Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Vereinbarkeit der deutschen Schaumweinbesteuerung mit Art. 95 Abs. 2 EGV

 

Leitsatz (NV)

1. Alle fristgerecht eingegangenen Schriftsätze des Beschwerdeführers zusammen stellen die "Beschwerdeschrift" i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO dar.

2. Läßt das FG unter Ablehnung der begehrten Vorlage an den EuGH die Revision nicht zu, so begründet dies für sich allein keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

3. Die bloße Behauptung, eine innerstaat liche Norm verstoße gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht, entbindet regelmäßig nicht von dem Erfordernis einer näheren Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung dieser Frage.

4. Die Frage, ob die deutsche Schaumweinbesteuerung eine i. S. des Art. 95 Abs. 2 EGV unzulässige Schutzwirkung zugunsten des bei der Schaumweinherstellung verwendeten Stillweins deutscher Herkunft entfaltet, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Frage ist klar zu verneinen und läßt keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel, so daß der BFH in einem Revisionsverfahren keine Vorabentscheidung des EuGH dazu einholen müßte.

 

Normenkette

EGVtr Art. 95 Abs. 1-2, Art. 177 (jetzt Art. 234 EG); FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3

 

Tatbestand

Auf von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) im Dezember 1992 eingeführten spanischen Schaumwein hatte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt -- HZA --) Schaumweinsteuer erhoben. Die von der Klägerin hiergegen nach erfolglosem Einspruch eingelegte Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) sah in der Erhebung von Schaumweinsteuer auf aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft eingeführten Schaumwein weder einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 95 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft -- jetzt Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) -- noch einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot nach Art. 95 Abs. 2 dieses Vertrages. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 766 abgedruckte Urteil der Vorinstanz verwiesen.

Mit der vorliegenden Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision gegen dieses Urteil und stützt sich dabei ausschließlich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Das HZA ist der Beschwerde entgegenge treten.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist, soweit zulässig, unbegründet. Dabei ist, sieht man mit dem FG die Beschwerde bereits mit dem Schriftsatz der Klägerin vom 10. Mai 1994 als eingelegt an, unschädlich, daß ein wesentlicher Teil der Beschwerdebegründung in einem besonderen Schriftsatz (vom 22. Mai 1994) nachgereicht worden ist. Da dieser Schriftsatz jedenfalls innerhalb der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beim FG eingegangen ist (§ 115 Abs. 3 Sätze 1 und 2 FGO), stellen beide Schriftsätze zusammen die "Beschwerdeschrift" i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO dar (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 115 Anm. 55 m. w. N.).

1. Soweit die Klägerin vorträgt, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO sei schon darin zu sehen, daß die Vorinstanz die Sache (entgegen den Vorstellungen und Wünschen der Klägerin) nicht dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Vorabentscheidung gemäß Art. 177 EGV vorgelegt habe und deshalb nun den Bundesfinanzhof (BFH) die Vorlageverpflichtung treffe, wird eine in dem begehrten Revisionsverfahren klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage nicht dargelegt. In der (negativen) Entscheidung des FG über die Zulassung allein kann eine grundsätzliche Bedeutung nicht gesehen werden, da bei Zulassung des Rechtsmittels nicht über diese, sondern über die Rechtssache als solche zu entscheiden wäre (Senatsbeschluß vom 3. Februar 1987 VII B 129/86, BFHE 148, 489, BStBl II 1987, 305).

Es handelt sich dabei vielmehr um eine das Verfahren als solches betreffende Frage, bei der es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) um die Einhaltung des Gebots des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) geht (vgl. grundlegend BVerfG-Beschluß vom 22. Oktober 1986 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 366). Einen Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO macht die Klägerin indessen nicht als Zulassungsgrund geltend. Er läge auch nicht vor, denn das FG war als erstinstanzliches Gericht gemäß Art. 177 Abs. 2 EGV nicht zu einer Vorlage an den EuGH verpflichtet (BVerfG-Beschluß vom 31. Mai 1990 2 BvL 12, 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 159, 196; BFHE 148, 489, BStBl II 1987, 305).

Des weiteren wirkt sich die Nichtvorlage durch das FG als solche nicht ohne weiteres dahin aus, daß, wie die Klägerin offensichtlich anzunehmen scheint, nun der BFH unter allen Umständen seinerseits verpflichtet wäre, durch Zulassung der Revision eine Vorlage an den EuGH zu ermög lichen. Notwendige Voraussetzungen hierfür wären zum einen, daß das nach der Prozeßordnung zur Fortsetzung des Rechtsstreits notwendige Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde nicht bereits an den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 115 FGO scheitert, und zum anderen die vom Rechtsmittelgericht zu treffende Entscheidung, daß die Vorlage einer im Streitfall entscheidungserheblichen Rechtsfrage an den EuGH i. S. des Art. 177 EGV unter Berücksichtigung der dazu ergangenen einschlägigen Rechtsprechung des EuGH und des BVerfG geboten ist (s. dazu zuletzt BVerfG-Beschluß vom 16. Dezember 1993 2 BvR 1725/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1994, 348, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1994, 2017).

