Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Steuerabzug auf Trinkgelder einer Kellnerin durch den Gastwirt.

Bestehen Bedenken gegen die Angaben einer Kellnerin über die Höhe der vereinnahmten Trinkgelder, so kann das Finanzamt den Arbeitgeber wegen Nichteinbehaltung der Lohnsteuer in Anspruch nehmen, wenn der Gastwirt, obwohl er Bedenken gegen die Angaben der Kellnerin haben mußte, deren Angaben unbeanstandet übernommen hat, ohne dem Finanzamt Mitteilung zu machen.

 

Normenkette

EStG § 38 Abs. 3, § 38/4

 

Tatbestand

Die Bfin., eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, wurde vom Finanzamt als Arbeitgeberin in Anspruch genommen, weil sie auf die Bezüge einer in ihrer Gastwirtschaft angestellten Kellnerin zu wenig Lohnsteuer einbehalten habe. Bei der Berechnung der Lohnsteuernachforderung legte das Finanzamt die von der Kellnerin eingenommenen Pflichttrinkgelder mit 10 v. H. des Umsatzes zugrunde, während die Bfin. von den Aufzeichnungen der Kellnerin ausgegangen war, die einen geringeren Betrag auswiesen. Die Bfin. machte geltend, die einbehaltene Lohnsteuer entspreche den Trinkgeldern, die die Kellnerin nach ihren Aufzeichnungen erhalten habe. Die ihr freiwillig gegebenen Trinkgelder habe die Kellnerin geschätzt; für diese sei keine Lohnsteuer einzubehalten gewesen, weil sie den Freibetrag nicht überschritten hätten. Daß die Pflichttrinkgelder hinter 10 v. H. des Umsatzes zurückblieben, entspreche den Gegebenheiten; denn bei bestimmten Stammkunden, vor allem kleineren Bauern, die in anderen Gastwirtschaften, in denen der Wirt selbst bediene, keine Trinkgelder zu zahlen brauchten, habe die Kellnerin anweisungsgemäß keine Trinkgelder berechnet; in anderen Fällen ergäben sich durch Abrundung geringere Beträge als 10 v. H. des Umsatzes; zuweilen würden auch Waren überhaupt nicht bezahlt.

Die Sprungberufung hatte keinen Erfolg. Mit dem Finanzamt ging das Finanzgericht davon aus, daß die Bfin. die Pflichttrinkgelder der Kellnerin mit 10 v. H. des Umsatzes hätte ansetzen müssen. Die Kellnerin habe Trinkgelder mit 10 v. H. des Umsatzes beanspruchen können. Bei dem Mangel an Bedienungspersonal sei es unglaubwürdig, daß eine Bedienung bereit sei, bei untertariflicher Entlohnung zu arbeiten. Wenn die Bedienung auf Weisung der Bfin. bei einigen Stammkunden kein Bedienungsgeld habe berechnen dürfen, so sei das ein Preisnachlaß, den die Bfin. zu vertreten habe. Nach der Lebenserfahrung würden Stammkunden, denen kein Bedienungsgeld berechnet werde, in der Regel freiwillig ein Trinkgeld mindestens in Höhe von 10. v. H. geben. Selbst wenn die Kellnerin zur Abrundung gelegentlich auf einen Teil des Bedienungsgeldes verzichtet habe, so könne es sich nicht um so bedeutende Beträge gehandelt haben, daß das Bedienungsgeld nur mit 9. v. H. des erzielten Umsatzes anzusetzen gewesen sei; im übrigen werde auch eine solche Minderung erfahrungsgemäß meist durch freiwillige Trinkgelder wieder ausgeglichen. Etwaige Erlösminderungen aus dem Nichtbezahlen einzelner Waren seien ziffernmäßig nicht nachgewiesen und auch schwer nachweisbar. Der Freibetrag von 600 DM sei bei den freiwilligen Trinkgeldern nicht zuletzt auch geschaffen worden, um Kellnern einen Ausgleich für derartige Einbußen am Verdienst zu bieten. Der Gastwirt hafte für die richtige Ermittlung der Pflichttrinkgelder seiner Kellner. Die Bfin. hätte sich von ihrer Haftung nur befreien können, wenn sie das Finanzamt gemäß § 56 LStDV unter Schilderung der Sachlage um Auskunft gebeten hätte, wie die Lohnsteuer auf Trinkgelder zu berechnen sei.

Mit ihrer Rb. rügt die Bfin. unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Sie meint, sie sei zur Einbehaltung von Lohnsteuer nur verpflichtet gewesen, soweit dies durch die Aufzeichnungen der Kellnerin gerechtfertigt werde. Sie habe die Aufzeichnungen geprüft und keinen Grund zur Beanstandung gefunden. Es sei rechtsirrig, wenn das Finanzgericht die den Stammkunden gewährten Nachlässe ihr zurechnen wolle. Die Kellnerin könne zur Lohnsteuer nur herangezogen werden, soweit sie tatsächlich Trinkgelder gehabt habe. Wenn eine Kellnerin Waren abzukassieren vergesse, könne dies nicht die ihr freiwillig gegebenen Trinkgelder mindern. Es liege im übrigen kein Nachweis vor, daß die von der Kellnerin aufgezeichneten freiwilligen Trinkgelder unrichtig geschätzt worden seien. Diese dürften nicht, wie es das Finanzgericht getan habe, zum Ausgleich für die ausgefallenen Warenentgelte und Pflichttrinkgelder herangezogen werden.

