Leitsatz (amtlich)

Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für die zweite Berufsausbildung eines Kindes nach Vollendung des 27. Lebensjahrs rechtfertigen in der Regel keine Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung, wenn das Kind bereits eine abgeschlossene, seinen Unterhalt sichernde Berufsausbildung hat und der erlernte Beruf auch ausgeübt werden könnte. Dabei ist es unerheblich, in welchem Umfang das Kind bereits öffentlich finanzierte Ausbildungsmöglichkeiten in Anspruch genommen hat.

 

Normenkette

EStG § 33a Abs. 1; LStDV § 25a Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) beantragte im Lohnsteuerermäßigungsverfahren 1969 u. a. die Berücksichtigung eines Freibetrags nach § 33a Abs. 2 Satz 1 EStG (§ 25a Abs. 2 Satz 1 LStDV) von 1 100 DM wegen der auswärtigen Unterbringung seines am 2. April 1941 geborenen Sohnes, der vom 1. Januar bis 30. November 1969 in Nürnberg Wirtschaftswissenschaften studierte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) wies den Antrag des Klägers auf Ergänzung der Lohnsteuerkarte mit Verfügung vom 8. Januar 1969 in diesem Punkt mit der Begründung zurück, daß der Sohn bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung als Steuerinspektor habe und deshalb die nach § 33a EStG erforderliche Zwangsläufigkeit der Aufwendungen des Klägers für das Studium seines Sohnes nicht vorliege.

Mit Verfügung vom 28. März 1969 setzte das FA den für 1969 gewährten Lohnsteuerfreibetrag von 11 632 DM mit Wirkung vom 1. April 1969 auf 10 532 DM herab, weil es auch die Voraussetzungen für die Gewährung eines Freibetrags nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EstG (§ 25a Abs. 1 Satz 1 LStDV) für den Unterhalt und die Berufsausbildung des Sohnes wegen fehlender Zwangsläufigkeit verneinte. Gegen beide Bescheide hatte der Kläger Einspruch eingelegt, die Rechtsbehelfe blieben erfolglos.

Die Klage hiergegen wurde abgewiesen; das FG ließ die Revision zu (§ 115 Abs. 1 Nr. 2 FGO).

Seine Entscheidung begründete das FG im wesentlichen wie folgt:

