Entscheidungsstichwort (Thema)

Veräußerung eines gemischt genutzten Grundstücks: Aufteilung in steuerfreien und steuerpflichtigen Umsatz

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob nach der 6. Richtlinie (77/388/EWG) ein gemischtgenutztes bebautes Grundstück als Gegenstand einer Lieferung in den unternehmerisch genutzten Teil und den nichtunternehmerisch genutzten Teil aufgespalten werden kann --Vorlage an den EuGH--.

 

Orientierungssatz

1. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.1. Ist bei einer Grundstücksveräußerung der unternehmerisch genutzte Teil des Grundstücks ein selbständiger Gegenstand einer Lieferung i.S. des Art. 5 Abs. 1 der 6. Richtlinie (77/388/EWG)?

1.2. Wird ein Grundstück, das in getrennten Räumen teils privat und teils unternehmerisch genutzt wird, gemäß Art. 17 Abs. 2 der 6. Richtlinie (77/388/EWG) im ganzen für Zwecke der besteuerten Umsätze des Unternehmens verwendet oder kann auch nur der unternehmerisch genutzte Teil dem Unternehmen zugeordnet werden?

1.3. Kann die Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach Art. 20 Abs. 2 der 6. Richtlinie (77/388/EWG) auf den unternehmerisch genutzten Teil eines Grundstücks beschränkt werden?

 

Normenkette

EWGRL 388/77 Art. 5 Abs. 1, Art. 17 Abs. 2, Art. 20 Abs. 2; UStG 1980 § 4 Nr. 9a, § 3 Abs. 1, § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 15a; EWGVtr Art. 177; UStG 1980 § 15 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (Entscheidung vom 17.02.1987; Aktenzeichen V 121/86)

 

Tatbestand

I. (Sachverhalt) Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Gastwirt. Er betrieb sein Unternehmen auf einem eigenen bebauten Grundstück in B. In den Gebäuden befand sich eine Pension, ein Restaurant und eine Privatwohnung.

Im Jahre 1981 verkaufte er das Grundstück; laut notariellem Kaufvertrag war ein Kaufpreis von 1 150 000 DM "zuzüglich 13 % Mehrwertsteuer" vereinbart.

Der Kläger behauptet, es handele sich bei dem Hinweis auf die Mehrwertsteuer um eine Ergänzung der notariellen Urkunde, die sich nur auf die betrieblich genutzten Grundstücks- und Gebäudeflächen habe beziehen sollen; für die Privatwohnung habe er keine Umsatzsteuer erhalten und der Käuferin auch nicht Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. In seiner Umsatzsteuererklärung für 1981 behandelte der Kläger die Veräußerung des unternehmerisch genutzten Grundstücksteils als umsatzsteuerpflichtig, ließ aber den auf die Privatwohnung entfallenden Erlös von 157 705 DM umsatzsteuerfrei.

Nach einer Außenprüfung setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) auch für die Veräußerung der Privatwohnung Umsatzsteuer fest.

Der hiergegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, abweichend vom Zivilrecht lägen umsatzsteuerrechtlich bei einem bebauten Grundstück, das teils unternehmerisch, teils zu Wohnzwecken genutzt werde, zwei selbständige Wirtschaftsgüter vor. Umsatzsteuer sei deshalb nur zu erheben, soweit der Kläger bezüglich des unternehmerisch genutzten Teils des Grundstücks gemäß § 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) auf die Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr.9 Buchst.a UStG 1980 verzichtet habe. Der Kläger habe der Käuferin keine Steuer hinsichtlich der Privatwohnung in Rechnung gestellt; er schulde deshalb insoweit keine Umsatzsteuer nach § 14 Abs.3 UStG 1980.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Es meint, Grundstück und Gebäude seien eine Sache i.S. des § 90 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und dementsprechend auch ein Gegenstand i.S. des § 3 Abs.1 UStG 1980. Eine Teilung des Grundstücks in einen ausschließlich unternehmerisch und einen ausschließlich privat genutzten Teil sei nicht einmal real möglich, da noch Teile verblieben, die beiden Teilen zugleich dienten (z.B. die Heizungsanlage, das Dach, das Treppenhaus und die für die Statik des Hauses wesentlichen Teile).