 

Entscheidungsgründe

Auch die Rb. konnte keinen Erfolg haben.

Die der Kellnerin zugeflossenen Pflichttrinkgelder - die Trinkgelder also, auf die sie einen Rechtsanspruch hatte - unterliegen der Lohnsteuer, während die ihr freiwillig gezahlten Trinkgelder - die Trinkgelder also, auf die die Kellnerin keinen Rechtsanspruch hatte - bis zu einem Freibetrag von 600 DM je Jahr steuerfrei sind. Ob Trinkgelder Pflichttrinkgelder oder freiwillig gewährte Trinkgelder sind, ist im Einzelfall festzustellen. Wie die Bfin. mit Recht betont, dürfen der Kellnerin nicht auf Kosten der freiwilligen Trinkgelder Pflichttrinkgelder zugerechnet werden, die sie tatsächlich nicht erhalten hat. Ebensowenig kann aber die Kellnerin den in den Rahmen des Freibetrags fallenden Betrag der freiwilligen Trinkgelder auf Kosten der Pflichttrinkgelder erhöhen.

Die Abgrenzung von Pflichttrinkgeldern und freiwilligen Trinkgeldern kann Schwierigkeiten bereiten. Gibt aber ein Gast ein Trinkgeld, so kann man, auch wenn die Kellnerin kein Trinkgeld in Rechnung stellt, in der Regel von einem freiwilligen Trinkgeld erst sprechen, soweit es den Betrag von 10 v. H. des Umsatzes überschreitet. Eine Kellnerin kann zwar auf das ihr zustehende Pflichttrinkgeld verzichten und braucht dann, wenn ihr kein Pflichttrinkgeld zugeflossen ist, auch ein solches nicht zu versteuern. Der "Verzicht" ist aber in der Regel ohne steuerliche Wirkung, wenn die Kellnerin ein Trinkgeld erhält, das als "freiwilliges" Trinkgeld bezeichnet wird, aber 10 v. H. des Umsatzes nicht übersteigt.

Das Finanzgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, daß den auf Schätzung beruhenden Aufzeichnungen der Kellnerin nicht zu folgen sei, weil nach der Lebenserfahrung die Kellnerin von jedem Gast, gleichviel, ob ihm das Pflichttrinkgeld voll oder nur zum Teil oder überhaupt nicht in Rechnung gestellt worden sei, mindestens den dem Pflichttrinkgeld entsprechenden Betrag erhalten habe. Dies ist eine auf einer möglichen Würdigung beruhende tatsächliche Feststellung, die den Senat bindet (§§ 288, 296 Abs. 1 AO).

Was die angeblich nicht abkassierten Waren angeht, so ist dem Finanzgericht darin beizutreten, daß solche Ausfälle nur bei eindeutiger Darlegung berücksichtigt werden können, weil anders jede Prüfung ausgeschlossen wäre. Soweit die Kellnerin die Waren bezahlen mußte, liegen Werbungskosten vor, die der Geltendmachung beim Finanzamt bedürfen. Es ist unrichtig, wenn das Finanzgericht die etwaigen Fehlbeträge mit den freiwilligen Trinkgeldern verrechnet hat.

Als Arbeitgeberin war die Bfin. zur Einbehaltung der Lohnsteuer verpflichtet. Wenn sie diese Verpflichtung nicht erfülle, so haftet sie grundsätzlich für die nicht einbehaltene Lohnsteuer (vgl. § 38 Abs. 3 EStG). Der Bfin. ist allerdings zuzugeben, daß sie sich in einer gewissen Zwangslage befand, wenn ihr von der Kellnerin als Pflichttrinkgelder ein Betrag angegeben wurde, der hinter dem von 10 v. H. der mit ihr abgerechneten Umsätze zurückblieb. Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine Inanspruchnahme des Arbeitgebers als Haftenden nur zulässig, wenn den Arbeitgeber ein Verschulden trifft. Der Arbeitgeber darf aber in Fällen der vorliegenden Art nicht einfach einen ihm benannten Betrag als richtig annehmen. Andererseits dürfen aber auch die Anforderungen an seine Nachprüfungspflicht nicht überspannt werden. Auf jeden Fall ist der Bfin. aber vorzuwerfen, daß sie die von der Kellnerin für angeblich nicht abkassierte Waren gezahlten Beträge - ebenso wie andere angebliche Werbungskosten - nicht ohne weiteres mit den Einnahmen der Kellnerin hätte verrechnen dürfen. Auch hinsichtlich der übrigen Punkte ist der Senat mit dem Finanzgericht der Auffassung, daß die von der Kellnerin gemachten Angaben so ungewöhnlich waren, daß die Bfin. eine Auskunft des Finanzamts über die lohnsteuerliche Behandlung (§ 56 LStDV) hätte einholen müssen.

 

Fundstellen

BStBl III 1964, 7

BFHE 1964, 17

BFHE 78, 17

StRK, EStG:38 R 49

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