Nach § 35 Abs. 2 EStG, auf den § 33a ausdrücklich verweise, könnten nicht sämtliche auf rechtlicher, sittlicher oder tatsächlicher Verpflichtung beruhenden Aufwendungen des Klägers steuerlich berücksichtigt werden. Es müsse vielmehr hinzukommen, daß die Aufwendungen den Umständen nach notwendig seien und einen angemessenen Betrag nicht überstiegen. Der Kläger befände sich daher in einem Rechtsirrtum, wenn er sich darauf berufe, daß er nach bürgerlichem Recht (§ 1610 BGB) verpflichtet sei, seinem Sohn ein Hochschulstudium zu ermöglichen und daraus allein seinen Anspruch auf Bewilligung der Freibeträge herleite. Selbstverständlich könne der Kläger frei über die Berufsausbildung seiner Kinder entscheiden. Eine andere Frage sei aber die steuerliche Berücksichtigungsfähigkeit der mit der Berufswahl zusammenhängenden Kosten. Der BFH habe zwar in seinem Urteil vom 28. Februar 1964 VI 179/63 (HFR 1964, 415) ausgesprochen, daß die Eltern grundsätzlich selbst über die Ausbildung ihrer Kinder zu befinden hätten, dann aber ausgeführt, die Behörden müßten in ungewöhnlichen Fällen prüfen, ob die Aufwendungen noch als zwangsläufig anerkannt werden könnten, d. h., ob sie den Umständen nach notwendig seien und einen angemessenen Betrag nicht überstiegen. Der hier vorliegende Sachverhalt sei wohl mit dem des o. a. Urteils des BFH nicht zu vergleichen. Er sei aber in anderer Weise ungewöhnlich und als Ausnahmefall anzusehen. Die vom BFH vorgenommene Trennung zwischen Regel- und Ausnahmefällen beruhe offensichtlich auf der Überlegung, daß eine übermäßige Inanspruchnahme von Bildungsmöglichkeiten, die von der Allgemeinheit finanziert werden, nicht noch durch eine zusätzliche Steuerermäßigung begünstigt werden dürften. Die Ausbildung des Sohnes des Klägers zum Steuerinspektor hätte den Staat allein an Unterhaltszuschüssen mehr als 11 000 DM gekostet. Dieser Ausbildungsaufwand ließe sich nur mit der Bedeutung eines einsatzfähigen Beamten für das Allgemeinwohl rechtfertigen. Da der Sohn des Klägers aber nicht als Steuerinspektor tätig geworden sei, müßten die Ausbildungskosten des Staates als Fehlinvestition gewertet werden. Unabhängig von der moralischen Würdigung des Verhaltens des Sohnes des Klägers komme diesem aber im Rahmen der weiteren Ausbildungskosten auch eine rechtliche Bedeutung bei der Frage nach der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen des Klägers zu. Der Sohn habe im Anschluß an seine Ausbildung als Steuerinspektor in erheblichem Maße, nämlich durch ein achtsemestriges Studium erneut öffentliche und für den Staat sehr kostspielige Bildungseinrichtungen in Anspruch genommen, wobei noch die zunehmende Überfüllung der Hochschulen zu berücksichtigen sei. Da damit die Ausbildungsmöglichkeiten übermäßig in Anspruch genommen worden seien, habe das FA dem Kläger zu Recht die beantragten Freibeträge versagt.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung der § 33 Abs. 1 und § 33a Abs. 1 EStG. Er führt insbesondere aus, § 33 EStG stelle auf die Aufwendungen des Steuerpflichtigen und nicht auf die des Staates ab. Der Sohn sei während seiner Ausbildung zum Steuerinspektor Arbeitnehmer des Staates gewesen. Bei vergleichbaren Fällen in der Privatwirtschaft spreche man auch nicht von Fehlinvestitionen, wenn ein Abiturient nach abgeschlossener Lehre ein Hochschulstudium beginne. Es sei nicht ungewöhnlich, daß Studenten der Betriebswissenschaften zunächst eine Lehre absolvierten. Sein Sohn habe im übrigen bereits nach neun Semestern - also unter dem statistischen Durchschnitt - das Examen als Diplomkaufmann abgelegt. Das FG sei auch nicht berechtigt gewesen, die Aufwendungen der Höhe nach zu überprüfen; denn diese sei im Gesetz selbst objektiv festgelegt.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die für 1969 zu berücksichtigenden Freibeträge auf 12 732 DM festzusetzen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß die Aufwendungen des Klägers für die zweite Berufsausbildung seines Sohnes nicht zwangsläufig i. S. der §§ 33 Abs. 2, 33a Abs. 1 EStG waren. Nach der Definition in § 33 Abs. 2 EStG erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Für die Annahme der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen kann es also nur darauf ankommen, ob der Steuerpflichtige sie aufgrund einer Zwangslage in dem oben angeführten Sinn gemacht hat. Bei Aufwendungen für die Ausbildung eines Kindes ist es daher nicht von Bedeutung, ob dieses bei einer früheren Berufsausbildung von der Allgemeinheit finanzierte Ausbildungsmöglichkeiten in Anspruch genommen hat. Es kann der Vorentscheidung deshalb nicht gefolgt werden, wenn sie die fehlende Zwangsläufigkeit der Aufwendungen des Klägers und damit die mögliche steuerliche Berücksichtigung verneint, weil die Ausbildung des Sohnes zum Steuerinspektor mit öffentlichen Mitteln finanzlert wurde. Für diese Begründung der Entscheidung des FG ergibt sich auch nichts aus dem BFH-Urteil VI 179/63.

