Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Anschaffung i.S.d. § 23 EStG, wenn Grundstückskaufvertrag vor Übergang des wirtschaftlichen Eigentums rückgängig gemacht wird

 

Leitsatz (NV)

Wird ein Grundstückskaufvertrag vor Übergang von Besitz, Nutzungen und Lasten auf den Käufer rückgängig gemacht, so liegt ein Anschaffungsgeschäft auch dann nicht vor, wenn der Verkäufer den Käufer am Mehrgewinn, den er aus einem erneuten Verkauf des Grundstücks erzielt, beteiligt.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 39, 174 Abs. 4; EStG § 23

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Alleinerbin der verstorbenen M.

Am 5. November 1971 schloß Frau M mit der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) einen Kaufvertrag über ein in X-Y gelegenes Forstgrundstück ab. Der Kaufpreis für das Grundstück betrug 5,40 DM pro qm zuzüglich des Werts des forstlichen Aufwuchses. Die Auflassung erfolgte am 20. April 1972. Besitz, Nutzungen und Lasten gingen am 5. November 1971 über. Im Kaufvertrag verpflichtete sich Frau M, innerhalb von drei Monaten nach Vertragsabschluß der Stadt X auf Verlangen ein Teilstück der erworbenen Fläche zum Preis von ebenfalls 5,40 DM pro qm zuzüglich Aufwuchsentschädigung zu verkaufen.

Bereits am 1. November 1971 hatte Frau M den Eheleuten D den größten Teil des Grundstücks zuzüglich Aufwuchsentschädigung verkauft. Im notariellen Kaufvertrag verpflichteten sich die Eheleute D, weitere . . . qm zum Preis von . . . DM zuzüglich Aufwuchsentschädigung zu kaufen, falls die Stadt X ihr im Vertrag vom 5. November 1971 vereinbartes Ankaufsrecht nicht ausüben sollte. Dieses restliche Grundstück kauften die Eheleute D mit Vertrag vom 29. Dezember 1972. An diesem Tag wurden auch die Auflassung erklärt und beurkundet und die Eintragung des Eigentumswechsels in das Grundbuch beantragt und bewilligt. Im Vertrag vom 1. November 1971 war vereinbart, daß Besitz, Nutzungen und Lasten an dem Tag übergehen sollten, an dem sie nach dem Vertrag vom 5. November 1971 auf Frau M übergingen. Vom Kaufpreis wurden am 1. November 1971 . . . DM gezahlt. Der verbleibende Betrag sollte aus dem Erlös einer Weiterveräußerung des erworbenen Grundbesitzes, spätestens aber in vier Jahresraten von je . . . DM zuzüglich Zinsen zu zahlen sein.

Bei Abschluß der vorbezeichneten Verträge gingen die Beteiligten einvernehmlich davon aus, daß es sich bei dem erworbenen Grundstück um Bauerwartungsland handele. Dieses sollte nach Aufstellung eines Bebauungsplans, die als kurz bevorstehend angesehen wurde, und Parzellierung durch die Eheleute D mit Gewinn wieder veräußert werden.

Infolge Eingemeindung der Gemeinde Y in die Stadt X konnte dieses Vorhaben nicht verwirklicht werden. Die Stadt X stellte erst im Oktober 1974 einen Bebauungsplan auf, in dem das Grundstück als zu öffentlichen Zwecken bestimmt ausgewiesen wurde. Im Zusammenhang damit machte die Stadt X am 19. September 1974 Frau M das Angebot, das Grundstück bis auf ein Trenngrundstück von ca. 500 qm zu einem Preis von 12 DM je qm zuzüglich Aufwuchsentschädigung zu erwerben. Frau M nahm dieses Angebot im Einvernehmen mit den Eheleuten D am 28. Oktober 1974 an. Der Kaufpreis wurde am 1. Februar 1975 gezahlt. Mit Rücksicht auf diese Entwicklung kamen Frau M und die Eheleute D schon im Jahre 1973 überein, die Verträge vom 1. November 1971 und vom 29. Dezember 1972 aufzuheben. Darüber wurde am 20. Dezember 1974 ein notarieller Vertrag abgeschlossen, in dem vereinbart wurde, daß von dem Erlös aus der Veräußerung des Grundstücks an die Stadt X ,,zunächst alle Unkosten abgesetzt werden . . . und daß der verbleibende Rest geteilt werden soll". Die ,,Unkosten" in Höhe von . . . DM, die sich aus dem im Vertrag vom 1. November 1971 vereinbarten Kaufpreis, den Nebenkosten sowie den von den Eheleuten D gezahlten Schuldzinsen zusammensetzten, wurden den Eheleuten D erstattet. Frau M erhielt . . . DM, die Eheleute D den verbleibenden Betrag.

Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) wertete diesen Sachverhalt zunächst wie folgt: Die von Frau M erworbene Forstfläche sei bis zur Veräußerung an die Stadt X im Jahre 1974 ein forstwirtschaftlicher Betrieb der Frau M gewesen. Durch die Veräußerung sei ein nach §§ 14, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu versteuernder Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft entstanden. Das FA erließ einen entsprechenden Einkommensteuer-Änderungsbescheid für 1974, der zu einer Mehrsteuer von . . . DM führte. Dagegen erhob die Klägerin Klage mit der Begründung, das Grundstück habe zum Privatvermögen der Erblasserin gehört. Mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 22. Juni 1981 gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit der Begründung statt, das Grundstück sei kein land- und forstwirtschaftliches Betriebsvermögen gewesen und Frau M habe zumindest 1973 kein wirtschaftliches Eigentum am Grundstück gehabt. Ob ein Spekulationsgewinn angefallen sei, ließ das FG dahingestellt, da dieser nicht 1974, sondern 1975 entstanden wäre.

Im Anschluß daran änderte das FA den schon bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 1975 gemäß § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO 1977). Es unterwarf den Veräußerungsgewinn als Spekulationsgewinn i.S. des § 23 EStG der Einkommensteuer, wodurch sich gegenüber dem Erstbescheid 1975 eine Mehrsteuer von . . . DM ergab.

Das FG gab der Klage mit dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 391 veröffentlichten Urteil teilweise statt. Es ging mit dem FA davon aus, daß 1975 ein steuerpflichtiger Spekulationsgewinn erzielt worden sei. Aufgrund der Vereinbarung mit den Eheleuten D hätte Frau M das aufgrund des Kaufvertrags vom Dezember 1972 auf die Eheleute D übergegangene wirtschaftliche Eigentum von diesen wieder zurückerworben. Die Veräußerung an die Stadt X sei schon vorher, nämlich im Oktober 1974 erfolgt, so daß der Veräußerungsgewinn nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu versteuern sei. Nachdem im Klageverfahren betreffend den Veranlagungszeitraum 1974 entschieden worden sei, daß die veräußerten Flächen kein forstwirtschaftliches Betriebsvermögen der Frau M gewesen seien, habe das FA seine danach unrichtige frühere Beurteilung des Sachverhalts durch dessen Erfassung als Spekulationsgewinn in 1975 ändern und den Steuerbescheid 1975 gemäß § 174 Abs. 4 AO 1977 berichtigen können. Aus dem Sinn und Zweck des § 174 Abs. 4 AO 1977 in Verbindung mit dem Verböserungsverbot ergebe sich jedoch, daß der Steuerbescheid 1975 nur in dem Umfang hätte geändert werden dürfen, in dem aufgrund des Urteils betreffend den Veranlagungszeitraum 1974 eine steuerliche Entlastung eingetreten sei. Die Änderung des Steuerbescheids 1975 hätte daher nur zu einer Mehrsteuer von . . . DM führen dürfen, um den sich die Einkommensteuer 1974 aufgrund des Urteils des FG vom 22. Juni 1981 gemindert habe.

