Leitsatz (amtlich)

Gleichzeitig gestellte „Tuner” (Empfangsgeräte für Rundfunk) und „Amplifier” (Tonfrequenzverstärker) sind nicht als sog. funktionelle Einheiten gemeinsam der für Rundfunkempfangsgeräte vorgesehenen Tarifst. 85.15 A III b 2) GZT zuzuweisen, sondern jeweils nach eigener tariflicher Beschaffenheit zu tarifieren. Die „Tuner” fallen unter die Tarifst. 85.15 A III b) 2 und die „Amplifier” unter die Tarifst. 85.14 (Tonfrequenzverstärker).

 

Normenkette

GZT ATV 2 a S. 1; GZT Tarifnr. 85.14; GZT Tarifnr. 85.15

 

Tatbestand

Die Beklagte (die Oberfinanzdirektion – OFD) erteilte der Klägerin am 2. April 1980 eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) über zwei als „Tuner X” und „Amplifier X” bezeichnete Waren. Nach dem Antrag der Klägerin sollen beide Waren gleichzeitig gestellt und eingeführt werden. Die sich als bestückte Chassis ohne Skala, Bedienungsknöpfe und Rückwandabdeckung darstellenden Waren sollen in Gehäuse inländischer Herstellung eingesetzt werden. Die „Tuner X” sind zum drahtlosen Empfang von Rundfunksendungen im Mittelwellen- und Ultrakurzwellenbereich bestimmt und können nicht ohne Niederfrequenzverstärker betrieben werden. Die „Amplifier X” bestehen im wesentlichen aus einem Niederfrequenzverstärkerteil und einem Netzteil. Im fertigen Zustand sind sie mit Bedienungsgriffen zur Wahl der Programmquelle (Rundfunk, Plattenspieler, Tonbandgeräte usw.), zur Einstellung der Balance zwischen den beiden Stereokanälen oder zur Veränderung der Tonhöhe und der Bässe ausgestattet. Die „Tuner X” und „Amplifier X” werden durch elektrische Leitungen miteinander verbunden, die aber nicht eingeführt werden. An den „Amplifier X” können weitere Geräte des gleichen oder eines anderen Systems angeschlossen werden.

Die OFD sah die „Tuner X” und die „Amplifier X” zusammen als Rundfunkempfangsgeräte an und wies sie der Tarifst. 85.15 A III b) 2 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu. Zur Begründung führte sie aus, die „Tuner X” und „Amplifier X” seien bei gleichzeitiger Gestellung als Wareneinheiten der genannten Tarifstelle zuzuweisen, weil sie dazu bestimmt seien, gemeinsam die in dieser Tarifstelle genannte Funktion von Rundfunkgeräten zu erfüllen und insoweit funktionelle Einheiten bildeten (Erl. zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens – Erl NRZZ – zu Abschn. XVI, Teil I Rdz. 63 ff.). Daß die Tuner und die Verstärker unfertig seien, habe auf die Tarifierung keinen Einfluß, weil sie im Zeitpunkt der Gestellung die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale von fertigen und vollständigen Rundfunkempfangsgeräten aufwiesen (Allgemeine Tarifierungs-Vorschrift – ATV – 2 a Satz 1). Die Tarifierung werde auch nicht dadurch beeinflußt, daß die Tuner und ihre Verstärker nicht zusammengesetzt gestellt würden. Nach der ATV 2 a Satz 2 i. V. m. der ATV 5 erfasse die Tarifst. 85.15 A III b) 2 auch nicht zusammengesetzte vollständige und fertige oder nach der ATV 2 a Satz 1 als vollständig und fertig geltende Rundfunkempfangsgeräte. Der einheitlichen Zuweisung der Tuner und ihrer Verstärker zur Tarifst. 85.15 A III b) 2 stehe nicht entgegen, daß der Verstärkerteil auch weitere Geräte ansteuern und ihre Impulse verstärken könne.