Da der Kläger gemäß § 9 UStG 1989 wirksam auf die Steuerbefreiung des Grundstücksumsatzes (§ 4 Nr.9 Buchst.a UStG 1980) verzichtet habe, unterliege der ganze Grundstücksumsatz der Umsatzsteuer.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. (Zur Rechtslage nach nationalem Recht) 1. Für die Entscheidung des Falles sind die folgenden Vorschriften zu prüfen.

Nach § 1 Abs.1 Nr.1 UStG 1980 unterliegen Lieferungen, die ein Unternehmer gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, der Umsatzsteuer. Eine Lieferung ist eine Leistung, durch die ein Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (§ 3 Abs.1 UStG 1980). Nach § 4 Nr.9 Buchst.a UStG 1980 sind Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen, steuerfrei. Nach § 9 UStG 1980 in der für das Streitjahr geltenden Fassung kann ein Unternehmer einen Umsatz, der nach § 4 Nr.9 Buchst.a UStG 1980 steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. Ändern sich bei einem Grundstück einschließlich seiner wesentlichen Bestandteile die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb von zehn Jahren seit der Verwendung, so ist für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen (§ 15a Abs.1 UStG 1980).

2. Für die Anwendung dieser Vorschriften ist streitig, ob und inwieweit ein bebautes Grundstück in mehrere Liefergegenstände i.S. des § 3 Abs.1 UStG 1980 aufgeteilt werden kann. Die Befürworter einer Aufteilungsmöglichkeit nehmen Ähnlichkeit zu Sachverhalten an, bei denen der Eigentümer des Grundstücks Wohnungseigentum und Sondereigentum (an den dem Unternehmen dienenden Räumen) geschaffen hat.

a) Versteht man die genannten Vorschriften mit dem FG dahin, daß das gelieferte Grundstück in einen unternehmerisch genutzten Grundstücksteil und einen nichtunternehmerisch genutzten Grundstücksteil aufgeteilt werden kann, erscheint die Entscheidung des FG im Ergebnis als richtig. Hatte der Kläger die Wohnung seinem Unternehmen nicht zugeordnet, hat er sie auch nicht "im Rahmen seines Unternehmens" veräußert, so daß insoweit kein steuerbarer Umsatz i.S. des § 1 Abs.1 Nr.1 UStG 1980 vorliegt. Hat er hingegen das gesamte Grundstück "im Rahmen seines Unternehmens" veräußert, konnte der Verzicht auf die Steuerbefreiung jedoch auf den unternehmerisch genutzten Teil beschränkt werden, dann war die Veräußerung der Privatwohnung nach § 4 Nr.9 Buchst.a UStG 1980 steuerfrei. In beiden Fällen hat das FG die Veräußerung des Wohnteils zu Recht von der Steuer freigestellt.

b) Versteht man die genannten Vorschriften mit dem FA dahin, daß das (im Grundbuch als eine Parzelle eingetragene) Grundstück nicht in weitere Liefergegenstände aufgeteilt werden kann, neigt der Senat der Auffassung zu, daß der Verzicht des Klägers auf die Steuerbefreiung ins Leere ging, da er nicht die Veräußerung des gesamten Grundstücks erfaßt.

Der Kläger schuldet dann die der Käuferin in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nach § 14 Abs.2 UStG 1980. Insoweit bleibt es im Ergebnis bei der vom FG für das Streitjahr festgesetzten Steuer.

Darüber hinaus kommt jedoch noch eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG 1980 in Betracht wegen der steuerpflichtigen Lieferungen und Leistungen, die der Kläger vor der Grundstücksveräußerung für sein Grundstück bezogen hat. Der für diese Lieferungen und Leistungen in Anspruch genommene Vorsteuerabzug ist nach § 15a UStG 1980 zu berichtigen, da die steuerfreie Grundstücksveräußerung den Vorsteuerabzug ausschließt (§ 15 Abs.2 UStG 1980).

c) Die Frage, ob das Grundstück als einheitlicher Liefergegenstand zu behandeln ist oder ob der unternehmerisch genutzte Grundstücksteil gegenüber dem Wohnteil als gesonderter Liefergegenstand behandelt werden kann, ist mithin entscheidungserheblich. Nur im letztgenannten Fall ist das Urteil des FG zu bestätigen.

