Leitsatz (amtlich)

Dem EuGH wird nach Art. 177 Abs. 1 und 3 EWGV folgende Frage vorgelegt:

Ist der GZT dahin auszulegen, daß eine Receiver/Phono/Kassetten-Kombination, die zusammen mit zwei zur Verwendung mit der Kombination bestimmten Lautsprechern gestellt wird, als eine Ware unter Tarifnr. 85.15 GZT fällt?

 

Normenkette

GZT Vorschrift 2 zu Abschn. XVI; GZT Vorschrift 3 zu Abschn. XVI; GZT Tarifnr. 85.14; GZT Tarifnr. 85.15

 

Tatbestand

Ein dem Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt – HZA –) unterstehendes Zollamt (ZA) fertigte im November und Dezember 1978 auf Antrag der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) in Japan hergestellte Receiver/Phono/Kassetten-Kombinationen (RPC-Kombinationen) und Lautsprecherboxen zum freien Verkehr ab. Zur Abfertigung waren Kartons gestellt worden, in denen sich jeweils eine RPC-Kombination und zwei Lautsprecherboxen befanden. In den den Anmeldungen beigefügten Rechnungen der japanischen Lieferfirmen sind die gelieferten Waren u. a. wie folgt beschrieben: „Music Center 3022 BF, … complete with two speaker boxes …” Das ZA wies alle Waren, also auch die Lautsprecher, der Tarifnr. 85.15 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu und erhob dementsprechend die Zölle. Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage mit dem Ziel, daß die Lautsprecher der Tarifnr. 85.14 GZT zugeordnet und dementsprechend die Zölle herabgesetzt werden.

Das Finanzgericht (FG) Hamburg gab der Klage statt (Urteil vom 10. November 1980 IV 132/79 N, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 1981, 210).

 

Entscheidungsgründe

Das HZA hat Revision eingelegt. Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten.

Im vorliegenden Verfahren stellt sich eine Frage der Auslegung des GZT, also von Gemeinschaftsrecht. In einem solchen Fall ist der erkennende Senat zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) verpflichtet, sei sei denn, daß die „gemeinschaftsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder daß die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt” (EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415; Art. 177 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – EWGV –). Der EuGH hat zwar bereits Rechtsfragen entschieden, die den hier maßgeblichen ähnlich sind (vgl. EuGH-Urteile vom 15. Dezember 1977 Rs. 60/77, EuGHE 1977, 2453, und vom 9. Februar 1984 Rs. 60/83, amtlich noch nicht veröffentlicht). Die sich im vorliegenden Fall stellende entscheidungserhebliche Frage der Auslegung des GZT hat der EuGH aber noch nicht entschieden. Der erkennende Senat hält auch die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts im vorliegenden Fall nicht für derart offenkundig, daß für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt.

Die fraglichen Waren fallen, falls sie getrennt zu tarifieren sind, unter die Tarifnr. 85.14 (Lautsprecherboxen) bzw. 85.15 (RPC-Kombination). Sie sind nicht schon deswegen zusammen zu tarifieren, weil sie zusammen gestellt worden sind. Eine getrennte Tarifierung scheidet vielmehr nur dann aus, wenn sich aus dem GZT ergibt, daß Kombination und Lautsprecherboxen zusammen tariflich alseine Ware anzusehen sind und daher nur unter eine einzige Tarifstelle fallen können.

Eine kombinierte Maschine i. S. der Vorschrift 3 zu Abschn. XVI GZT stellt die RPC-Kombination zusammen mit den beiden Lautsprechern nicht dar. Darüber sind sich die Beteiligten einig. Die Verwaltung meint aber, die RPC-Kombination stelle zusammen mit den Lautsprecherboxen eine funktionelle Einheit i. S. der ErlNRZZ in Teil I der ErlZT zu Abschn. XVI. Rdnr. 63 dar, die die Funktion eines Rundfunkempfangsgerätes i. S. der Tarifnr. 85.15 erfülle und daher dieser Tarifnummer zuzuweisen sei.

