Leitsatz (amtlich)

Kraftfahrer, die als Arbeitnehmer regelmäßig Fahrten zwischen Berlin (West) und Westdeutschland für eine Berliner Spedition ausführen, sind wegen der räumlichen Bindung des Fahrzeuges an die Berliner Betriebstätte nicht "vorübergehend" im Sinne von § 23 Nr. 4a BHG 1964 außerhalb von Berlin (West) tätig.

 

Normenkette

BHG 1964 §§ 22, 23 Nr. 4a, § 27

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die in Bremen, wo die Ehefrau berufstätig ist, eine gemeinsame Wohnung haben. Der Kläger ist seit dem 24. März 1964 als Kraftfahrer bei einem Speditionsunternehmen in Berlin (West) - BW - tätig und wird vorwiegend im Fernverkehr nach Westdeutschland eingesetzt. Zwischen den einzelnen Fahrten hält er sich regelmäßig in BW auf. Seine Ehefrau besucht er durchschnittlich einmal im Monat und während seines Urlaubs. Bis in das Jahr 1967 hinein wohnte er zur Untermiete in BW. Anschließend bezog er eine Unterkunft im Betrieb seines Arbeitgebers, die er mit anderen Kollegen teilt. Ihm steht dort eine Schlafstelle mit Wasch- und Kochgelegenheit sowie eine Ablagemöglichkeit für seine privaten Dinge zur Verfügung. Bis einschließlich 1965 wurde dem Kläger vom Finanzamt Berlin-Spandau die Berliner Steuerpräferenz gewährt. Bei den Einkommensteuerveranlagungen 1966 und 1967 lehnte der Beklagte und Revisionskläger (FA Bremen-Ost) die Gewährung der beantragten Steuerpräferenz ab. Der Einspruch der Kläger hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit folgender Begründung statt: Gemäß § 27 BHG 1964 ermäßige sich die Lohnsteuer um 30 % bei Arbeitnehmern, die in BW nach dem 12. August 1961 ihren Aufenthalt begründeten und dort eine nichtselbständige Beschäftigung für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens drei Monaten aufnähmen. Danach komme es nicht darauf an, ob der Kläger seinen Wohnsitz in BW habe. Entscheidend sei allein, daß seine Tätigkeit als Fernkraftfahrer bei der Berliner Firma eine Beschäftigung in BW im Sinne des § 27 BHG 1964 sei. Es könne keinen Unterschied machen, ob der Kläger innerhalb BW oder im Verkehr zwischen BW und Westdeutschland eingesetzt werde; denn in beiden Fällen werde die Produktionskraft der Berliner Wirtschaft gestärkt. Das sei aber das erklärte Ziel des Berlinhilfegesetzes.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 22 in Verbindung mit § 23 Nr. 4a BHG 1964. Als Fernfahrer übe der Kläger seine Tätigkeit vorübergehend außerhalb BW aus, so daß er nur bei ausschließlichem Wohnsitz in BW Anspruch auf die Berliner Steuerpräferenz hätte. Diese Voraussetzung sei aber unstreitig nicht erfüllt. Diese Beurteilung entspreche auch dem Erlaß des Senators für die Finanzen in Bremen vom 2. Juni 1971 - S 1977b - 1 - St 41, der sich zwar auf die Arbeitnehmerzulagen nach § 28 des Berlinförderungsgesetzes beziehe, aber das gleiche Problem wie bei § 22 BHG 1964 betreffe.

Das FA beantragt, das Urteil des FG Bremen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Gemäß § 22 BHG 1964 ermäßigt sich bei veranlagten Arbeitnehmern, die nach dem 12. August 1961 in BW ihren Aufenthalt begründen, die Einkommensteuer um 30 %, wenn der Arbeitslohn für eine nichtselbständige Tätigkeit aus einem gegenwärtigen Dienstverhältnis in BW bezogen wird, das wenigstens drei Monate ununterbrochen bestanden hat. § 22 BHG 1964 entspricht im wesentlichen dem § 27 BHG 1964, der die Ermäßigung der Lohnsteuer bei Zuzug von Arbeitnehmern nach BW regelt und den das FG in den Mittelpunkt seiner Beurteilung gestellt hat.

Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), hat der Kläger in den Streitjahren zumindest seinen Aufenthalt, wenn nicht sogar einen zweiten Wohnsitz in BW begründet. Dabei ist "Aufenthalt" im Sinne des § 22 BHG 1964 weniger als der "gewöhnliche Aufenthalt" in § 14 StAnpG. Für die Anwendung des § 22 BHG 1964 kommt es also nicht darauf an, daß ein dauernder Aufenthalt begründet wurde. Da § 22 BHG 1964 für Arbeitnehmer gilt, die die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 BHG 1964 nicht erfüllen, die also keinen ausschließlichen Wohnsitz in BW haben, bei mehrfachem Wohnsitz keinen in BW unterhalten und bei denen schließlich BW auch nicht der gewöhnliche Aufenthaltsort ist, geht diese Bestimmung gerade von einem vorübergehenden Verweilen der Arbeitnehmer in BW aus, das allerdings die Mindestdauer von drei Monaten nicht unterschreiten darf (vgl. auch George, "Berliner Steuerpräferenzen" S. 263). Mit Recht hat das FG wegen § 22 BHG 1964, der neben § 27 BHG auch für die veranlagten Arbeitnehmer erleichterte Anspruchsvoraussetzungen geschaffen hat, die Gewährung der Steuerpräferenz nicht von einer weiteren Voraussetzung, nämlich der Veranlagung der Kläger in BW, abhängig gemacht.

Der Ansicht der Finanzverwaltung, nach der Kläger "vorübergehend" außerhalb von BW tätig gewesen sei (§ 23 Nr. 4a BHG 1964), vermag der Senat nicht zu folgen, so daß es unschädlich ist, daß der Kläger in den Streitjahren keinen ausschließlichen Wohnsitz in BW hatte. Die Qualifizierung der Tätigkeit des Klägers, der für ein Berliner Transportunternehmen Fahrten zwischen BW und Westdeutschland durchführt, als zeitweilige Beschäftigung außerhalb BW widerspricht dem Ziel des Berlinhilfegesetzes. Auch insoweit ist dem FG zu folgen. Im Zusammenhang mit der Rückforderung von Investitionszulagen nach § 19 Abs. 5 Satz 2 BHG 1964 hat der Senat bereits entschieden, daß bei Lastwagen der Rückforderungsanspruch nicht schon dann gegeben sei, wenn das Fahrzeug vorübergehend räumlich aus BW entfernt werde. Entscheidend sei vielmehr, ob eine dauerhafte zeitliche und räumliche Bindung zu einer Berliner Betriebstätte bestehen bleibe (BFH-Urteil vom 17. Mai 1968 VI R 5/68, BFHE 92, 392, BStBl II 1968, 570). An den Grundsätzen dieses Urteils hat der Senat bei einer weiteren Entscheidung festgehalten, die einen im Linienverkehr von und nach BW eingesetzten Omnibus betraf (Urteil vom 20. November 1970 VIR 205/69, BFHE 101, 459, BStBl II 1971, 314). Überträgt man die Überlegungen, die zu diesen Entscheidungen des Senats bei der Investitionszulage nach dem Berlinhilfegesetz führten, auf § 23 Nr. 4a BHG 1964, dann kann die vorübergehende körperliche Abwesenheit eines Arbeitnehmers von BW nicht in allen Fällen und ungeachtet des besonderen Berufsbilds die Annahme einer "vorübergehenden" Tätigkeit außerhalb BW rechtfertigen. Die räumliche Bindung des Transportmittels an die Berliner Betriebstätte im Verkehr von und nach BW bewirkt vielmehr, daß auch das Verhältnis des Fahrers zur Berliner Beschäftigung nicht soweit gelöst ist, daß eine "vorübergehende Tätigkeit außerhalb BW" im Sinne von § 23 Nr. 4a BHG 1964 anzunehmen ist. Dabei muß es sich allerdings um Berlinfahrten handeln, die der Definition entsprechen, wie sie dem Urteil VIR 5/68 zu entnehmen ist. Danach muß der Kläger überwiegend und regelmäßig Fahrten von und nach BW ausführen, ohne daß größere zeitliche Unterbrechungen eintreten, die Fahrten innerhalb der Bundesrepublik also nicht überwiegen. Da diese Voraussetzungen nach dem FG-Urteil erfüllt sind, konnte die Revision des FA keinen Erfolg haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70892

BStBl II 1974, 442

BFHE 1974, 207

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