Leitsatz (amtlich)

Über die Ablehnung eines Antrags auf Erlaß von Kraftfahrzeugsteuer nach Nr. 1 des § 3 Abs. 1 KraftStG ist im Steuerfestsetzungsverfahren (nicht in einem besonderen Steuererlaßverfahren) zu entscheiden. Die Bevorzugung der "Schwerbeschädigten im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes" vor anderen Körperbehinderten beim Erlaß von Kraftfahrzeugsteuer verletzt nicht den Gleichheitssatz.

 

Normenkette

AO a.F. § 229 Nr. 1; AO 1977 § 348 Abs. 1 Nr. 1; KraftStG § 3 Abs. 1 Nrn. 1-2; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; BVG i.d.F. vom 22. Juni 1976 § 1; BVG i.d.F. vom 22. Juni 1976 § 31 Abs. 3; SchwbG i.d.F. vom 29. April 1974 § 45

 

Tatbestand

Der Kläger leidet an den Folgen einer Kinderlähmung. Seine Erwerbsfähigkeit ist um 50 v. H. gemindert. Im Jahre 1975 meldete er das Halten eines Personenkraftfahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen ... (1 971 ccm Hubraum) zum Verkehr auf öffentlichen Straßen an. Das FA (Beklagter) setzte durch Bescheid vom 16. Dezember 1975 die Kraftfahrzeugsteuer auf 288 DM bei jährlicher Entrichtung fest. Die Voraussetzungen für einen Erlaß der Kraftfahrzeugsteuer nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG hielt es nicht für gegeben, da die Jahreseinkommensteuerschuld des Klägers für das Jahr 1974 9 882 DM betrug, somit den Betrag von 3 984 DM überstieg, bis zu dem das FA (gemäß der Richtlinie des Schleswig-Holsteinischen Finanzministers vom 30. Mai 1975 S 6114-41 VI 33 a für die Ausübung des Ermessens beim Erlaß von Kraftfahrzeugsteuer für Körperbehinderte) einem Körperbehinderten, dessen Erwerbsfähigkeit um 50 v. H. gemindert war, ein Viertel der Kraftfahrzeugsteuer zu erlassen hatte.

Mit seinem Einspruch machte der Kläger geltend, ihm sei in entsprechender Anwendung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG die Kraftfahrzeugsteuer in vollem Umfang ohne Rücksicht auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse zu erlassen. Was dort für Schwerbeschädigte i. S. des Bundesversorgungsgesetzes vorgeschrieben sei, müsse in gleicher Weise für sog. Zivilbeschädigte gelten. Die in der gesetzlichen Regelung enthaltene Bevorzugung der Kriegsopfer erscheine 30 Jahre nach Kriegsende ungerechtfertigt und verfassungsrechtlich bedenklich. Das FA wies den Einspruch zurück.

Mit der Klage hat der Kläger begehrt, den angefochtenen Bescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und das FA zu verurteilen, ihm die Kraftfahrzeugsteuer zu erlassen. Die Ursache der Behinderung dürfe "nicht mehr als Kriterium für eine unterschiedliche Behandlung der Kriegs- und Zivilbehinderten herangezogen werden". Das folge aus § 45 des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz - SchwbG -) i. d. F. vom 29. April 1974 (BGBl I, 1006). Die Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG sei verfassungskonform dahin auszulegen, daß nicht nur Schwerbeschädigten i. S. des Bundesversorgungsgesetzes, sondern auch Zivilbeschädigten die Kraftfahrzeugsteuer in vollem Umfang ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftlichen Verhältnisse zu erlassen ist.

Das FG hat die Klage abgewiesen. Die unterschiedliche Behandlung von Körperbehinderten, die ihren Körperschaden infolge von Kriegseinwirkungen oder nationalsozialistischen Verfolgungs- oder Unterdrückungsmaßnahmen erlitten haben, und anderen Körperbehinderten sei sachlich gerechtfertigt und verletze nicht den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Sie könne "auch 30 Jahre nach Kriegsende nicht als willkürlich angesehen werden..., weil eine solche Art der Beeinträchtigung in ihrer Wirkung durch Zeitablauf nicht gemildert, sondern - mit zunehmendem Alter der Betroffenen - eher noch verstärkt" werde. Der vom Kläger erwähnte § 45 SchwbG sei ohne Einfluß auf § 3 Abs. 1 KraftStG.

Das FG hat die Revision zugelassen, weil es der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimißt.