Gegen das Urteil des FG haben die Klägerin und das FA Revision eingelegt.

Die Klägerin rügt Verletzung des § 174 Abs. 4 AO 1977, des § 39 AO 1977 und des § 23 EStG. Sie macht insbesondere geltend, das FG habe den Begriff ,,bestimmter Sachverhalt" in § 174 Abs. 4 AO 1977 fehlerhaft ausgelegt. Auch die Voraussetzungen des § 23 EStG seien nicht erfüllt. Das wirtschaftliche Eigentum sei nicht auf die Eheleute D übergegangen und habe folglich auch nicht zurückerworben werden können.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG und den geänderten Steuerbescheid 1975 aufzuheben und die Revision des FA zurückzuweisen.

Das FA beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Revision der Klägerin zurückzuweisen. Hilfsweise beantragt das FA Aufhebung des FG-Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

Unter Hinweis auf den Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 6. Dezember 1979 IV B 56/79 (BFHE 130, 1, BStBl II 1980, 314) ist das FA, das sich im übrigen der Auffassung des FG zur Frage des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums anschließt, insbesondere der Auffassung, in die steuerliche Beurteilung des streitigen Veräußerungsvorgangs müsse auch der vorangegangene Kaufvertrag mit den Eheleuten D und dessen Aufhebung einbezogen werden. § 174 Abs. 4 AO 1977 enthalte kein Verböserungsverbot. Eine Lückenausfüllung, wie sie das FG vornehme, sei unzulässig. Zur Begründung des Hilfsantrags macht das FA nunmehr geltend, das Grundstück sei notwendiges Betriebsvermögen eines forstwirtschaftlichen Betriebs der Eheleute M gewesen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision der Klägerin ist begründet.

Es bedarf keiner Erörterung, ob die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 174 Abs. 4 AO 1977 erfüllt sind. Denn die Revisionsrüge des Verstoßes gegen materielles Recht greift durch. Das Urteil des FG verletzt § 23 EStG.

Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, Frau M habe mit dem Vertrag vom 20. Dezember 1974 das wirtschaftliche Eigentum an dem Grundstück erworben. Am 20. Dezember 1974 war Frau M noch bürgerlich-rechtliche Eigentümerin des Grundstücks. Der festgestellte Sachverhalt läßt nicht den Schluß zu, wirtschaftliche Eigentümer seien zu diesem Zeitpunkt die Eheleute D gewesen. Richtig ist zwar, daß nach dem Kaufvertrag vom 1. November 1971, auf den das FG Bezug genommen hat, Besitz, Nutzungen und Lasten an dem Tag, da diese nach dem Vertrag zwischen Frau M und der Bundesrepublik auf Frau M übergingen, von Frau M auf die Eheleute D übergehen sollten. Nach den Ausführungen des FA in dessen Schriftsatz vom 20. August 1982, auf den das FG Bezug genommen hat, ist jedoch in tatsächlicher Hinsicht davon auszugehen, daß die Eheleute D das Grundstück nicht in Besitz genommen hatten und daß die Holznutzungen, soweit sie anfielen, noch von Frau M bzw. deren Ehemann gezogen wurden. Dieser tatsächliche Geschehensablauf entsprach auch der Interessenlage der Eheleute D, die das Grundstück ausschließlich in der Absicht gekauft hatten, es nach Aufstellung des Bebauungsplans und Ausweis als Bauland zu parzellieren und alsbald zu veräußern. Auch der Umstand, daß ein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Eigentumsübertragung bestand und der größte Teil des Kaufpreises bereits gezahlt war, begründet nicht wirtschaftliches Eigentum der Eheleute D. Nach der Rechtsprechung des BFH geht bei Grundstücken das wirtschaftliche Eigentum in der Regel über, sobald Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten auf den Erwerber übergegangen sind. Der Abschluß eines notariellen Kaufvertrags und auch die Zahlung eines Teils des Kaufpreises führen noch nicht zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums (BFH-Urteil vom 2. Mai 1984 VIII R 276/81, BFHE 141, 498, 502 f., BStBl II 1984, 820, 822). Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des FA nicht aus dem BFH-Urteil vom 14. November 1974 IV R 3/70 (BFHE 114, 22, BStBl II 1975, 281). Im Falle des Urteils in BFHE 114, 22, BStBl II 1975, 281 ging es um die Frage, ob ein Mieter als wirtschaftlicher Eigentümer des gemieteten Grundstücks anzusehen sei. Der BFH kam insbesondere in Würdigung des Umstandes, daß das Grundstück nach dem Tode der Vermieterin ohne weitere Gegenleistung auf den Mieter übergehen sollte, zu dem Ergebnis, es handele sich nicht um einen Mietvertrag, sondern um einen verdeckten Kaufvertrag. Anders als im Falle des Urteils in BFHE 114, 22, BStBl II 1975, 281 kann im vorliegenden Fall gerade nicht davon ausgegangen werden, daß die Eheleute D das Grundstück in Besitz genommen und genutzt hatten. Auch die Vereinbarung über die Aufteilung des Veräußerungserlöses zwischen Frau M und den Eheleuten D belegt nicht, daß diese zum Zeitpunkt der Vereinbarung wirtschaftliche Eigentümer waren. Das Grundstück hatte - wie sich aus dem Vertrag zwischen Frau M und der Stadt X ergibt - in der Zeit nach seinem Erwerb durch Frau M eine beträchtliche Wertsteigerung erfahren. Vom Gesamterlös aus dem Vertrag mit der Stadt X gingen allerdings . . . DM an die Eheleute D. Davon entfielen jedoch . . . DM auf die Rückzahlung des von den Eheleuten D bereits entrichteten Teils des Kaufpreises, der mit dem von Frau M an die Bundesrepublik gezahlten Betrag übereinstimmt. Die eigentliche Wertsteigerung ist hingegen überwiegend (62,6 v.H.) Frau M zugute gekommen. Daß der verbleibende Teil der Wertsteigerung den Eheleuten D zugute gekommen ist, kann unter diesen Umständen nicht als Beleg für deren wirtschaftliches Eigentum gewertet werden, sondern nur dafür, daß Frau M die sich ihr bietende Gelegenheit, nunmehr das Grundstück zu einem noch höheren Preis zu veräußern, nur bei gleichzeitiger Erstattung sämtlicher den Eheleuten D entstandenen Aufwendungen und zusätzlicher Auskehrung eines Anteils am ,,Gewinn" wahrnehmen konnte.

Da somit Frau M das Grundstück nicht am 20. Dezember 1974 angeschafft hat, ist der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht erfüllt. Das FG-Urteil, der Einspruchsbescheid des FA und der geänderte Steuerbescheid 1975 waren daher aufzuheben.

II. Die Revision des FA ist unbegründet. Ein Spekulationsgewinn im Veranlagungszeitraum 1975 ist nicht entstanden. Es kann daher auch nicht zu der vom FA begehrten höheren Steuerfestsetzung kommen. Wenn das FA nunmehr geltend macht, das Grundstück sei Betriebsvermögen eines (gemeinschaftlichen) Betriebs der Eheleute M gewesen, so handelt es sich dabei um neues tatsächliches Vorbringen, mit dem es, da in bezug auf die mindestens stillschweigend erfolgte Feststellung des FG, das Grundstück habe zum Privatvermögen der Frau M gehört, zulässige und begründete Verfahrensrügen nicht vorgebracht worden sind, gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der Revision nicht mehr gehört werden kann.

III. Die Sache ist spruchreif. Die Einkommensteuer 1975 wird entsprechend dem gemäß § 175 Nr. 1 AO 1977 geänderten Einkommensteuerbescheid 1975 auf . . . DM festgesetzt.

 

Fundstellen

BFH/NV 1987, 428

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