Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung von Kartoffellieferungen im Rahmen von Vermehrungsverträgen.
Normenkette
UStG § 1 Ziff. 1; UStDB § 2 Abs. 3; UStG § 3/2; UStDB § 10; UStG § 10/1, § 4 Ziff. 4, § 4 Ziff. 19
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige - Stpfl. -), eine Saatzuchtgenossenschaft, läßt von ihr gezüchtete Kartoffelsorten in fremden landwirtschaftlichen Betrieben vermehren. Die Rechtsbeziehungen zwischen ihr und den Landwirten (Vermehrern) sind in einem Vermehrungsvertrag (VV) festgelegt. In ihm ist auch bestimmt, daß sich die Stpfl. zur Wahrnehmung ihrer Rechte und zur Erfüllung ihrer Pflichten einer Vermehrungsorganisationsfirma (VO-Firma) bedienen kann.
Die Stpfl. verkauft den Vermehrern Pflanzkartoffeln ihrer Kartoffelzüchtungen gegen Bezahlung. Gleichzeitig verpflichtet sich der Vermehrer, die aus den Pflanzkartoffeln gewonnene Ernte - im folgenden Erntekartoffeln - an die Stpfl. zu liefern. Außerdem wird vereinbart, daß der Vermehrer mit Genehmigung der Stpfl. Erntekartoffeln auch in der eigenen Landwirtschaft verwenden oder sie veräußern kann (Abschn. 1, 2 Ziff. 2, 4 VV).
In den Regelfällen werden die Lieferungen der Erntekartoffeln im Wege eines Reihengeschäfts - Vermehrer / VO-Firma / Stpfl. / Endabnehmer - ausgeführt. Die Stpfl. beansprucht für die Lieferungen der Erntekartoffeln Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 4 UStG.
Streitig ist für den Veranlagungszeitraum 1959 die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung folgender über die VO-Firma abgewickelter Sonderfälle:
Fall 1: Ein Vermehrer verwendet Erntekartoffeln als Pflanzgut im eigenen Betrieb, nachdem die VO-Firma, der der Vermehrer angeschlossen ist, hierfür die Zustimmung der Stpfl. eingeholt hat.
Fall 2: Die VO-Firma stellt Erntekartoffeln eines ihr angeschlossenen Vermehrers einem anderen ihr angeschlossenen Landwirt unmittelbar zur Verfügung, nachdem sie ebenfalls die entsprechende Zustimmung der Stpfl. erhalten hat.
Fall 3: Die VO-Firma liefert mit Zustimmung der Stpfl. Erntekartoffeln eines ihr angeschlossenen Vermehrers an einen anderen ihr nicht angeschlossenen Landwirt.
In allen drei Fällen erteilt dann die VO-Firma der Stpfl. eine Rechnung über Sorte und Menge und die Stpfl. stellt darauf der VO- Firma dieselbe Ware zu einem höheren Preis in Gegenrechnung. Der Unterschiedsbetrag (im folgenden kurz: "Züchteranteil") wird durch Zahlung der VO-Firma ausgeglichen oder im laufenden Geschäftsverkehr zwischen dieser und der Stpfl. verrechnet. In den Fällen 2 und 3 werden die Erntekartoffeln vom Vermehrer unmittelbar an den von der VO-Firma genannten Endabnehmer versandt.
Die Stpfl. vertritt die Auffassung, sie habe in allen 3 Fällen die Erntekartoffeln von der VO-Firma erworben und an diese zur Weiterveräußerung zurückgeliefert. Die Erntekartoffeln seien wie in den Regelfällen im Rahmen eines Reihengeschäfts im Sinne von § 2 Abs. 3 UStDB geliefert worden. Diese Zwischenlieferung sei nach § 4 Ziff. 4 UStG steuerfrei.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA -) verneinte bei der Veranlagung für 1959 ein Reihengeschäft unter Beteiligung der Stpfl. Das FA ging davon aus, daß die Stpfl. dem Vermehrer oder der VO-Firma die eigene Verwendung oder Veräußerung der Erntekartoffeln gestatte und für diese Genehmigung, die eine sonstige Leistung im Sinne von § 1 Ziff. 1 UStG darstelle, ein Entgelt erhalten habe, das in dem "Züchteranteil" bestehe. Demzufolge hat das FA die nach § 4 Ziff. 4 UStG steuerfrei erklärten Großhandelsumsätze gemindert und die zu 4 v. H. steuerpflichtigen Umsätze um die "Züchteranteile" erhöht.