2. Lediglich die Andeutung der Frage, die von grundsätzlicher Bedeutung sein soll, ob nämlich die Schaumweinsteuer auf eingeführte Schaumweine mit Gemeinschaftsrecht zu vereinbaren sei, reicht zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung durch die Klägerin gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht aus. So wie für eine ordnungs gemäße Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit einer vom FG angewendeten Vorschrift nicht genügt (ständige Rechtsprechung des BFH, s. z. B. BFH-Beschluß vom 27. März 1992 III B 547/90, BFHE 168, 17, BStBl II 1992, 842), entbindet auch die bloße Behauptung des Verstoßes einer innerstaatlichen Norm gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht nicht von dem Erfordernis einer näheren Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung dieser Frage. Nur ausnahmsweise, wenn die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Frage so offenkundig ist, daß das Verlangen, konkrete Angaben zur Grundsätzlichkeit der Sache zu machen, eine unnötige Förmelei bedeutete, kann auf die nähere Darlegung, weshalb eine Regelung verfassungsrechtlich bzw. gemeinschaftsrechtlich bedenklich sein soll, verzichtet werden (BFH-Beschluß vom 9. Mai 1988 IV B 35/87, BFHE 153, 378, BStBl II 1988, 725). Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor. Die Klägerin hätte sich zumindest mit der vom BFH vertretenen Auffassung auseinandersetzen müssen, wonach die Belastung von aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft eingeführten Schaumweinen mit Schaumweinsteuer nicht gegen Gemeinschaftsrecht, insbesondere nicht gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 95 Abs. 1 EGV verstößt, weil in bezug auf die Schaumweinsteuer eine uneingeschränkte Belastungsgleichheit von eingeführten und inländischen Schaumweinen gewährleistet ist (vgl. BFH-Urteile vom 28. Juli 1992 VII R 84, 85/91, BFHE 169, 266; vom 17. Februar 1994 VII R 92/93, BFH/NV 1994, 905).

3. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der weiteren aufgeworfenen Rechtsfragen hinreichend dargelegt hat, denn die Beschwerde ist insoweit jedenfalls unbegründet.

a) Nicht klärungsfähig, weil nicht entscheidungserheblich, ist die (von der Klägerin bejahte) Frage, ob zwischen eingeführtem Schaumwein und inländischem Stillwein Substitutionskonkurrenz, also ein Wettbewerbsverhältnis dergestalt besteht, daß beide Getränke auf dem Markt, insbesondere aus der Sicht des Verbrauchers, grundsätzlich austauschbar sind (zur Problematik vgl. Klein/Wolffgang in Lenz, EGV-Kommentar, 1994, Art. 95 Rdnr. 32). Denn das FG hat in einer Hilfsbegründung auch auf der Grundlage dieser von der Klägerin vertretenen Argumentation einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht nicht feststellen können. Eine Vorlage nur dieser Frage an den EuGH käme daher in einem künftigen Revisionsverfahren für den Senat mangels Entscheidungserheblichkeit nicht in Betracht.

b) Im wesentlichen möchte die Klägerin aber durch die Zulassung der Revision und durch eine Vorabentscheidung des EuGH die Frage geklärt wissen, ob Art. 95 Abs. 2 EGV der deutschen Schaumweinbesteuerung entgegensteht, obschon diese das Enderzeugnis (Schaumwein) ohne Rücksicht auf inländische oder ausländische Herkunft gleichbehandelt, indessen aber nach Auffassung der Klägerin eine unzulässige Schutzwirkung zugunsten des bei der Schaumweinherstellung verwendeten Grunderzeugnisses (Stillwein deutscher Herkunft) entfaltet, weil die Sektsteuer geeignet sein soll, die Produktion deutschen Grundweines mittelbar zu schützen, was für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 95 Abs. 2 EGV genügen soll.

Diese Auffassung der Klägerin, die bereits das FG unter ausführlicher Erörterung der Problematik anhand des Prüfungsmaß stabes des Art. 95 Abs. 2 EGV zurück gewiesen und aus eigener Rechtsüberzeugung bewußt nicht dem EuGH zur Prüfung unterbreitet hat, vermag eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht zu begründen.

Der Senat läßt offen, ob dieser Vortrag der Klägerin überhaupt im Rahmen der Prüfung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache Berücksichtigung finden kann, da das FG keinerlei Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht getroffen hat, die dieses Vorbringen stützen könnten, und die Klägerin demgegenüber Verfahrensfehler, etwa Aufklärungsmängel, nicht geltend gemacht hat. Jedenfalls träfe nämlich die Auffassung der Klägerin nicht zu. Das ist trotz Fehlens einer hierzu unmittelbar einschlägigen Rechtsprechung des EuGH nach der Überzeugung des Senats klar und offenkundig und läßt keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel, so daß der Senat zu dieser Frage in einem Revisionsverfahren keine Vorabentscheidung des EuGH einholen müßte, sondern die Frage selbst mitbeurteilen könnte (vgl. zu diesen Ansätzen BVerfG, HFR 1994, 348, 349; EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 -- C.I.L.F.I.T. --, EuGHE 1982, 3415, 3430, Abs. 16 der Gründe).

