Entscheidungsstichwort (Thema)

Zugangsvermutung bei durch die Post übermittelten Verwaltungsakten

 

Leitsatz (NV)

1. An der gesetzlichen Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 können Zweifel, die den Nachweis des rechtzeitigen Zugangs durch das FA erforderlich machen, nur durch substantiierten Vortrag entsprechender Tatsachen begründet werden.

2. Die Versäumung einer Frist wegen Urlaubsabwesenheit des Antragstellers kann ein Grund für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sein.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 110, 122 Abs. 2 Nr. 1, § 355; FGO § 142; ZPO § 114; Postordnung § 45 Abs. 2, § 50 Abs. 1

 

Tatbestand

Das Finanzamt (FA) nahm den Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der GmbH wegen Lohnsteuerrückständen dieser Gesellschaft durch Haftungsbescheid in Anspruch, der ausweislich der Steuerakten am 18. Mai 1988 mit einfachem Brief zur Post gegeben wurde. Der Brief war an die Privatanschrift des Antragstellers adressiert. Gegen den Haftungsbescheid erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 4. Juli 1988 Einspruch, der am 6. Juli 1988 beim FA einging. Der Antragsteller brachte vor, er habe den Bescheid nicht unter seiner Privatadresse erhalten; vielmehr sei der Bescheid am 2. Juli 1988 bei der Überprüfung von Posteingängen in den Geschäftsräumen der GmbH aufgefunden worden.

Der Antragsteller beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil er von Mai bis Juni 1988 in Urlaub gewesen sei. Die Aufforderung des FA, den genauen Zeitraum der Urlaubsabwesenheit mitzuteilen, ließ der Antragsteller unbeantwortet. Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig. Dagegen richtet sich die Klage des Antragstellers, für deren Durchführung er die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozeßbevollmächtigten beantragt.

Das Finanzgericht (FG) wies den Antrag als unbegründet zurück. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit der Beschwerde.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das FG hat den Antrag des Antragstellers auf Gewährung von PKH unter Beiordnung seines Prozeßbevollmächtigten zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) wird PKH nur gewährt, wenn u. a. die Rechtsverfolgung nach summarischer Prüfung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzung ist - wie das FG rechtsfehlerfrei erkannt hat - im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil nach dem Ergebnis einer summarischen Prüfung des Vortrags des Antragstellers der Einspruch des Antragstellers gegen den Steuerhaftungsbescheid bereits unzulässig ist.

1. Der Antragsteller hat die Frist für die Einlegung des Einspruchs (§ 355 der Abgabenordnung - AO 1977 -) versäumt. Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der, wie im vorliegenden Fall, durch die Post übermittelt worden ist, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugegangen; das ist hier der 21. Mai 1988. Diese Vermutung gilt nur dann nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich nicht oder verspätet zugegangen ist. Bestehen insoweit Zweifel, muß das FA den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachweisen.

Der Haftungsbescheid ist dem Antragsteller unstreitig zugegangen; denn sein Bevollmächtigter hat ihn nach eigenem Vorbringen am 2. Juli 1988 in der Firmenpost in den Geschäftsräumen der Firma entdeckt. Aufgrund der in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 aufgestellten Vermutung ist aber auch davon auszugehen, daß der Haftungsbescheid dem Antragsteller spätestens am 21. Mai 1988 zugegangen ist. Dies bestreitet der Antragsteller zwar. Um Zweifel an der gesetzlichen Vermutung begründen zu können, die es erforderlich machen, daß das FA den rechtzeitigen Zugang nachweist, ist es jedoch erforderlich, daß der Antragsteller entsprechende Tatsachen substantiiert vorträgt (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. November 1985 V R 3/83, BFH/NV 1987, 274; vom 23. Oktober 1986 IV R 21/85, BFH/NV 1987, 412). Das hat der Antragsteller aber sowohl im Verfahren vor dem FG wie im Beschwerdeverfahren nicht getan.

