Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein gemäß § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO ergangener änderungsbescheid ist nicht deshalb nichtig, weil die formellen Voraussetzungen für eine änderung nicht bestanden haben. Der Steuerpflichtige muß seine Einwendungen gegen die Zulässigkeit des änderungsbescheids innerhalb der Rechtsmittelfrist geltend machen.

 

Normenkette

AO § 94 Abs. 1 Nr. 2, §§ 229, 246/1, § 237 a. F; VwZG § 17/2; AO §§ 86, 237, 230/1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Einkommensteuerveranlagungen für die Jahre 1950 bis 1953 in sachlicher Hinsicht noch überprüft werden können.

Im Anschluß an eine Betriebsprüfung war am 15. November 1956 gegen den Revisionskläger (Steuerpflichtigen - Stpfl. -) für die Veranlagungszeiträume 1950 bis 1953 gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO ein Sammelberichtigungsbescheid ergangen. Dagegen hatte der Stpfl. rechtzeitig Einspruch eingelegt. Im Einspruchsverfahren schlug er am 7. März 1958 in einem sechs Punkte umfassenden Antrag dem Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) vor, die Bescheide zu ändern, "um nun die Rechtskräftigkeit der Steuerveranlagung 1950 bis 1953 nicht noch weiter hinauszuziehen". Der Vorschlag enthielt u. a. auch den Antrag, an Stelle einer Preissteigerungsrückstellung und einer Rücklage für Anlagenerneuerung über einen Betrag von 451.640,91 DM eine langfristige Stundung zu gewähren. Unter diesen Voraussetzungen sollte der Einspruch als "zurückgenommen" gelten. Ausgehend von den vom Stpfl. anerkannten Besteuerungsgrundlagen erließ das FA am 26. März 1958 für die Streitjahre gemäß § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO einen Sammeländerungsbescheid.

Am 9. Juli 1959 beantragte der Stpfl., dem Rechtsmittelverfahren seinen Fortgang zu geben. Zur Begründung führte er aus, der Einspruch sei nur unter bestimmten Bedingungen "zurückgenommen" worden; eine bedingte Rücknahme eines Rechtsmittels sei aber unwirksam. Außerdem sei eine von ihm gestellte Bedingung nicht im erwarteten Sinne erfüllt worden. Das FA habe ihm nur bis zum Ablauf des Jahres 1959 Stundung gewährt und dies nur mit der Verpflichtung, die Schuld in laufenden Raten zu tilgen. In einer Stundung von nur 1 3/4 Jahren bei gleichzeitiger ratenweiser Tilgung könne aber keine langfristige Stundung gesehen werden. Eine solche umfasse im Wirtschaftsleben niemals weniger als fünf Jahre.

Am 11. September 1959 ließ der Stpfl. gegen den nach § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO ergangenen änderungsbescheid Einspruch einlegen. Zur Begründung wurde ausgeführt, seine etwaige Zustimmung zur änderung der Steuerbescheide sei unwirksam, weil sie unter einer Bedingung abgegeben worden sei. Sein Einspruch sei auch nicht verspätet. Die Wirksamkeit einer Zustimmung zur änderung von Steuerbescheiden sei so bedeutsam, daß ihr Fehlen jederzeit geltend gemacht werden könne. Nur so könne der dem Grundgesetz (GG) - Art. 19 Abs. 4 - entsprechende Rechtsschutz erreicht werden. Jedenfalls bestehe für die Anfechtung der änderungsbescheide keine Bindung an die üblichen Rechtsmittelfristen. Es entspreche den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und der Prozeßökonomie, ein Rechtsmittel erst dann einzulegen, wenn endgültig feststehe, daß eine Bedingung nicht im erwarteten Sinne eingetreten sei. Dies sei der Fall, da das FA entgegen seiner mündlichen Zusage eine langfristige Stundung nicht bewilligt habe.

Vorsorglich beantragte der Stpfl., Nachsicht zu gewähren; er habe nicht wissen können, daß das FA seine Zusage nicht einhalten werde.

Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig. Die Berufung des Stpfl. hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) setzte den Streitwert auf 389.523 DM fest.

Mit der Rb. (Revision) beantragte der Stpfl., die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung des FA und die Berichtigungsbescheide vom 26. März 1958 und 15. November 1956 aufzuheben, den Streitwert herabzusetzen, und hilfsweise die Entscheidung im Hinblick auf ein noch schwebendes Verfahren wegen Fehleraufdeckung auszusetzen. Sachlich begehre er eine Verminderung der Einkommensteuer für die Streitjahre insoweit, als das FA die von ihm vorgenommene Warenbewertung und die von ihm beantragte Preissteigerungsrücklage nicht zugelassen habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Stpfl. ist nicht begründet.

Im Schreiben des Stpfl. vom 7. März 1958 kann, obwohl darin von Rechtsmittelrücknahme die Rede ist, eine Zurücknahme seines Einspruchs gegen den Berichtigungsbescheid vom 15. November 1956 nicht erblickt werden. Die Rechtsmittelrücknahme hat den Verlust des Rechtsmittels zur Folge (ß 253 Satz 3 AO alter Fassung). Sie hätte daher bewirkt, daß der Berichtigungsbescheid vom 15. November 1956 rechtskräftig geworden wäre. Dies hätte jedoch erkennbar nicht dem Willen und der Interessenlage des Stpfl. entsprochen, der gerade eine änderung dieses Berichtigungsbescheides herbeiführen wollte.