Mit der Revision rügt der Kläger fehlerhafte Nichtanwendung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG auf sog. Zivilbehinderte. Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und das FA zu verurteilen, die Kraftfahrzeugsteuer zu erlassen.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend erklärt, daß sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sind.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Das FG ist zutreffend, wenn auch ohne nähere Begründung davon ausgegangen, daß die Klage zulässig ist, es insbesondere nicht an der Voraussetzung des erfolglos gebliebenen Vorverfahrens fehlt (§ 44 Abs. 1 FGO). Das Einspruchsverfahren war hier das richtige Vorverfahren, denn der Kläger hatte Erlaß der Kraftfahrzeugsteuer nach Nr. 1 des § 3 Abs. 1 KraftStG begehrt, sich also auf eine im Gesetz selbst ausgesprochene Befreiung berufen, bei der im Steuerfestsetzungsverfahren (nicht in einem besonderen Steuererlaßverfahren) zu entscheiden war, ob ihre Voraussetzungen erfüllt waren oder nicht (vgl. Urteil des BFH vom 7. Mai 1958 II 14/58, BFHE 67, 172, BStBl III 1958, 337; § 229 Nr. 1 AO a. F. § 348 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977).

Das FG hat ohne Rechtsirrtum die Tatbestandsmerkmale der Nr. 1 des § 3 Abs. 1 KraftStG nicht für erfüllt erachtet. Nach dieser Vorschrift kann Körperbehinderten, deren Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 v. H. gemindert ist und die sich infolge ihrer Körperbehinderung ein Personenkraftfahrzeug halten, die Steuer für ein Personenkraftfahrzeug auf Antrag erlassen werden, und zwar Schwerbeschädigten i. S. des Bundesversorgungsgesetzes und Personen, die den Körperschaden infolge nationalsozialistischer Verfolgungs- oder Unterdrückungsmaßnahmen aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen erlitten haben, "in vollem Umfang ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftlichen Verhältnisse". Zu einer dieser Personengruppen gehört der Kläger nicht. Er gehört vielmehr zu den in Nr. 2 des § 3 Abs. 1 KraftStG genannten "Körperbehinderten, die nicht unter Nummer 1 fallen". Ihnen kann die Kraftfahrzeugsteuer "ganz oder teilweise" erlassen werden, "wenn sie infolge ihrer Körperbehinderung zur Fortbewegung auf die Benutzung eines Personenkraftfahrzeugs nicht nur vorübergehend angewiesen sind"; "dabei sind Art und Schwere der Körperbehinderung sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Körperbehinderten zu berücksichtigen".

Der Kläger meint, es verletze den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), daß die Kraftfahrzeugsteuer den Schwerbeschädigten "in vollem Umfang ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftlichen Verhältnisse" erlassen werde, den sog. Zivilbeschädigten dagegen nur unter Berücksichtigung von Art und Schwere ihrer Körperbehinderung sowie ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse erlassen werden könne. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG gebiete, auch den sog. Zivilbeschädigten die Kraftfahrzeugsteuer in vollem Umfang ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftlichen Verhältnisse zu erlassen.

Der erkennende Senat teilt diese Ansicht nicht. Es verletzt nicht den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ("Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich"), wenn der Gesetzgeber in § 3 Abs. 1 KraftStG unterscheidet zwischen "Schwerbeschädigten im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes" (Nr. 1) und "Körperbehinderten, die nicht unter Nummer 1 fallen" (Nr. 2), und wenn er für jene einen Erlaß der Kraftfahrzeugsteuer unter günstigeren Voraussetzungen vorsieht als für diese.

"Schwerbeschädigte im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes" sind Personen, die "durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten" haben und deren Erwerbsfähigkeit dadurch um mindestens 50 v. H. gemindert ist (§§ 1, 29 Abs. 2 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz) - BVG - vom 20. Dezember 1950, BGBl I, 791, jetzt §§ 1, 31 Abs. 3 BVG i. d. F. der Bekanntmachung vom 22. Juni 1976, BGBl I, 1633). Sie erhalten "wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung" (§ 1 Abs. 1 BVG). Die Versorgung dient zum Ausgleich des besonderen Opfers, das sie für die Gesamtheit der im Staat zusammengeschlossenen Bürger gebracht haben. Dem gleichen Zweck dient es, ihnen die Kraftfahrzeugsteuer "in vollem Umfang ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftlichen Verhältnisse" zu erlassen, wenn sie sich infolge ihrer Körperbehinderung ein Personenkraftfahrzeug halten; insoweit ergänzt die Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG die Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes.