Die Sprungberufung (jetzt Sprungklage - § 45 Abs. 1 FGO) hatte keinen Erfolg.
Mit der Rb., die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist (§§ 184 Abs. 2, 115 ff. FGO), macht die Stpfl. geltend: Finanzgericht (FG) und FA hätten zu Unrecht ein Reihengeschäft, an dem die Stpfl. beteiligt sei, verneint. Auch verstoße es gegen Treu und Glauben, daß das FA für 1959 - im Gegensatz zu früheren Jahren - in den streitigen Fällen eine Zwischenlieferung abgelehnt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Neufestsetzung der Umsatzsteuer.
Nach der Rechtsprechung des RFH (Urteil V 156/38 vom 9. Februar 1940, RFH 48, 208, RStBl 1940, 478) und des BFH (Urteil V 208/58 U vom 14. Dezember 1961, BFH 74, 300, BStBl III 1962, 113) sind Vermehrungsverträge als Verträge eigener Art anzusehen. Der Senat ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten dieser Verträge der Auffassung, daß umsatzsteuerrechtlich eine Lieferung des Pflanzguts vom Züchter an den Vermehrer sowie eine Lieferung des Ernteguts vom Vermehrer an den Züchter vorliegt, nicht aber eine sonstige Leistung anzunehmen ist, wenn die Geschäfte tatsächlich den Vermehrungsverträgen entsprechend abgewickelt werden. FG und FA haben deshalb zu Unrecht in der Genehmigung eine sonstige Leistung gesehen.
Eine Zustimmungs-, Freigabe- oder Verzichtserklärung kann nur in besonderen Fällen als wirtschaftlich erheblicher Vorgang beurteilt werden (vgl. RFH-Urteil V A 488/36 vom 2. Juli 1937, RStBl 1937, 999). Ein solcher Fall liegt aber hier nicht vor. Weder in dem bloßen Schriftwechsel zwischen der Stpfl. und der VO-Firma noch in der Genehmigungserklärung kann ein umsatzsteuerrechtlich erheblicher Anspruchsverzicht gesehen werden. Die Zahlung der "Züchteranteile" beruht nämlich unmittelbar auf dem Kaufvertrag über das Pflanzgut. Nach diesem Vertrag bestand die Gegenleistung des Käufers nicht nur in der Zahlung des Kaufpreises. Vielmehr war der Käufer auch verpflichtet, entweder die Erntekartoffeln an die Stpfl. zurückzuliefern oder nach Genehmigung der eigenen Verwertung den "Züchteranteil" zu zahlen. Im Falle der zweiten Alternative, der bei den strittigen Geschäften in Frage steht, ist deshalb der "Züchteranteil" nichts anderes als ein weiterer Aufwand des Käufers für den Bezug des Pflanzenguts (§ 10 UStDB). Die Lieferung dieser Ware ist aber nach § 4 Ziff. 4 bzw. § 4 Ziff. 19 UStG steuerfrei. Es kann also auch das zusätzliche Entgelt ("Züchteranteil") nicht als Bemessungsgrundlage einer Umsatzsteuer herangezogen werden.
Diese Vertragsauslegung bietet sich um so mehr an, als es nach einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise der strittigen Fälle nicht vertretbar wäre, diese anders als die Regelfälle zu beurteilen. Denn der Stpfl. kam es nur darauf an, den Lieferweg für die Kartoffeln abzukürzen. Eine solche Vertragsgestaltung kann aber nicht zu einer Umsatzsteuerbelastung landwirtschaftlicher Erzeugnisse führen, obwohl diese nach dem UStG vermieden werden soll.
Im übrigen wäre es rechtlich auch nicht abwegig, die Fälle 2 und 3 als Reihengeschäft zu beurteilen. Die Einholung der Veräußerungsgenehmigung durch die VO-Firma könnte nämlich als ein doppeltes Umsatzgeschäft gewertet werden, so daß eine Umsatzreihe aus Vermehrer / VO-Firma / Stpfl. / VO-Firma / Endabnehmer gegeben wäre. Die Stpfl. hätte dann eine Zwischenlieferung bewirkt, die nach § 4 Ziff. 4 UStG steuerfrei ist.
Da das FG von einer rechtlich unzutreffenden Beurteilung ausgegangen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 412473 |
BStBl III 1967, 405 |
BFHE 1967, 399 |
BFHE 88, 399 |