Die Entscheidung des FG entspricht jedoch aus anderen Gründen dem geltenden Recht. Wenn auch die Aufwendungen der Eltern für den Unterhalt und die Berufsausbildung ihrer Kinder im allgemeinen bei der Besteuerung nicht kritisch zu würdigen sind, so ist doch, insbesondere in Grenzfällen, bei der steuerlichen Berücksichtigung der Aufwendungen gleichwohl zu prüfen, ob diese noch zwangsläufig i. S. von §§ 33, 33a EStG sind. Eine Zwangsläufigkeit wurde z. B. verneint bei Unterhaltsaufwendungen für arbeitsfähige Kinder, die nicht in einer Berufsausbildung stehen (BFH-Urteil vom 13. Januar 1965 VI 85/64, StRK, Einkommensteuergesetz § 33 a, Rechtsspruch 81), und für Kinder, bei denen eine ernsthafte Berufsausbildung nicht mehr anzunehmen ist (BFH-Urteil VI 179/63). Die gleiche Beurteilung ist unter Umständen auch bei Ausbildungskosten für ein volljähriges Kind geboten, dem die Eltern eine zweite Berufsausbildung nach Abschluß der ersten zuteil werden lassen. Das muß insbesondere dann gelten, wenn - wie im Streitfall - die erste Berufsausbildung nicht Voraussetzung für die zweite ist. Diese steuerliche Würdigung der Berufsausbildung von Kindern, die das 27. Lebensjahr vollendet haben, hat der Gesetzgeber selbst durch die Bindung der steuerlichen Berücksichtigung der Ausbildungsaufwendungen an die Voraussetzungen der §§ 33, 33a EStG angeordnet. Insoweit kann also auch kein unzulässiges Eindringen in die persönlichen Verhältnisse der Steuerpflichtigen vorliegen. Nur bis zu der vom Gesetzgeber mit der Vollendung des 27. Lebensjahres gezogenen Grenze wird ein Kinderfreibetrag auf Antrag für Kinder gewährt, die überwiegend auf Kosten des Steuerpflichtigen unterhalten und für einen Beruf ausgebildet worden sind (§ 32 Abs. 2 Nr. 2 EStG), ohne daß weitere Überprüfungen durch die Verwaltung durchzuführen sind.

Eine rechtliche, sich aus § 1610 BGB ergebende Verpflichtung des Klägers zur Finanzierung des Studiums seines Sohnes konnte der Senat entgegen der Ansicht des Klägers nicht feststellen. Es ist zwar möglich, daß auch die Kosten für die zweite Berufsausbildung eines Kindes nach Vollendung des 27. Lebensjahres eine außergewöhnliche Belastung der Eltern darstellen können, aber nur dann, wenn die besonderen Verhältnisse dies rechtfertigen. Für einen solchen Ausnahmefall liegen hier aber keine Anhaltspunkte vor. Der Umstand, daß der Sohn des Klägers bereits eine abgeschlossene, seinen Unterhalt sichernde Berufsausbildung erhalten hat und er auch körperlich und geistig in der Lage ist, den bereits erlernten Beruf auszuüben, spricht vielmehr entscheidend gegen eine ausnahmsweise Anwendung des § 33a EStG.

Ob die Berufsausbildung des Sohnes des Klägers zum Steuerinspektor nach § 1610 BGB als angemessen angesehen werden kann, ist von den Finanzbehörden und auch von den FG nicht zu untersuchen, da dies ein tieferes Eindringen in die persönlichen Verhältnisse der Beteiligten erfordern würde. Das entspräche aber nicht den heutigen Anschauungen über das Verhältnis des Bürgers zum Staat; auch wären die Finanzbehörden damit überfordert (vgl. BFH-Urteil vom 16. August 1967 VI 170/65, BFHE 89, 447, BStBl III 1967, 700).

Im Ergebnis ist daher die Entscheidung des FG nicht zu beanstanden, mit der es die steuerliche Berücksichtigung der Aufwendungen des Klägers für das Studium seines Sohnes abgelehnt hat.

 

Fundstellen

BStBl II 1973, 478

BFHE 1973, 111

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