Leitsatz (amtlich)

Wird das Verfahren über den Einspruch gegen einen Nachforderungsbescheid, der sich auf den angefochtenen Widerruf der Ausfuhrerstattung in Gestalt der abschöpfungsfreien Einfuhr stützt, ausgesetzt und dies dem Einspruchsführer mitgeteilt, so entfällt der darin liegende zureichende Grund im Sinn von § 46 Abs. 1 FGO nicht deshalb, weil während des Revisionsverfahrens der Widerruf gegenüber einem anderen Adressaten erklärt wird.

 

Normenkette

FGO § 46 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin ließ am 23. Februar 1965 eine Sendung Braugerste im eigenen Namen zum freien Verkehr mit anschließender Lagerung in ihrem Abschöpfungsaufschublager für die Firma W. abfertigen. Das ZA erhob keine Abschöpfung, weil die Klägerin bei der Entnahme aus dem Lager am 8. März 1965 die Einfuhrlizenzen der Firma W. vorlegte, in denen die Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel (EVStGetr) die abschöpfungsfreie Einfuhr aufgrund eines Erstattungsanspruchs der Firma V. für Ausfuhren in Drittländer genehmigt hatte. Im Dezember 1966 forderte das ZA 23 695,62 DM Abschöpfung nach, weil nach Mitteilung der EVStGetr die Voraussetzungen für die Abschöpfungsfreiheit nicht mehr gegeben seien. Mit ihrem Einspruch machte die Klägerin geltend, daß die EVStGetr die Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr zu Unrecht widerrufen habe. Sie beantrage, das Verfahren auszusetzen, bis über den Widerrufsbescheid der EVStGetr gegenüber der Firma V. entschieden sei. Daraufhin setzte das HZA am 27. Januar 1967 das Verfahren über den Einspruch aus. Am 27. November 1967 erhob die Klägerin Klage, da seit ihrem Einspruch mehr als sechs Monate verstrichen seien.

Das FG wies die Klage als unzulässig ab, weil das HZA aus einem zureichenden Grund über den Einspruch nicht entschieden und dies der Klägerin mitgeteilt habe.

Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrer Revision. Während des Revisionsverfahrens widerrief die EVStGetr die in der Einfuhrgenehmigung festgesetzte Abschöpfungsfreiheit am 2. Dezember 1969 gegenüber der Firma W., die nach erfolglosem Einspruch dagegen Klage erhob.

Die Klägerin macht geltend, sie habe in der Klageschrift ihre im Einspruchsverfahren vertretene Ansicht, die Entscheidung über die Nachforderung sei von dem Widerruf der Erstattung abhängig, dahin geändert, daß sie von vornherein nicht mit der Abschöpfung hätte belastet werden dürfen. Hierfür sei nicht sie, sondern der Erstattungsempfänger passiv legitimiert, da die Einfuhrgenehmigungen auf die Firma W. ausgestellt waren. Daraus habe das ZA erkennen müssen, daß die Klägerin im Interesse und für Rechnung eines anderen tätig wurde, wie es sich auch aus ihrer Stellung als Lagerhalter ergebe. Die Klägerin habe im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrages die auf den Namen der Firma W. ausgestellten Einfuhrgenehmigungen bei der Einfuhr vorgelegt und dadurch die abschöpfungsfreie Einfuhr ermöglicht.

Der Erstattungswiderruf gegenüber der Firma W. am 2. Dezember 1969 ändere daran nichts. Zwar könne im allgemeinen Verwaltungsrecht die fehlende Begründung eines Verwaltungsakts nachgeschoben oder die fehlerhafte Begründung durch eine fehlerfreie ersetzt werden. Damit werde aber der fehlerhafte Verwaltungsakt erst ex nunc geheilt. Inzwischen sei aber die Verjährungsfrist für den Widerruf am 31. Dezember 1966 abgelaufen. Daher müßte ein neuer Nachforderungsbescheid aufgrund des Widerrufs vom 2. Dezember 1969 wegen Verjährung aufgehoben werden. Im Zeitpunkt des am 17. Dezember 1968 zugestellten Urteils der Vorinstanz sei die Tatsacheninstanz beendet gewesen. Der angefochtene Nachforderungsbescheid habe keine Rechtsgrundlage gehabt, da die Erstattung gegenüber der Firma W. nicht widerrufen gewesen sei. Der Widerruf vom 2. Dezember 1969 sei eine rechtsgestaltende Tatsache, die in der Revisionsinstanz nicht geltend gemacht werden könne. Maßgebend sei der Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsakts. Der ursprünglich rechtswidrige Nachforderungsbescheid hätte aufgehoben werden müssen. Die Rechtmäßigkeit eines aufgrund des Widerrufs gegenüber der Firma W. ergangenen neuen Verwaltungsakts hätte dann nach den Verhältnissen im Zeitpunkt seines Erlasses beurteilt werden müssen.