Es stellt sich zunächst die Frage, ob der Begriff der „funktionellen Einheit” im Sinne dieser Erläuterungen im vorliegenden Fall für die Entscheidung herangezogen werden kann. Zwar hat sich der EuGH mit diesem Begriff in seinen Urteilen in EuGHE 1977, 2453 und vom 9. Februar 1984 Rs. 60/83 (amtlich noch nicht veröffentlicht) auseinandergesetzt. Er hat auch in ständiger Rechtsprechung die ErlNRZZ als maßgebliche Erkenntnismittel bei der Auslegung des GZT angesehen. Die Berücksichtigung dieser Erläuterungen dürfte aber wohl stets voraussetzen, daß sich ihr normativer Gehalt unmittelbar, aus dem GZT selbst entnehmen läßt, der allein die Rechtsnorm darstellt, die der richterlichen Prüfung unterliegt. Eines näheren Eingehens auf den Begriff der „funktionellen Einheit” bedarf es also nur, wenn man davon ausgeht, daß er bereits im GZT (z. B. in der ATV 2 a Satz 2 oder in Vorschrift 3 zu Abschn. XVI) angelegt ist.

Kann im vorliegenden Fall auf den Begriff der funktionellen Einheit abgestellt werden, so ergibt sich die weitere Frage nach dessen Inhalt. Nach den genannten Erläuterungen liegt eine solche Einheit nur vor, wenn die mehreren getrennten „Bestandteile”, aus denen eine Maschine oder ein Apparat „besteht”, „gemeinsam eine einzige, genau bestimmte, in einer Nummer des Kapitels 84 oder – häufiger – des Kapitels 85 erwähnte Funktion … erfüllen”. Nach Ansicht des FG sind die Lautsprecher keine Bestandteile einer Einheit und dienen auch nicht mit der Kombination einer einzigen gemeinsamen Funktion, weil sie allgemein verwendbar sind. Nach Auffassung der Verwaltung ist dagegen die RPC-Kombination allein kein vollständiges „Rundfunkempfangsgerät, auch mit Tonaufnahme- oder Tonwiedergabegeräten kombiniert” i. S. der Tarifnr. 85.15 GZT, weil ohne die Lautsprecherboxen die vom Empfangsgerät, den Schallplatten oder Tonbändern aufgenommenen Impulse nicht hörbar gemacht werden können; zum Begriff eines Rundfunkempfangsgeräts i. S. der Tarifnr. 85.15 GZT gehöre eine Ausstattung mit Lautsprechern, weswegen die RPC-Kombination zusammen mit den Lautsprechern eine einzige, in der Tarifnr. 85.15 GZT genannte Funktion habe, nämlich die, als Rundfunkempfangsgerät in diesem Sinne zu dienen. Das Urteil des angerufenen Gerichtshofs vom 9. Februar 1984 Rs. 60/83 spricht allerdings eher für die Richtigkeit der Auffassung der Klägerin. In diesem Urteil hat der EuGH das Vorliegen einer funktionellen Einheit in einem Fall verneint, in dem eine der Waren, die als Bestandteil einer funktionellen Einheit in Frage kam, für andere Funktionen als die, die von der Kombination der Bestandteile erfüllt werden können, verwendet werden konnte.

Falls die Lautsprecher zusammen mit der RPC-Kombination als eine Einheit anzusehen sind, stellt sich die zusätzliche Frage, ob die Auffassung des FG zutrifft, daß auch dann nach Vorschrift 2 a zu Abschn. XVI GZT die Lautsprecher der Tarifnr. 85.14 GZT zuzuordnen sind. Nach Auffassung des vorlegenden Senats verkennt das FG dabei indessen, daß, falls die eingeführte RPC-Kombination zusammen mit den Lautsprechern bei gleichzeitiger Gestellung tariflich eine Einheit bilden, gerade keine Maschinenteile i. S. der Vorschrift 2 zu Abschn. XVI GZT vorliegen, also auch eine Tarifierung nach Buchst. a dieser Vorschrift ausscheidet. Aus dem EuGH-Urteil in EuGHE 1977, 2453 ergibt sich nichts anderes. Dort hatte der EuGH lediglich zu der Frage Stellung zu nehmen, wie Bestandteile von funktionellen Einheiten zu tarifieren sind, wenn sie als solche gestellt werden; er hat entschieden, daß dies nach Vorschrift 2 zu Abschn. XVI GZT zu geschehen habe. Dagegen ist diesem Urteil nicht zu entnehmen, daß, falls eine funktionelle Einheit als Einheit gestellt wird, die Bestandteile dieser Einheit nach der genannten Vorschrift zu tarifieren sind (vgl. auch Urteil des EuGH vom 29. Mai 1979 Rs. 165/78, EuGHE 1979, 1837, und ErlNRZZ in Teil I der ErlZT Abschn. XVI, Rdnr. 74).

 

Fundstellen

Haufe-Index 510509

BFHE 1985, 100

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