Das das Diskriminierungsverbot des Art. 95 Abs. 1 EGV notwendig ergänzende Verbot von Schutzmaßnahmen des Art. 95 Abs. 2 EGV (EuGH, Urteil vom 4. April 1968 Rs. 27/67 -- Fink-Frucht --, EuGHE 1968, 333, 346) soll verhindern, daß eine inländische Abgabe ein eingeführtes Erzeugnis höher belastet als ein nicht gleichartiges inländisches Erzeugnis, das mit ihm im Hinblick auf seine wirtschaftlichen Verwendungsmöglichkeiten im Wettbewerb steht (EuGHE 1968, 333, 347). Unterstellt man zugunsten der Klägerin, daß eingeführter Schaumwein als eine dem deutschen Stillwein nicht gleichartige Ware i. S. des Art. 95 Abs. 1 EGV zu diesem in einem Substitutionswettbewerb steht, so kommt gleichwohl eine Verletzung des Art. 95 Abs. 2 EGV nur in Betracht, wenn die Besteuerung des eingeführten Schaumweins geeignet wäre, eine auch nur mittelbare protektionistische Wirkung zugunsten des deutschen Stillweins zu entfalten (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Mai 1987 Rs. 193/85 -- Cooperativa Co-Frutta --, EuGHE 1987, 2085, 2110). Das wäre der Fall, wenn die Abgabenbelastung Auswirkungen auf das Verbraucherverhalten dahingehend hätte, daß der potentielle Verbrauch des eingeführten Schaumweins zugunsten des Verbrauchs an deutschem Stillwein zurückginge (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Juli 1987 Rs. 356/85 -- Kommission/Belgien --, EuGHE 1987, 3299, 3325). Da anders als beim Vergleich der Abgaben auf gleichartige Waren gemäß Art. 95 Abs. 1 EGV ein arithmetischer Belastungsvergleich hier nicht möglich ist, kann die Eignung der Abgabe zum mittelbaren Schutz der inländischen Produktion im Einzelfall nur aufgrund eines Abwägungsprozesses aller wirtschaftlich in Betracht kommenden einschlägigen Umstände prognostiziert werden, wobei statistische Daten einfließen können (EuGH, Urteil vom 27. Februar 1980 Rs. 170/78 -- Kommission/Vereinigtes Königreich --, EuGHE 1980, 417, 433; vgl. auch Klein/Wolffgang in Lenz, a. a. O., Art. 95 Rdnr. 33; Geiger, EG-Vertrag, 1993, Art. 95 Rz. 20).

Die Feststellungen des FG sowie die vom HZA in seiner Beschwerdeerwiderung vorgetragenen und von der Klägerin nicht in Zweifel gezogenen statistischen Angaben belegen klar, daß mangels eines hinreichend gesicherten Kausalzusammenhangs zwischen der Erhebung der Schaumweinsteuer auf eingeführten Schaumwein und dem Absatz deutschen Stillweins die Verbrauchsteuer auf eingeführten Schaumwein keine i. S. des Art. 95 Abs. 2 EGV unzulässige Schutzwirkung zugunsten der deutschen Stillweinproduktion entfalten kann. Nach der amtlichen Weinbilanz 1991/92 ist der Verbrauch inländischer und ausländischer Weine in der Bundesrepublik Deutschland in etwa gleich groß. Der inländischen Herstellung von 10 049 000 hl steht ein geringfügig höherer Import von 10 494 000 hl gegenüber. Eine etwaige protektionistische Wirkung der Schaumweinsteuer käme demnach statistisch in gleicher Weise auch der ausländischen Produktion zugute, die verbrauchsteuerfrei nach Deutschland importiert wird. Dabei dürfte zusätzlich ins Gewicht fallen, daß der Konsument, sollte er etwa gerade wegen der Belastung mit Schaumweinsteuer auf spanischen Schaumwein verzichten und auf Stillwein ausweichen, aus nachvollziehbaren Gründen eher auf spanischen (oder anderen ausländischen) Wein zurückgreifen dürfte als auf einheimischen, zumal ausländische Weine, wie die Vergleiche in Supermärkten zeigen, preislich im Durchschnitt nicht ungünstiger angeboten werden als die deutschen Weine. Des weiteren ist aus statistischer Sicht (Daten für 1992) zu bedenken, daß Deutschland pro Kopf den weltweit größten Sektverbrauch hat und daß ein beträchtlicher Teil dieses Sektverbrauchs (99,1 Mio Flaschen gegenüber 450,3 Mio Flaschen) auf Importe aus dem Ausland entfallen. Diese Daten belegen, daß die deutsche Schaumweinbesteuerung keine Schutzwirkung zugunsten der inländischen Weinerzeugung entfaltet. Es wäre daher in einem etwaigen Revisionsverfahren nicht angezeigt, die nach Auffassung des Senats wettbewerbsneutrale deutsche Schaumweinbesteuerung dem EuGH zur Prüfung unter dem Aspekt ihrer Vereinbarkeit mit Art. 95 Abs. 2 EGV vorzulegen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 830

NJW 1996, 279

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