Die Bevorzugung der "Schwerbeschädigten im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes" beim Erlaß von Kraftfahrzeugsteuer geht zurück auf die §§ 44 und 45 der Durchführungsbestimmungen zum Kraftfahrzeugsteuergesetz vom 5. Juli 1935 (RGBl I, 875, RStBl 1935, 969). Dort war unterschieden zwischen "Schwerkriegsbeschädigten", d. h. Personen, die im Kriege eine Gesundheitsschädigung erlitten hatten und deren Erwerbsfähigkeit dadurch um mindestens 45 v. H. gemindert war (§ 44), und "Zivilbeschädigten", d. h. Personen, die aus anderen Ursachen (z. B. Unfall, Geburtsfehler) beschädigt waren (§ 45). Den "Schwerkriegsbeschädigten" konnte die Kraftfahrzeugsteuer "ohne weitere Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse ... in vollem Umfang erlassen werden", den "Zivilbeschädigten" dagegen sollte die Steuer nur dann ganz oder teilweise erlassen werden, "wenn besondere wirtschaftliche Verhältnisse, insbesondere die durch die Beschädigung verursachte Erwerbsbeschränkung des Antragstellers die Erhebung der Steuer als unbillige Härte erscheinen" ließ. An diese Unterscheidung knüpfte der Gesetzgeber an, als er im Jahre 1955 anstelle der uneinheitlichen landesrechtlichen Regelungen eine für das gesamte Bundesgebiet einheitlich geltende Vorschrift über den Erlaß von Kraftfahrzeugsteuer für Körperbehinderte (§ 3) in das KraftStG einfügte (Abschn. I Art. 1 Nr. 2 des Verkehrsfinanzgesetzes 1955 vom 6. April 1955, BGBl I, 166, BStBl I, 155; vgl. Begründung zum Entwurf eines Verkehrsfinanzgesetzes 1954, Bundestags-Drucksache 573 der 2. Wahlperiode, S. 12, linke Spalte Mitte).

Der Grund für die erwähnte Unterscheidung war die Erwägung, daß die Bundesrepublik als "sozialer Bundesstaat" (Art. 20 Abs. 1 GG) über die allen Körperbehinderten zuzuwendende Fürsorge hinaus den "Schwerbeschädigten im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes" eine Entschädigung dafür schuldet, daß diese Personen Gesundheitsschäden erlitten haben infolge von Ereignissen, für die der Staat auf Grund vorausgegangenen Tuns einzustehen hat (vgl. Urteil des BFH vom 17. Januar 1967 II 111/63, BFHE 88, 61, 62, BStBl III 1967, 269).

Allerdings ist in neuerer Zeit die Tendenz erkennbar, den Kreis der Begünstigten auszuweiten. Insbesondere durch die vom Kläger angeführte Vorschrift des § 45 SchwbG wurde der Gesetzgeber aufgerufen, "die Vorschriften über Vergünstigungen für Behinderte ... so zu gestalten, daß die Vergünstigungen der Art und Schwere der Behinderung Rechnung tragen, und zwar unabhängig von der Ursache der Behinderung". Indessen wirkt dieser Programmsatz des einfachen Rechts - obschon zulässiges Auslegungsmerkmal mehrdeutiger Vorschriften - nicht dahin, daß abweichendes positives Recht (mit genauer Abgrenzung) gebrochen oder verändert würde. Vielmehr ist es Aufgabe des Gesetzgebers, das positive Recht diesem Programmsatz entsprechend schrittweise fortzubilden; hierfür steht ihm eine angemessene Zeit zur Verfügung, in der er Erfahrungen sammeln und die gesetzliche Regelung schrittweise fortbilden kann (vgl. Beschluß des BVerFG vom 11. März 1975 1 BvL 13/73, BVerfGE 39, 148, zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung des Personenkreises der Körperbehinderten, die im Nahverkehr unentgeltlich befördert werden; § 2 Abs. 1 Nr. 6 UnBefördG vom 27. August 1965, BGBl I, 978). Sein Versuch im Jahre 1973, die Besteuerung von Personenkraftwagen umzugestalten (Plakettenverfahren statt Steuerbescheidverfahren) und in diesem Zusammenhang auch die Vergünstigungen für Körperbehinderte neu abzugrenzen (vgl. Begründung zum Entwurf eines Kraftfahrzeugsteuergesetzes 1975, Bundesrats-Drucksache 701/73 S. 37 zu § 3 Abs. 1 Nr. 10), ist in der Siebten Legislaturperiode nicht mehr Gesetz geworden.

Ob auch Körperbehinderten von der Art des Klägers die Kraftfahrzeugsteuer unter den erleichterten Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG erlassen werden sollte, ist nicht - wie der Kläger meint - eine Frage der "verfassungskonformen Auslegung", sondern der Gesetzesänderung. Hierfür sind die Finanzverwaltungsbehörden und die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit nicht zuständig (Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. Beschluß des BVerFG vom 11. Juni 1958 1 BvL 149/52, BVerfGE 8, 28, 34).

Die Steuerfestsetzung entspricht auch im übrigen den gesetzlichen Vorschriften und ist deshalb vom FG zutreffend für rechtmäßig erachtet worden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72482

BStBl II 1977, 849

BFHE 1978, 66

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