Leitsatz (amtlich)
Eine beruflich veranlaßte doppelte Haushaltsführung ist auch dann anzuerkennen, wenn ein Ausländer in die Bundesrepublik zum Zwecke der Arbeitsaufnahme einreist und hier auch Arbeit findet, er zur Vermeidung einer Abschiebung aber wahrheitswidrig, im Ergebnis aber erfolglos in einem Asylverfahren behauptet, politisch verfolgt zu sein.
Normenkette
EStG 1977 i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Entwicklungsländer-Steuergesetzes und des Einkommensteuergesetzes vom 21. Mai 1979 § 9 Abs. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist, ob Mehraufwendungen des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) für doppelte Haushaltsführung im Streitjahr 1978 beruflich veranlaßt waren.
Der Kläger ist Jordanier. Seine Familie (Ehefrau und drei Kinder) wohnten zu Beginn des Streitjahres in Jordanien. Seine Ehefrau verstarb am 10. Juni 1978. Seine Kinder blieben weiterhin in der bisherigen Wohnung. Der Bruder des Klägers sorgt seitdem für die Kinder.
Der Kläger reiste mit einem am 23. Juli 1970 ausgestellten und bis zum 23. Juli 1975 gültigen Paß am 3. Mai 1974 aus Jordanien aus. Über den Flughafen Berlin-Schönefeld gelangte er über Berlin (West) nach Frankfurt am Main. Am 20. Mai 1974 beantragte er bei der dortigen Polizei eine Aufenthaltserlaubnis. Er gab an, Zweck des Aufenthaltes sei es, hier zu arbeiten. Mit Schriftsatz vom 29. Mai 1974 begehrte er Asyl und Duldung (Aussetzung der Abschiebung). Am 19. Juni 1974 gab er bei der Polizei- und Ordnungsbehörde an, lediglich zur Arbeitsaufnahme in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) eingereist zu sein. Die Behörde versagte die Aufenthaltsgenehmigung, gewährte aber gleichzeitig Duldung. Die Duldung wurde in der Folgezeit mehrfach verlängert. Im Streitjahr 1978 unternahm der Kläger eine Familienheimfahrt nach Jordanien.
Für dieses Streitjahr macht er im Lohnsteuer-Jahresausgleich Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung geltend. Die Aufwendungen wurden vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) nicht anerkannt. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Der Kläger erhob daraufhin Klage beim Finanzgericht (FG). Dieses zog die Akten und Entscheidungen der Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte (VG) bezüglich des Asylverfahrens bei. Danach war der Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter durch Bescheid des Bundesamtes für Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. Januar 1976 abgelehnt worden. Der Widerspruch wurde durch Bescheid derselben Behörde vom 19. Mai 1976 zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene Klage war ohne erfolg. Die Berufung gegen das Urteil des VG wurde durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) im Februar 1980 zurückgewiesen.
Das FG gab der Klage statt. Es führte u. a. aus: Der Kläger könne die durch die doppelte Haushaltsführung verursachten Mehraufwendungen als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehen, weil die Entstehung der doppelten Haushaltsführung beruflich veranlaßt gewesen sei. Aus den Umständen, unter denen er im Jahre 1974 Jordanien verlassen und in der Bundesrepublik einen Wohnsitz begründet habe, sei zu entnehmen, daß dies in der Absicht geschehen sei, hier einen Arbeitsplatz zu finden und daraus Einkünfte zu erzielen. Die Behauptung des Klägers im Asylverfahren, er sei politisch verfolgt worden, sei offensichtlich vorgeschoben gewesen. Dies rechtfertige den Schluß, daß der Kläger lediglich die Arbeitserlaubnis für die Dauer des Asylverfahrens habe sicherstellen wollen.
Gegen die Entscheidung legte das FA Revision ein. Es rügt die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere die fehlerhafte Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Es führt im einzelnen aus:
Dadurch, daß der Kläger eine nicht bestehende politische Verfolgung in seiner Heimat im Asylverfahren behauptet habe, habe er die Behörden der Bundesrepublik bewußt getäuscht und die Situation eines Asylbewerbers für sich rechtsmißbräuchlich ausgenutzt. Denn die zuständigen Behörden müßten jedem Asylbewerber, der schlüssig vortrage, politisch verfolgt zu sein, bis zum Abschluß des Asylverfahrens, das sich oft über Jahre erstrecke, zunächst vertrauen und vorläufig davon ausgehen, daß der Asylbewerber in seiner Heimat tatsächlich politisch verfolgt werde. Der Asylbewerber verschaffe sich so gegenüber redlich handelnden Ausländern aus Staaten, die nicht der Europäischen Gemeinschaft (EG) angehörten und denen der Aufenthalt im Inland zum Zwecke der Arbeitsaufnahme versagt werde, einen erheblichen Vorteil, der insbesondere in der Arbeitsaufnahme im Inland bestehen könne. Es wäre widersinnig, Personen, die unter Umgehung gesetzlicher Vorschriften in den Genuß von Vorteilen gekommen seien, die Möglichkeit zu geben, gegenüber verschiedenen inländischen Behörden wahlweise einmal durch Angabe wahrer Gründe für ihren Aufenthalt im Inland und ein anderes Mal durch die Angabe frei erfundener Motive Vorteile für sich mit Erfolg in Anspruch zu nehmen. Das widerspreche dem Sinn und Zweck der im Grundgesetz (GG) verbürgten Rechtsschutzgarantie. Um solchen Mißbräuchen begegnen zu können, sei es im Streitfall erforderlich, den Grundsatz von Treu und Glauben weit auszulegen und den Staat mit seinen unterschiedlichen Behörden als Einheit anzusehen. Entsprechend dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Februar 1965 V 37/63 U (BFHE 82, 67, BStBl III 1965, 270) müsse der Kläger daher den durch die Beantragung und Begründung seines Asylantrages gegenüber dem Staat hervorgerufenen Schein, politisch Verfolgter zu sein, unabhängig vom Ausgang seines Asylverfahrens steuerlich gegen sich gelten lassen. Daher sei im Streitfall davon auszugehen, daß nicht die Arbeitsaufnahme im Inland, sondern die behauptete politische Verfolgung in erster Linie Anlaß für die Begründung seiner doppelten Haushaltsführung gewesen sei.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet; denn das FG konnte ohne Rechtsverstoß den Sachverhalt dahin würdigen, daß die dem Kläger entstandenen Kosten der doppelten Haushaltsführung beruflich veranlaßt waren.
Nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr 1978 maßgebenden Fassung sind Werbungskosten auch die notwendigen Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlaß begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird. Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Orts, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt.
Das FG hat den Sachverhalt unter Berücksichtigung aller Umstände des Streitfalles dahin gewürdigt, daß die doppelte Haushaltsführung des Klägers aus beruflichem Anlaß begründet worden ist. Der Senat ist an diese Feststellung gebunden, da das FA hiergegen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht hat (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Das FA bestreitet nicht, daß das FG zu dem Ergebnis kommen konnte, der Kläger sei im Jahre 1974 deshalb in die Bundesrepublik gekommen, um hier Arbeit zu finden. Es stützt die Revision darauf, daß der Kläger sich gegenüber den Behörden widersprüchlich verhalten und durch wahrheitswidriges Vorschieben von Asylgründen die Möglichkeiten des Asylverfahrensrechts mißbräuchlich für sich ausgenutzt habe und daß es ihm auf diese Weise gelungen sei, hier einen Arbeitsplatz zu finden. Von einem solchen Rechtsmißbrauch geht auch das FG aus. Es konnte jedoch ohne Rechtsverstoß annehmen, daß durch diese Verhaltensweise des Klägers die Voraussetzungen für den Werbungskostenabzug, nämlich der Nachweis beruflicher Gründe für die Entstehung der doppelten Haushaltsführung, nicht in Frage gestellt wird. Mit dem Asylverfahren verfolgte der Kläger gerade das Ziel, während der unter Umständen langen Dauer des Verfahrens nicht sofort als Ausländer abgeschoben zu werden, sondern in der Bundesrepublik arbeiten zu können.
Es kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob entsprechend dem Urteil in BFHE 82, 67, BStBl III 1965, 270 eine andere rechtliche Beurteilung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben und dem aus ihm folgenden Verbot des "venire contra factum proprium" Platz greifen könnte, wenn der Kläger durch wahrheitswidriges Vorbringen tatsächlich seine Anerkennung als politischer Flüchtling erreicht hätte, was hier gerade nicht der Fall war. Der Kläger handelte im Rahmen des Lohnsteuer-Jahresausgleichs 1978 jedenfalls insoweit nicht rechtsmißbräuchlich, sondern konsequent und in Übereinstimmung mit den ihm gegenüber ergangenen abschlägigen Bescheiden der Verwaltungsbehörden und VG, wenn er sich nun bei der Geltendmachung von Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung als Werbungskosten auf den - nach den Feststellungen des FG - wirklichen Grund für seine Einreise in die Bundesrepublik berief, nämlich das Bestreben, hier Arbeit zu finden und Geld zu verdienen.
Wie das FG zu Recht hervorgehoben hat, hat der Kläger trotz Ablehnung seines Asylantrags zwar zwischenzeitlich staatliche Vergünstigungen in Anspruch nehmen können. So ist es ihm insbesondere gelungen, die Aussetzung der Abschiebung zu erreichen und auf diese Weise in der Bundesrepublik zumindest so lange arbeiten zu können, als das Asylverfahren noch nicht abgeschlossen war. Die Erschleichung dieses Vorteils kann aber nicht zu einer Versagung des begehrten Werbungskostenabzugs führen. Denn wenn der Fiskus das Arbeitsverhältnis trotz dieses rechtsmißbräuchlichen Verhaltens steuerlich anerkennt, der Arbeitgeber deshalb von dem Verdienst des Klägers Lohnsteuer einbehält und an das FA abführt, dann kann der Abzug von Werbungskosten, die durch das Arbeitsverhältnis veranlaßt sind, in der Regel nicht im Hinblick auf diesen Rechtsmißbrauch verwehrt werden. Es kommt hinzu, daß sich die Erschleichung von Arbeitsmöglichkeiten und der begehrte Abzug von Werbungskosten wegen doppelter Haushaltsführung inhaltlich nicht in gleicher Weise widersprechen wie die Anerkennung eines Ausländers als Asylant wegen politischer Verfolgung einerseits und die Bejahung einer aus beruflichem Anlaß erfolgten Einreise in die Bundesrepublik und einer hierdurch beruflich entstandenen doppelten Haushaltsführung andererseits.
Der Senat tritt dem FG auch darin bei, daß es nicht Aufgabe der Finanzverwaltung und der Steuergerichte sein kann, Mißbräuche im Asylrecht zu ahnden.
Fundstellen
Haufe-Index 74911 |
BStBl II 1984, 271 |
BFHE 1984, 87 |