspruch ein. Am 20. Juli 1982 fertigte der Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle einen Aktenvermerk, daß die auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gestützte Änderung der Steuerfestsetzung für 1980 aufzuheben sei. Ebenfalls am 20. Juli 1982 wies der Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle eine Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1979 an, wobei er den Werbungskostenüberschuß aus Vermietung und Verpachtung mit dem ursprünglichen Betrag von 4 827 DM ansetzte. Der zuständige Sachgebietsleiter zeichnete den Eingabebogen am 21. Juli 1982. Auf einen Prüfhinweis des Rechenzentrums vom 27. Juli 1982 vermerkte der Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle, daß eine Korrektur des Einkommensteuerbescheids für 1979 nicht erforderlich sei. Der am 24. August 1982 zur Post gegebene Änderungsbescheid für 1979 enthielt den Hinweis: ,,Der Bescheid ist nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert."

Am 5. Mai 1983 erließ das FA einen gemäß § 129 AO 1977 berichtigten Einkommensteuerbescheid für 1979, in dem es den Werbungskostenüberschuß aus Vermietung und Verpachtung mit 281 DM ansetzte. Während des Einspruchsverfahrens gegen diesen Bescheid erließ das FA am 20. Juni 1983 einen Teiländerungsbescheid für 1979, in dem es den Werbungskostenüberschuß aus Vermietung und Verpachtung mit 381 DM ansetzte. Den Einspruch wies das FA als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Es führt im wesentlichen aus, zwar liege im Streitfall ein mechanisches Versehen i.S. von § 129 Satz 1 AO 1977 vor. Wie sich aus dem Aktenvermerk des Sachbearbeiters der Rechtsbehelfsstelle vom 20. Juli 1982 ergebe, habe die Änderung der Steuerfestsetzung für das auf das Streitjahr folgende Kalenderjahr aufgehoben werden sollen. Wenn der Sachbearbeiter unter demselben Datum eine Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1979 verfügt habe, anstatt den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für 1980 zu ändern, liege hierin ein Versehen im Sinne eines Verwechselns der beiden Jahre. Der Berichtigung stehe jedoch entgegen, daß die Unrichtigkeit im Sinne eines mechanischen Versehens jedenfalls für die Kläger weder aus dem Inhalt des Steuerbescheids noch bei Heranziehung ihrer Steuererklärung und sonstigen Unterlagen offenbar gewesen sei.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 129 AO 1977. Das FG habe den Begriff ,,offenbar" zu Unrecht auf die Maßgeblichkeit der Empfängersicht bezogen. Im übrigen habe auch für die Kläger die Änderung des Einkommensteuerbescheids 1979 als offenbar falsch erkennbar sein müssen; denn sie hätten die ursprüngliche Kürzung des Werbungskostenüberschusses aus Vermietung und Verpachtung als zutreffend anerkannt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt unter Aufhebung der Vorentscheidung zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Vorentscheidung verletzt § 129 Satz 1 AO 1977. Nach dieser Vorschrift kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Die Vorschrift entspricht hinsichtlich des Begriffs der ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit dem früheren § 92 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO). Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Fehler, die ebenso mechanisch, d.h. ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden können, wie z. B. Übertragungsfehler. Sie können auch in einem unbeabsichtigten unrichtigen Ausfüllen des Eingabebogens oder in einem Irrtum über den tatsächlichen Programmablauf oder in der Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisungen bestehen. Eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 ist ausgeschlossen, wenn die nicht nur theoretische Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder bei der Anwendung einer Rechtsnorm besteht. Ob ein mechanisches Versehen, ein Irrtum über den Programmablauf oder ein die Berichtigung nach § 129 AO 1977 ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muß nach den Verhältnissen des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juni 1986 IX R 52/82, BFHE 147, 393, BStBl II 1987, 3, m.w.N.).