Ob das Schreiben vom 7. März 1958 einen wirksamen Antrag auf änderung des Berichtigungsbescheids nach § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO oder eine unter einer Bedingung erklärte und daher unwirksame Prozeßhandlung zum Inhalt hat, kann dahingestellt bleiben. Wesentlich ist, daß das FA, gestützt auf dieses Schreiben, gemäß § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO einen änderungsbescheid erlassen hat. Selbst wenn man davon ausgeht, daß die formellen Voraussetzungen für eine derartige änderung nicht bestanden haben, so führt dies doch nicht zur Nichtigkeit des änderungsbescheids. Dieser enthält keine schweren, für jedermann ohne Schwierigkeiten erkennbaren Mängel (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - III 77/62 vom 19. Dezember 1963, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 91, Rechtsspruch 19 a). Er war daher lediglich anfechtbar (ß 229 AO). Der Stpfl. hätte seine formellen Einwendungen gegen den änderungsbescheid im Wege des Einspruchs geltend machen müssen. Ein Antrag, das Rechtsmittelverfahren weiterzuführen, wie er im Schreiben vom 9. Juli 1959 gestellt wurde, ist prozessual nicht zulässig.

Unter diesen Umständen hat die Vorinstanz das Schreiben vom 9. Juli 1959 zu Recht als Einspruch gegen den änderungsbescheid vom 26. März 1958 aufgefaßt. Das Schreiben vom 11. September 1959, in dem der Einspruch ausdrücklich eingelegt worden ist, enthält lediglich eine Klarstellung.

Die Vorinstanzen haben den Einspruch vom 9. Juli 1959 zu Recht als verspätet und daher als unzulässig angesehen. Der änderungsbescheid vom 26. März 1958 ist mit Ablauf des 29. April 1958 unanfechtbar geworden (ß 246 Abs. 1 AO alter Fassung in Verbindung mit § 17 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes). Da der Stpfl. seine Rechtsmittelbefugnis durch Fristablauf verloren hat, braucht nicht geprüft zu werden, ob er sein Anfechtungsrecht verwirkt hat.

Das FG hat auch die Voraussetzungen für eine Nachsichtgewährung (ß 86 AO) zu Recht verneint. Nachsicht kann nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, nicht mehr begehrt oder ohne Antrag bewilligt werden (ß 87 Abs. 5 AO alter Fassung). Es kann dahingestellt bleiben, ob es Fälle gibt, in denen ausnahmsweise eine Nachsichtgewährung auch nach Ablauf der Ausschlußfrist gerechtfertigt erscheint. Ein solcher Ausnahmefall kann im Streitfall jedenfalls deshalb nicht angenommen werden, weil der Stpfl. den Umfang der gewährten Stundung bereits aus der ihm am 23. Januar 1959 bekanntgegebenen Verfügung erkennen konnte, mithin in der Lage gewesen wäre, den Einspruch gegen den auf § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO gestützten Berichtigungsbescheid und den Antrag auf Nachsichtgewährung innerhalb der Jahresfrist einzubringen.

Dem Stpfl. kann auch nicht darin gefolgt werden, daß es gegen Treu und Glauben verstößt, wenn sich das FA im Streitfall auf die Unanfechtbarkeit des Berichtigungsbescheids vom 26. März 1958 beruft. Wenn sich der Stpfl. in seinem Vertrauen auf die ihm zugesicherte langfristige Stundung getäuscht fühlte, so hätte es an ihm gelegen, die Verfügung über die Ablehnung einer längeren Stundung gemäß § 237 AO alter Fassung in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG anzufechten und im gerichtlichen Verfahren geltend zu machen, sie beruhe auf unrichtiger Ausübung des der Finanzverwaltung nach § 127 AO eingeräumten Ermessens (siehe Gutachten des BFH Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951, BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277).

Die Einwendungen des Stpfl. gegen die Streitwertberechnung des FG sind zum Teil begründet. Das Prozeßziel des Stpfl. ist die Herabsetzung der Steuerfestsetzung, soweit das FA von seiner ursprünglichen Warenbewertung abgegangen ist. Er hat die steuerlichen Auswirkungen dieses Begehrens im Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 9. Juli 1959 (S. 3) mit rund 350.700 DM angegeben. Auf diesen Betrag, der sich aus dem weitestgehenden Antrag des Stpfl. ergibt, war der Streitwert des finanzgerichtlichen Verfahrens herabzusetzen. Der beantragten Zulassung einer Preissteigerungsrücklage kommt eine gesonderte Bedeutung für den Streitwert nicht zu, weil diese Rücklage nach dem Antrag des Stpfl. erst zum Zuge kommen sollte, wenn von seiner ursprünglichen Warenbewertung abgewichen würde.

Zu der vom Stpfl. beantragten Aussetzung der Revisionsentscheidung bestand kein Anlaß, da die Frage, ob das FA beim Erlaß des Berichtigungsbescheids nach § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO fehlerhaft vorgegangen ist, das Ergebnis dieses Rechtsstreits sachlich nicht berührt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Zwar hat der Stpfl. zum Teil obgesiegt. Gegenüber dem Streitwert des finanzgerichtlichen Verfahrens erhöht sich der Streitwert der Revision um das Kosteninteresse des Stpfl., das sich aus der Differenz zwischen den Kosten bei einem Streitwert von 350.700 DM und den Kosten bei dem vom Stpfl. begehrten Streitwert von 125.582 DM ergibt. Dieses Interesse beträgt rund 4.100 DM, so daß der Streitwert der Revision mit 354.800 DM festzustellen ist. Danach ist das FA nur zu einem geringeren Teil unterlegen.

 

Fundstellen

BStBl III 1966, 325

BFHE 1966, 321

BFHE 85, 321

StRK, AO:94 R 67

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