Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Berichtigung eines ESt-Bescheids wegen offenbarer Unrichtigkeit

 

Leitsatz (NV)

Ein ESt-Bescheid, bei dessen Erlaß infolge einer Flüchtigkeit des Veranlagungsbeamten übersehen wurde, daß die Ehefrau des Steuerpflichtigen bereits vor mehreren Jahren verstorben war, ist offenbar unrichtig i. S. des § 129 AO 1977. Die Klage gegen einen entsprechenden Berichtigungsbescheid hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

 

Normenkette

AO 1977 § 129

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin des am 22. September 1984 verstorbenen X, der seit 1977 verwitwet war. Durch Bescheide vom 9. Dezember 1985 und 3. März 1986 änderte der Beklagte (das Finanzamt - FA - ) die für 1980 und 1981 ergangenen Einkommensteuerbescheide, weil aufgrund des gespeicherten Datenbestandes die Splittingtabelle angewandt worden war.

Mit der hiergegen erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, die Voraussetzungen von § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) lägen nicht vor. Es handele sich hier nicht um eine offenbare Unrichtigkeit; denn die Möglichkeit eines Rechtsirrtums sei nicht auszuschließen. Immerhin finde die Splittingtabelle auch nach dem Ableben eines Ehegatten noch für eine gewisse Zeit Anwendung. X habe deshalb nicht davon ausgehen können, daß die Bescheide offensichtlich fehlerhaft seien, zumal er sich wegen seines Alters darüber keine klaren Vorstellungen hätte machen können.

Über die Klage ist noch nicht entschieden.

Zugleich mit der Klageerhebung beantragte die Klägerin die Gewährung von Prozeßkostenhilfe für das Klageverfahren. Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf amtlichem Formblatt fügte sie bei. Wegen des Inhalts wird auf die bei den Akten des Finanzgerichts (FG) befindliche Erklärung Bezug genommen.

Das FG lehnte den Antrag ab. Es führte aus, es könne offenbleiben, ob die Klägerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen könne; denn die Rechtsverfolgung biete jedenfalls keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die ursprünglichen Einkommensteuerbescheide seien offenbar unrichtig gewesen; die Möglichkeit eines Rechtsirrtums scheide aus. Die Anwendung der unzutreffenden Steuertabelle sei sowohl für die Klägerin wie auch für das FA ohne weiteres erkennbar gewesen. Aus dem EDV-Vorgang ergebe sich, daß die Stammdaten bei der Abgabe der Einkommensteuererklärung für 1981 nur bezüglich der Anschrift (Straße) sowie der Kontonummer geändert worden seien; versehentlich sei das Todesdatum der Ehefrau des Rechtsvorgängers nicht eingegeben worden. Dieses Versehen habe nicht auf einer tatsächlichen oder rechtlichen Wertung beruht und stelle sich somit als rein mechanisch im Sinne einer ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit dar. Die Klägerin könne sich demgegenüber auch nicht darauf berufen, daß unter bestimmten Umständen auch bei Wegfall der Voraussetzungen der §§ 26 Abs. 1 Satz 1, 26 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) noch eine Anwendung der Splittingtabelle in Betracht komme. Denn für die Streitjahre sei dies unzweifelhaft nicht der Fall gewesen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin. Sie führt aus, das FG gehe zu Unrecht davon aus, daß die unzutreffende Anwendung der Steuertabelle erkennbar gewesen sei. Für sie selbst sei nichts erkennbar gewesen, weil sie nicht Bescheidempfängerin gewesen sei. Für X sei ein rein mechanischer Fehler deshalb nicht erkennbar gewesen, weil für ihn der Steuerbescheid - wie wohl für die meisten Bürger - ohnehin nicht nachvollziehbar gewesen sei. Es fehle bereits das einfache Verständnis für Bescheide dieser Art. Im übrigen hätte es durchaus sein können, daß die Gewährung des Splittingtarifs ihre Berechtigung gehabt hätte. Wenn der Fehler tatsächlich so einfach erkennbar gewesen wäre, wie das FG meine, hätte das FA den Fehler sicherlich im zweiten Abrechnungszeitraum ohne weiteres erkannt und berichtigt. Im übrigen habe das FA überhaupt nicht vorgetragen, daß das Ableben der Ehefrau des X versehentlich nicht berücksichtigt worden sei. Es habe nicht einmal dargelegt, über das Ableben unterrichtet gewesen zu sein und eine entsprechende Abänderungsverfügung getroffen zu haben.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozeßkostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dem Antrag sind eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen; soweit Vordrucke für die Erklärung eingeführt sind, muß sich die Partei ihrer bedienen (§ 117 Abs. 2 und 4 ZPO).