Unstreitig ist, daß der Steuerhaftungsbescheid an die Privatadresse des Antragstellers gerichtet war. Es ist daher nach den postalischen Vorschriften (§ 45 Abs. 2 i. V. m. § 50 Abs. 1 der Postordnung vom 16. Mai 1963, BGBl I 1963, 341) davon auszugehen, daß der Brief mit dem Steuerhaftungsbescheid von der Post dem Antragsteller an diese Anschrift übermittelt wurde. Die dagegen vorgetragene Behauptung des Antragstellers, die Post habe den Brief mit dem Steuerbescheid in diesem Fall an die GmbH übermittelt, ist dagegen nicht hinreichend substantiiert und vermag deshalb keine Zweifel an der ordnungsgemäßen Übermittlung des Briefes an die Privatanschrift des Antragstellers begründen. Denn der Umstand allein, daß der Brief in der Post der GmbH aufgefunden wurde, kann auch andere Gründe als den der Übermittlung an die Anschrift der Firma haben. Insofern hat der Antragsteller selbst im Einspruchsverfahren die Vermutung geäußert, daß während seiner Urlaubsabwesenheit die an seine Privatanschrift übermittelte Briefpost von dort mit anderer für die Firma und die Ehefrau bestimmter Post abgeholt und in die Geschäftsräume der Firma gebracht worden sei; deshalb sei der Brief mit dem Haftungsbescheid zwischen der Geschäftspost der Firma aufgefunden worden. Soweit der Antragsteller abweichend davon auch geltend macht, daß die Post den Brief unmittelbar bei der GmbH abgegeben habe, weil ihr bekannt gewesen sei, daß der Antragsteller unter deren Anschrift früher mit der GmbH tätig gewesen sei und dafür Beweis durch Frau Y anbietet, ergibt sich aus dessen Ausführungen, daß auch dies nur eine Vermutung des Antragstellers ist. Für eine entsprechende Tatsachenbehauptung fehlt es auch daran, als Beweis eine Bekundung durch den zuständigen Zustellungsbeamten der Post anzubieten, der insoweit allein eine kompetente Aussage machen könnte. Dagegen soll die angebotene Zeugin, Frau Y, nach dem vorgetragenen Beweisthema keine eigenen Wahrnehmungen über den tatsächlichen Ablauf der Postzustellung bekunden, sondern nur die gleiche Vermutung bestätigen, wie sie auch der Antragsteller geäußert hat.

2. Ferner hat das FG auch richtig erkannt, daß der Antrag des Antragstellers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO 1977 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Denn der Antragsteller hat nicht substantiiert vorgetragen, daß er ohne Verschulden gehindert war, die Einspruchsfrist einzuhalten. Zwar ist es inzwischen grundsätzlich anerkannt, daß eine vorübergehende Urlaubsabwesenheit den Steuerpflichtigen nicht verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß ihn Bescheide so erreichen, daß er ggf. rechtzeitig Einspruch einlegen kann (vgl. dazu im einzelnen Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 110 AO 1977 Tz. 7). Der Antragsteller hat aber trotz Aufforderung durch das FG keine Beweise dafür vorgelegt, daß und wie lange er genau im Urlaub war sowie daß er während dieser Zeit nicht unter seiner Anschrift zu erreichen war. Die bloße Behauptung des Antragstellers, er habe sich im Urlaub befunden, reicht insoweit schon deshalb nicht aus, weil sie nicht ausschließt, daß der Antragsteller sich während dieser Zeit auch zu Hause aufgehalten hat und es ihm damit bei ordnungsgemäßer Behandlung des Haftungsbescheids möglich gewesen wäre, die Einspruchsfrist einzuhalten.

3. Bei dieser Sachlage brauchte der Senat nicht zu prüfen, ob die weitere Voraussetzung für die Gewährung der PKH vorliegt, nämlich, daß der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann.

 

Fundstellen

BFH/NV 1992, 578

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