III. (Auslegungsfragen zur 6. Richtlinie 77/388/EWG) 1. Da der Begriff der Lieferung in § 3 Abs.1 UStG 1980 und in Art.5 Abs.1 der 6.Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer --gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage-- vom 17.Mai 1977, 77/388/EWG --6.Richtlinie-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 145 S.1) grundsätzlich inhaltsgleich sein muß, legt der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

Ist bei einer Grundstücksveräußerung der unternehmerisch genutzte Teil des Grundstücks ein selbständiger Gegenstand einer Lieferung i.S. des Art.5 Abs.1 der 6.Richtlinie (77/388/EWG)?

2. Die Steuerbefreiung des Grundstücksumsatzes nach § 4 Nr.9 Buchst.a UStG 1980 findet --in Fällen der streitigen Art-- ihre Entsprechung in Art.13 Teil B Buchst.g der 6.Richtlinie, die Möglichkeit des Verzichts auf die Steuerbefreiung nach § 9 UStG 1980 in Art.13 Teil C der 6.Richtlinie.

Nach Art.13 Teil C der 6.Richtlinie können die Mitgliedstaaten den Umfang des Optionsrechts einschränken. Eine derartige Einschränkung hat unmittelbare Auswirkung auf den Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug durch den Erwerber nach Art.17 der 6.Richtlinie.

Der Senat hält die --zu § 9 UStG 1980 vertretene-- Ansicht, die Option für die Steuerpflicht des Grundstücksumsatzes könne auf den unternehmerisch genutzten Grundstücksteil beschränkt werden, nur dann für sinnvoll, wenn dies beim Erwerber die Folge hat, daß dessen Unternehmen nicht das gesamte Grundstück, sondern nur der unternehmerisch genutzte Teil zuzuordnen ist.

In seinem Urteil vom 11.Juli 1991 Rs. C 97/90 (Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1992, 17) hat der EuGH (unter Nr.26) ausgeführt, daß bei einer Person, die einen Gegenstand teilweise für Zwecke ihrer besteuerten Umsätze und teilweise für private Zwecke verwendet und die zum Zeitpunkt des Erwerbs des Gegenstands die gezahlte Vorsteuer ganz oder zum Teil zurückerhalten hat, angenommen wird, daß sie den Gegenstand in vollem Umfang für Zwecke ihrer besteuerten Umsätze i.S. von Art.17 Abs.2 der 6.Richtlinie verwendet, und daß die Verwendung des dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf nach Art.6 Abs.2 Buchst.a der 6.Richtlinie besteuert wird. In dem Urteil ging es um einen gemischtgenutzten PKW, während es im vorliegenden Fall um ein gemischtgenutztes Grundstück geht, das in getrennten Räumen unternehmerisch und nichtunternehmerisch genutzt wird.

Der Senat legt deshalb dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

Wird ein Grundstück, das in getrennten Räumen teils privat und teils unternehmerisch genutzt wird, gemäß Art.17 Abs.2 der 6.Richtlinie (77/388/EWG) im ganzen für Zwecke der besteuerten Umsätze des Unternehmens verwendet oder kann auch nur der unternehmerisch genutzte Teil dem Unternehmen zugeordnet werden?

3. Die Frage nach der Teilbarkeit des Grundstücks hat auch Bedeutung für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a UStG 1980. Bei einer Aufteilung ist eine Berichtigung der auf den Wohnteil entfallenden Vorsteuer von vornherein ausgeschlossen. Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs ist in der 6* .Richtlinie in Art.20 geregelt. Nach § 15a Abs.1 Satz 2 UStG 1980 beträgt der Berichtigungszeitraum für Grundstücke in Übereinstimmung mit Art.20 Abs.2 letzter Unterabsatz der 6.Richtlinie zehn Jahre.

Der Senat legt deshalb dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

Kann die Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach Art.20 Abs.2 der 6.Richtlinie (77/388/EWG) auf den unternehmerisch genutzten Teil eines Grundstücks beschränkt werden?

4. Die Fragen betreffen die Auslegung der 6.Richtlinie. Ihre Vorlage an den EuGH ist deshalb nach Art.177 Abs.1 Buchst.b und Abs.3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geboten. Bis zur Entscheidung des EuGH wird das Revisionsverfahren ausgesetzt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64271

BFH/NV 1992, 63

BFHE 167, 572

BFHE 1992, 572

BB 1992, 2060

BB 1992, 2060-2061 (LT)

DB 1992, 1612 (L)

DStR 1992, 1059 (KT)

HFR 1992, 646 (LT)

StE 1992, 407 (K)

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