Mit dem FG kann die Frage, ob die Klägerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozeßkostenhilfe erfüllt, dahingestellt bleiben, weil die Klage jedenfalls keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Gemäß § 129 AO 1977 können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden. Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler; sie können aber auch in einem unbeabsichtigten, unrichtigen Ausfüllen des Eingabebogens oder in einem Irrtum über den tatsächlichen Programmablauf bzw. in der Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisungen bestehen (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 31. Juli 1975 V R 121/73, BFHE 116, 462, BStBl II 1975, 868; vom 9. Oktober 1979 VIII R 226/77, BFHE 129, 5, BStBl II 1980, 62, und vom 19. März 1985 VIII R 156/80, BFH / NV 1986, 2).

Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, unrichtige Tatsachenwürdigung, unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder Fehler, die auf mangelnder Sachaufklärung bzw. Nichtbeachtung feststehender Tatsachen beruhen, schließen die Anwendung der Vorschrift dagegen aus.

Im Klageverfahren der Klägerin ist zwar vom FG offenbar noch nicht genau ermittelt worden, wie es zu der Anwendung der Splittingtabelle bei der ursprünglichen Veranlagung gekommen ist. Die Bemerkung des FG im angefochtenen Beschluß, bei der Abgabe der Einkommensteuererklärung für 1981 sei ausweislich des EDV- Vorgangs die Eingabe des Todesdatums der Ehefrau versehentlich unterblieben, reicht insoweit nicht aus. Es spricht jedoch eine große Wahrscheinlichkeit dafür, daß die fehlerhafte Anwendung der Splittingtabelle auf einem rein mechanischen Versehen oder darauf beruht, daß die Tatsache des Todes der Ehefrau infolge einer Flüchtigkeit übersehen worden ist. Der Senat hat bereits wiederholt entschieden, daß die Möglichkeit eines Rechtsirrtums praktisch ausscheidet, wenn der Sachbearbeiter des FA übersieht, daß der Steuerpflichtige geschieden ist und deshalb eine Zusammenveranlagung durchgeführt wird; die rein theoretische Möglichkeit, daß der Beamte unklare oder unrichtige Vorstellungen über die Voraussetzungen des ,,Witwensplittings" gehabt habe, schließe die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit nicht aus (BFH- Urteil vom 27. März 1987 VI R 63/84, BFH / NV 1987, 480; NV-Urteil vom 6. Juli 1984 VI R 118/82). Nichts wesentlich anderes kann aber gelten, wenn die Anwendung der Splittingtabelle darauf beruht, daß nicht die Scheidung, sondern der Tod eines Ehegatten versehentlich unberücksichtigt bleibt.

Im übrigen weist der Senat darauf hin, daß auch dann, wenn X das FA über den Tod seiner Ehefrau nicht oder falsch unterrichtet haben sollte, wahrscheinlich von der Rechtmäßigkeit der geänderten Einkommensteuerbescheide auszugehen wäre. Denn dann hätte eine Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 bestanden.

Zu Unrecht meint die Klägerin hinsichtlich der vom FA angenommenen Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO 1977, die Unrichtigkeit der ursprünglichen Bescheide sei weder für sie noch für X erkennbar gewesen. Daß es auf die Kenntnis oder die Erkennbarkeit bei der Klägerin nicht ankommen kann, ergibt sich bereits daraus, daß der Bescheid nicht an sie gerichtet war, sie vielmehr nur die Rechtsnachfolgerin von X ist. Daß X selbst die Unrichtigkeit nicht erkannt haben soll, wird man zumindest bezweifeln können. Denn die ursprünglichen Bescheide waren an Herrn und Frau X gerichtet. Außerdem ergab sich nicht nur aus der Höhe des festgesetzten Steuerbetrages, daß das FA die Splittingtabelle angewandt hatte, sondern deren Anwendung war auch ausdrücklich im Bescheid vermerkt. Diese Umstände reichen aus, um den Fehler augenfällig und für jeden erkennbar zu machen. Daß X den Fehler möglicherweise wegen seines hohen Alters nicht erkannt hat, steht dem nicht entgegen; denn es kommt auf die Erkennbarkeit für einen durchschnittlichen Betroffenen an (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 129 AO 1977 Tz. 5). Im übrigen weist das FA mit Recht darauf hin, daß nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom 31. März 1987 VIII R 46/83, BFHE 149, 478, BStBl II 1987, 588) für die Anwendung des § 129 AO 1977 nicht einmal vorausgesetzt wird, daß die offenbare Unrichtigkeit aus dem Bescheid selbst erkennbar ist.

Hat danach die von der Klägerin erhobene Klage keine hinreichende Erfolgsaussicht, kann ihr die beantragte Prozeßkostenhilfe nicht gewährt werden.

 

Fundstellen

BFH/NV 1989, 6

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