Zutreffend hat das FG die Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1979 nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 als mechanisches Versehen beurteilt. Die Möglichkeit eines Rechtsirrtums oder einer unrichtigen Tatsachenwürdigung war nach dem festgestellten Geschehensablauf ausgeschlossen. Nach dem Aktenvermerk vom 20. Juli 1982 sollte der auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gestützte Einkommensteuerbescheid für 1980 aufgehoben werden, weil die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vorlagen. Am selben Tag verfügte der Sachbearbeiter die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids für 1979, nicht aber die des Einkommensteuerbescheids für 1980. Dies kann insbesondere im Hinblick darauf, daß er als Rechtsgrundlage für die Änderung § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 angab, nur als unabsichtliche Verwechslung der beiden Jahre angesehen werden; denn nach dieser Vorschrift kommt eine Änderung unanfechtbarer Steuerbescheide zugunsten des Steuerpflichtigen nicht in Betracht. Anhaltspunkte dafür, daß das mechanische Versehen des Sachbearbeiters dem zuständigen Sachgebietsleiter nicht zugerechnet werden könnte, sind nicht gegeben. Im Streitfall erscheint auch ausgeschlossen, daß der Sachbearbeiter, als er den Fall aufgrund der Hinweismitteilung überprüfte, zu einer neuen Willensbildung für die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 1979 gelangte (vgl. hierzu BFH-Urteile in BFHE 147, 393, BStBl II 1987, 3, und vom 18. April 1986 VI R 4/83, BFHE 146, 350, BStBl II 1986, 541). Da sich die Hinweismitteilung auf die Steuernummer bezog, muß davon ausgegangen werden, daß der Sachbearbeiter sich über den Grund der Änderung keine Gedanken mehr gemacht hat. Die ursprüngliche Verwechslung blieb für den Erlaß des Änderungsbescheids für 1979 kausal.

Zu Unrecht hat das FG die Voraussetzungen für die Berichtigung für nicht gegeben erachtet, weil das Versehen des FA für die Kläger im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Änderungsbescheids für 1979 nicht erkennbar war. Der Senat läßt offen, ob der Inhalt des Bescheids und die den Klägern bekannten Umstände diese Schlußfolgerung des FG als möglich erscheinen lassen; denn für die Zulässigkeit der Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO 1977 kommt es nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit anhand des Bescheids und der ihm vorliegenden Unterlagen erkennen konnte oder nicht. § 129 Satz 1 AO 1977 spricht im Unterschied zu § 92 Abs. 2 AO nicht nur von ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten, sondern ,,von ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufen sind". Der veränderte Wortlaut soll gewährleisten, daß für den Bereich der Finanzverwaltung offenbare Unrichtigkeiten nicht nur dann angenommen werden können, wenn sie aus dem Bescheid ohne weiteres zu ersehen sind. Der Gesetzgeber sah es vielmehr für das Besteuerungsverfahren als Massenverfahren für erforderlich an, ,,daß offenbare Unrichtigkeiten, die sich im Laufe der Entstehung des Verwaltungsaktes ergeben haben, berichtigt werden können, soweit der Fehler lediglich auf mechanische Versehen zurückzuführen und die Möglichkeit eines Rechtsirrtums ausgeschlossen ist" (Begründung des Finanzausschusses des Bundestags, BTDrucks 7/4292, 29). Bei der Auslegung des § 129 AO 1977 muß auch berücksichtigt werden, daß der Gesetzgeber eine von § 42 des Verwaltungsverfahrensgesetzes, der von offenbaren Unrichtigkeiten in einem Verwaltungsakt spricht, abweichende Formulierung gewählt hat (vgl. BFH-Urteil vom 8. April 1987 II R 236/84, BFHE 149, 413). Schließlich läßt sich auch aus § 124 Abs. 1 AO 1977 nicht herleiten, daß die offenbare Unrichtigkeit für den Empfänger aus dem Bescheid erkennbar sein muß (vgl. BFH-Urteil vom 31. März 1987 VIII R 46/83, BFHE 149, 478, BStBl II 1987, 588). Maßgebend ist, ob der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (vgl. Urteil des FG des Saarlandes vom 4. Dezember 1980 II 39/78, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1981, 267, bestätigt durch Urteil des BFH vom 11. Mai 1983 III R 36/81, nicht veröffentlicht, und Urteil des FG Berlin vom 9. September 1981 VI 464/80, EFG 1982, 330, bestätigt durch Beschluß des BFH vom 20. Dezember 1982 VI R 189/81 gemäß Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das mechanische Versehen durch Verwechslung der Jahre 1979 und 1980 tritt im Hinblick auf den Aktenvermerk vom 20. Juli 1982, die am selben Tag eingeleitete Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1979 mit dem Hinweis auf § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 und das Unterlassen der im Aktenvermerk niedergelegten Aufhebung des Einkommensteuerbescheids für 1980 klar zutage.

Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Das FA hat den Änderungsbescheid für 1979 vom 24. August 1982 zu Recht nach § 129 AO 1977 berichtigt. Die Klage war danach abzuweisen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1988, 277

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