Entscheidungsstichwort (Thema)

Erlaß aus Billigkeitsgründen nach § 227 AO 1977

 

Leitsatz (NV)

Ein Erlaßantrag aus Billigkeitsgründen wegen persönlicher Härte kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß dem Antragsteller im Fall der Beitreibung der Steuerschuld noch das nach den Lohnpfändungsvorschriften (§§ 850 ff. ZPO) unpfändbare Lohneinkommen zum Lebensunterhalt verbleibe.

 

Normenkette

AO 1977 § 227; FGO §§ 102, 142; ZPO § 114

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat beim FG die Gewährung von Prozeßkostenhilfe zur Durchführung eines Klageverfahrens wegen Erlasses von Haftungsschulden für Umsatzsteuer und Lohnsteuer, Lohnkirchensteuer nebst Verspätungszuschlägen (insgesamt 222 112,86 DM) beantragt. Das FG hat den Antrag abgelehnt.

Zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung hat das FG ausgeführt: Die mit der Klage angestrengte Rechtsverfolgung biete keine Aussicht auf Erfolg (§ 142 FGO i.V.m. § 114 ZPO). Allenfalls komme ein Erlaß aus persönlichen Billigkeitsgründen in Betracht. Die Entscheidung hierüber sei eine Ermessensentscheidung, die nach § 102 FGO nur darauf überprüft werden könne, ob die Erlaßbehörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten habe oder von dem Ermessen in einer seinem Zweck nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht habe. Dies sei hier nicht der Fall. Das FA - und ihm folgend die OFD in der Beschwerdeentscheidung - hätten zu Recht die Erlaßbedürftigkeit des Klägers verneint, weil dieser den notwendigen Lebensunterhalt für sich und seine Familie aus dem unpfändbaren Teil seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (als Arbeitnehmer bei einer GmbH) bestreiten könne. Die Pfändungsschutzvorschriften für Arbeitseinkommen dienten dazu, dem Schuldner das für den Lebensunterhalt Notwendige zu belassen. Dabei werde berücksichtigt, wie vielen Personen der Schuldner Unterhalt zu leisten habe (§ 850c ZPO), welche Beträge unmittelbar aufgrund steuerrechtlicher oder sozialrechtlicher Vorschriften zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen des Schuldners abzuführen seien und welche diesen Verpflichtungen gleichstehenden Beträge der Schuldner selbst entrichte (§ 850e ZPO). Auf Antrag könne dem Schuldner auch von dem pfändbaren Arbeitseinkommen noch ein Teil belassen werden, wenn ein besonderer Bedarf gegeben sei und überwiegende Belange des Gläubigers nicht entgegenstünden (§ 850f ZPO).

Durch die Pfändungsschutzvorschriften sei somit bereits gewährleistet, daß dem Kläger von seinem Arbeitseinkommen das Existenzminimum verbleibe. Auf die Berechnung der monatlichen Ausgaben des Klägers komme es insoweit nicht an.

Mit der Beschwerde verfolgt der Kläger das Prozeßkostenhilfebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Der erkennende Senat hält hinreichende Erfolgsaussichten der Klage i.S. von § 142 FGO i.V.m. § 114 ZPO schon deshalb für gegeben, weil die Ausführungen der OFD in der Beschwerdeentscheidung erkennen lassen, daß die OFD - ohne hinreichende Prüfung der nicht näher dargestellten gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., Tz. 46 zu § 227 AO 1977, mit Hinweisen) - den begehrten Erlaß aus Billigkeitsgründen (§ 227 der Abgabenordnung - AO 1977 -) letztlich unter dem Gesichtswinkel der §§ 850 ff. ZPO - den Lohnpfändungsvorschriften - abgelehnt hat. Dieser Gesichtspunkt vermag jedoch die Ablehnung nicht zu tragen. Denn die Lohnpfändungsvorschriften gewährleisten nur das Existenzminimum, während es im Zusammenhang mit § 227 AO 1977 darauf ankommt, ob der lebensnotwendige Unterhalt im Sinne einer angemessenen, d.h. zwar bescheidenen, nicht aber ärmlichen Lebensführung gefährdet ist (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., Tz. 44 zu § 227 AO 1977). Die Beschwerdeentscheidung der OFD ist daher im Ergebnis nicht ermessenskonform (vgl. § 102 FGO letzte Alternative).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415026

BFH/NV 1988, 71

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