Leitsatz (amtlich)
Erwerb im Sinne des § 2 Nr. 1 KVStG 1959 kann auch die durch den Tod des bisherigen Gesellschafters ausgelöste erstmalige Zuordnung von Anteilen an einer Kommanditgesellschaft der in § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG 1959 bezeichneten Art sein.
Normenkette
KVStG 1959 § 2 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 4
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, und die Witwe W bildeten zunächst eine offene Handelsgesellschaft. Am 14. November 1964 starb Frau W und wurde von ihren beiden minderjährigen Adoptivkindern A und B je zur Hälfte beerbt. Die Gesellschaft wurde gemäß § 16 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags vom 30. September 1964 als Kommanditgesellschaft fortgesetzt: Persönlich haftende Gesellschafterin wurde die Antragstellerin, Kommanditisten wurden die beiden Erben mit dem entsprechend ihrer Erbquote auf sie entfallenden Anteil an der Gesellschaftsbeteiligung der Erblasserin. Von dem früher Frau W zustehenden Kapital der ehemaligen offenen Handelsgesellschaft wurde je ein Betrag von 200 000 DM auf das Kapitalkonto jedes der beiden Kommanditisten umgebucht. Der überschießende Teil des ehemaligen Kapitalkontos der Frau W wurde den Kommanditisten auf Sonderkonten gutgeschrieben.
Das FA - Antragsgegner und Beschwerdegegner - hielt den Erwerb der Kommanditanteile für gesellschaftsteuerpflichtig nach § 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 4 des Kapitalverkehrsteuergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Juli 1959 (BGBl I, 530, BStBl I, 596) - KVStG 1959 -. Es setzte die Gesellschaftsteuer durch Bescheid vom 19. Oktober 1970 auf 67 052,60 DM, durch Einspruchsentscheidung vom 23. August 1971 auf 61 150,85 DM fest.
Die Antragstellerin erhob Klage. Gleichzeitig beantragte sie, die Vollziehung des angefochtenen Bescheids auszusetzen. An dessen Rechtmäßigkeit bestünden insofern ernstliche Zweifel, als das FA davon ausgegangen sei, der in § 2 Nr. 1 KVStG 1959 enthaltene Begriff "Erwerb von Gesellschaftsrechten ... durch den ersten Erwerber" umfasse auch den Erwerb von Todes wegen. Gesellschaftsteuerbar sei indes nur der rechtsgeschäftliche Erwerb.
Das FG lehnte den Antrag ab. Durch das Wort "Erwerb" werde - wie der BFH in seinem zu § 2 Nr. 1 KVStG 1959 ergangenen Urteil vom 11. November 1969 II 196/65 (BFHE 98, 369, 370, BStBl II 1970, 335) erläutert habe - allgemein die erstmalige Zuordnung oder eine Änderung in der Zuordnung eines Gegenstandes zu einem Rechtsträger zum Ausdruck gebracht. Grund der Zuordnung könne ein Rechtsgeschäft, ein Realakt oder unmittelbar das Gesetz sein.
Mit der Beschwerde wiederholt die Antragstellerin im wesentlichen ihre Ansicht, mit dem Begriff "Erwerb" im Sinne des § 2 Nr. 1 KVStG 1959 sei "nur der rechtsgeschäftliche Erwerb von Gesellschaftsrechten durch den ersten Erwerber gemeint". Der Begriff umfasse "keinesfalls Rechtsfolgen, die von Todes wegen eingetreten" seien.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist unbegründet.
Das FG durfte es ablehnen, die Vollziehung des angefochtenen Bescheids auszusetzen, weil an dessen Rechtmäßigkeit keine ernstlichen Zweifel bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO). Für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids spricht, daß nach dem bisher erkennbaren Sachverhalt die Merkmale des steuerschuldbegründenden Tatbestandes - "Erwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft durch den ersten Erwerber" - erfüllt sind (§ 3 Abs. 1 StAnpG, § 2 Nr. 1 KVStG 1959). Als "Gesellschaftsrechte an einer inländischen Kapitalgesellschaft" gelten die Anteile der Erben A und B an der Kommanditgesellschaft, da deren persönlich haftende Gesellschafterin - die Antragstellerin - eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, also eine Kapitalgesellschaft ist, die ihren Sitz im Inland hat (§ 6 Abs. 1 Nr. 4, § 5 Abs. 1 Nr. 3 KVStG 1959). "Erworben" wurden diese Gesellschaftsrechte von den Erben A und B dadurch, daß sie ihnen erstmals zugeordnet wurden (vgl. BFH-Urteil vom 11. November 1969 II 196/65, BFHE 98, 369, 370, BStBl II 1970, 335).
Die Zuordnung beruhte auf
a) der im Vertrag der offenen Handelsgesellschaft enthaltenen Nachfolgeklausel, wonach "im Falle des Todes eines Gesellschafters ... die Gesellschaft mit seinen Erben fortgesetzt" wird und "die Erben ... mit dem nach ihrer Erbquote auf sie entfallenden Anteil an der Gesellschaftsbeteiligung des Erblassers Kommanditisten" werden,
und
b) dem Tod der Gesellschafterin W, der zur Folge hatte, daß deren Adoptivkinder A und B auf Grund ihres Erbrechts automatisch mit dem entsprechend ihrer Erbquote auf sie entfallenden Anteil an der Gesellschaftsbeteiligung ihrer Erblasserin Gesellschafter (Kommanditisten) der in eine Kommanditgesellschaft umgewandelten Gesellschaft wurden (vgl. §§ 1922, 1937 BGB; Urteil des BGH vom 22. November 1956 II ZR 222/55, BGHZ 22, 186, 192).
Die Zuordnung brauchte - entgegen der Ansicht der Antragstellerin - nicht durch "eigenes Rechtsgeschäft oder eigene tatsächliche Handlung" der Erben bewirkt worden zu sein. Vielmehr genügt "jeder Rechtsvorgang, der den Kommanditanteilen erstmals die in § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG 1959 beschriebene Zuordnung verschafft" (vgl. BFH-Urteil vom 8. März 1972 II R 45-46/71, BFHE 105, 444, BStBl II 1972, 628). Diese Zuordnung kann - wie im vorliegenden Falle - auch durch den Tod des bisherigen Gesellschafters ausgelöst worden sein.
Fundstellen
Haufe-Index 70163 |
BStBl II 1973, 190 |
BFHE 1973, 543 |