Das HZA ist der Ansicht, daß der Erstattungswiderrut rückwirkende Kraft habe. Denn nur dann könne die Nacherhebung auf der Basis des richtigen Tagessatzes der Abschöpfung errechnet werden. Die Klägerin sei der richtige Adressat der Nachforderung. Es gehe hier nicht um die Rückzahlung einer Erstattung, sondern ausschließlich um die Nacherhebung der Abschöpfung, die nur gegenüber dem Abschöpfungspflichtigen erfolgen könne. Nachdem die EVStGetr die Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr auch gegenüber der Firma W. widerrufen habe, hänge die Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheids von der Rechtmäßigkeit einer der beiden streitigen Widerrufsbescheide ab. Der Abschöpfungsanspruch gegenüber der Klägerin sei durch den Widerrufsbescheid vom 2. Dezember 1969 entstanden. Wirke der Erstattungswiderruf gegenüber der Einführerin auf den Zeitpunkt der Einfuhr zurück, so wirke er auch auf den jüngeren Zeitpunkt des Abschöpfungsbescheides zurück. Dessen Rechtmäßigkeit stehe heute außer Frage. Wäre er zurückzunehmen, müßte er sogleich wieder erlassen werden. Ein neuer Abschöpfungsbescheid sei nicht verjährt, weil der soeben aufgehobene nämliche Abschöpfungsanspruch erneut geltend gemacht werde.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision hat keinen Erfolg.

Die Zulässigkeit der Klage nach § 46 FGO hängt u. a. davon ab, ob das HZA der Klägerin auf ihren Einspruch einen zureichenden Grund für die Aussetzung des Verfahrens mitgeteilt hat. Ein solcher Grund ist dann anzuerkennen, wenn die Entscheidung über den Einspruch gegen einen Abschöpfungsnachforderungsbescheid von dem Abschluß des Verfahrens betreffend den diesem Bescheid zugrunde liegenden Widerruf der Erstattung in Gestalt der abschöpfungsfreien Einfuhr abhängig gemacht wird (Entscheidung des BFH VII R 36/70 vom 31. August 1971, BFH 103, 381, BStBl II 1972, 20).

Der Umstand, daß die Klägerin lediglich als Lagerhalter im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrages für die Inhaberin der Einfuhrlizenz die Abfertigung zum freien Verkehr bzw. die Entnahme aus ihrem Zollaufschublager durchführte, steht dem nachforderungsbescheid nicht etwa mit der Wirkung entgegen, daß dieser von vornherein unzulässig gewesen wäre und es daher einer Aussetzung nicht bedurft hätte. Denn die Klägerin ist als Zollbeteiligter im eigenen Namen aufgetreten. Sie wird, wenn bei der Abfertigung der Ware eine Abschöpfungsschuld entsteht, Abschöpfungsschuldner gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 ZG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 des Abschöpfungserhebungsgesetzes (AbG). Wer letzten Endes die Abgaben zu tragen hat, ist eine Frage des Innenverhältnisses zwischen dem Auftraggeber und dem Lagerhalter. Das von der Klägerin angeführte Urteil des BFH V 302/60 vom 20. März 1964 (StRK Reichsabgabenordnung, § 150, Rechtsspruch 17) betrifft die Rückforderung von zu Unrecht erstatteter Umsatzsteuer, nicht aber die Ausfuhrerstattung aufgrund der EWG-Vorschriften. Auch die Grundsätze für die Abtretung von zivilrechtlichen Ansprüchen können hier nicht entsprechend herangezogen werden. Denn es geht im Streitfall allein um das Verhältnis zwischen der Zollbehörde und dem Zollbeteiligten und darum, ob eine Abschöpfungsfreiheit zu Unrecht gewährt worden ist oder nicht.

Es fragt sich jedoch, welchen Einfluß der zu Unrecht an die Firma V. gerichtete Widerruf und der spätere Widerruf gegenüber der Firma W. auf die Rechtslage hatte. Da die Einfuhrgenehmigungen auf die Firma W. ausgestellt waren, mußte ihr Widerruf gegenüber dieser Firma erfolgen (s. BFH-Entscheidung VII R 101/68 vom 13. Juli 1971, BFH 103, 377). Der Widerruf gegenüber der Firma V. schied daher zwar als Nachforderungsgrundlage aus. Das bedeutet jedoch nicht, daß damit von vornherein kein zureichender Grund im Sinn des § 46 Abs. 1 FGO vorgelegen hätte. Denn dafür ist maßgebend, ob die Behörde im Zeitpunkt der Klageerhebung nach § 46 FGO gehindert war, in angemessener Frist sachlich über den Einspruch zu entscheiden. Ist diese Entscheidung, wie im Streitfalle, von der Entscheidung über den Widerruf der in der Einfuhrgenehmigung ausgesprochenen Abschöpfungsfreiheit und damit über den Wegfall der Abschöpfungsfreiheit abhängig, so kann das HZA auch dann nicht vorher entscheiden, wenn es anderer Meinung als die EVSt-Getr wäre. Denn die Erstattung in der Gestalt der abschöpfungsfreien Einfuhr und ihr Widerruf sind rechtsgestaltende Verwaltungsakte einer anderen Behörde, an die das HZA gebunden ist (s. BFH-Entscheidung VII B 165/67 vom 22. November 1968, BFH 94, 472).

Aus welchem Grunde der Erstattungswiderruf berechtigt war, konnte nur im Widerrufsverfahren entschieden werden. Es kommt also nicht darauf an, ob das HZA erkennen konnte, daß der erste Erstattungswiderruf an den falschen Adressaten gerichtet war. Für die Frage, ob im Zeitpunkt der Klageerhebung dem Kläger ein zureichender Grund im Sinn des § 46 FGO mitgeteilt worden ist, ist es dann auch nicht erheblich, daß die Erstattung während des Revisionsverfahrens noch gegenüber einem anderen Adressaten widerrufen wurde. Denn selbst wenn man annehmen würde, daß damit der zuerst mitgeleilte Grund für die Zurückstellung der Einspruchsentscheidung wegfalle, so würde doch im gleichen Zeitpunkt an seine Stelle ein auf die gleiche Tatsache gegründeter Widerruf treten, der lediglich an einen anderen Adressaten gerichtet ist und der auch in dem noch anhängigen ausgesetzten Einspruchsverfahren zu berücksichtigen ist. Das HZA hätte in diesem Fall daher nicht etwa unverzüglich über den Einspruch entscheiden können. Denn weiterhin bliebe die gewährte Abschöpfungsfreiheit, wenn auch gegenüber einem anderen Adressaten, widerrufen und die Entscheidung über den Einspruch gegen den Nachforderungsbescheid von dem Ausgang des (neuen) Widerrufsverfahrens abhängig. Entgegen der Meinung der Klägerin kann es auch nicht für das Vorliegen eines zureichenden Grundes im Sinn von § 46 Abs. 1 FGO darauf ankommen, aus welchem Grund die gewährte Abschöpfungsfreiheit widerrufen werden konnte. Denn maßgebend ist hierfür nicht die Rechtmäßigkeit des dem Nachforderungsbescheid zugrunde liegenden Erstattungswiderrufs, sondern allein die Tatsache, daß ein solcher rechtsgestaltender Verwaltungsakt ergangen ist.

Deshalb braucht auch auf das Vorbringen der Klägerin, beim Nachschieben von Gründen heile ein fehlerhafter Verwaltungsakt erst ex nunc und der Widerruf sei bereits verjährt, nicht eingegangen zu werden. Denn in diesem Verfahren geht es nicht um die Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheids, sondern um die Zulässigkeit der Untätigkeitsklage. Deshalb kann sich die Klägerin auch nicht auf Treu und Glauben gegenüber dem Nachforderungsbescheid berufen, abgesehen davon, daß sie zunächst selbst die Aussetzung des Einspruchsverfahrens mit der Begründung beantragt hat, daß das Einspruchsverfahren von dem gegen die Widerrufsverfügung der EVStGetr schwebenden Verfahren abhänge.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413184

BStBl II 1972, 546

BFHE 1972, 92

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