Gegen die vZTA hat die Klägerin Sprungklage erhoben, der die OFD zugestimmt hat. Die Klägerin trägt vor: „Tuner” sei die englische Bezeichnung für einen Rundfunkempfänger ohne Verstärker und ohne Lautsprecher, „Amplifier” sei die Bezeichnung für einen Tonfrequenzverstärker. Die bis Ende der Fünfzigerjahre üblichen Rundfunkempfänger hätten Empfänger, Verstärker und Lautsprecher in einem Gehäuse vereinigt. Seit einigen Jahren würden, vornehmlich im HiFi-Bereich, die vorher in der Kompaktanlage vereinigten Geräte als selbständige Geräte im sogenannten Bausteinsystem angeboten. Die Bausteine einer Serie könnten übereinandergesetzt, nebeneinandergestellt oder mit Bausteinen anderer Serien oder anderer Hersteller kombiniert werden. Jeder Baustein sei ein in sich geschlossenes, fertiges Gerät. Kernstück einer jeder HiFi-Anlage aus Bausteinen sei der Verstärker. Sie – die Klägerin – stelle die HiFi-Anlagen im Bausteinsystem her. Die Anlage „Team” bestehe aus sechs einzelnen Geräten (Plattenspieler, Cassettengerät, Rundfunkempfänger, Verstärker und zwei Lautsprecherboxen), die beliebig angeordnet werden könnten. Die Warenbeschreibung der OFD in der vZTA rufe den Eindruck hervor, als müsse der „Tuner X” an den „Amplifier X” angeschlossen werden. Das treffe nicht zu.

Im Gegensatz zur Auffassung der OFD seien die streitigen Geräte nach eigener Beschaffenheit zu tarifieren, die „Tuner X” nach der Tarifst 85.15 A III b) 2 und die „Amplifier X” nach der Tarifnr. 85.14 GZT. Ihre gegenteilige Auffassung könne die OFD nicht auf die Erl NRZZ zu Abschn. XVI, Teil I Rdz. 63 ff. stützen. Tuner und Empfänger seien im Streitfalle nicht Bestandteil eines Geräts, sondern stellten jeder für sich ein selbstständiges, funktionstüchtiges Gerät dar. Beide Geräte seien auch nicht dazu bestimmt, gemeinsam eine einzige Funktion zu erfüllen. Aufgabe des Tuners sei es, die Funktion eines Rundfunkempfängers zu erfüllen. Daß die Tonfrequenzen verstärkt werden müßten, sei ein zweiter Vorgang, der auch Plattenspielern und Tonbandgeräten erforderlich sei und mit dem eigentlichen Rundfunkempfang nichts zu tun habe. Der Amplifier habe demgegenüber eine Vielzahl von Funktionen. Mit seiner Hilfe würden die Programmquellen gewählt, die Anlage in Betrieb gesetzt und die elektrischen Impulse, die ihn aus den verschiedenen Programmquellen erreichten, verstärkt. Die OFD habe diese Funktionenvielfalt des Verstärkers außer acht gelassen. Sie gehe offenkundig allein von der Funktion des Tuners aus und ordne ihm nur eine Funktion des Amplifiers, nämlich die Verstärkungsfunktion, zu und komme auf diese Weise zu der einheitlichen Funktion eines Rundfunkempfängers. Das sei falsch.

Auch wenn man Tuner und Amplifier als funktionelle Einheit im Sinne der Erl NRZZ ansehen wollte und nicht als selbständige, nach Beschaffenheit zu tarifierende Geräte, stelle sich die Frage, ob die Erläuterungen mit dem Zolltarif in Einklang stünden. Der Zolltarif kenne nur Waren, Maschinen, Apparate, Geräte usw., nicht aber funktionelle Einheiten.

Die Klägerin beantragt, die vZTA aufzuheben und die „Tuner X” der Tarifst. 85.15 A III b) 2 und die „Amplifier X” der Tarifnr. 85.14 zuzuweisen.

Die OFD beantragt, die Klage abzuweisen. Sie trägt vor, die Fassung der Tarifnummern in Abschn. XVI und insbesonder in Kap. 85 GZT fordere nicht, daß die Bestandteile eines Gerätes baulich eine Einheit bilden müßten. An Waren der Kap. 84 und 85 würden zwei Anforderungen gestellt, nämlich daß es sich um Waren handeln müsse, die nach ihrem technischen Aufbau Maschinen, Apparate oder Geräte seien und daß sie nach ihrer objektiven Beschaffenheit zur Ausübung einer bestimmten, in der jeweiligen Tarifnummer genannten Funktion bestimmt seien. Treffe das zu, so sei es nur mehr eine Frage der technischen und wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit, ob das zu tarifierende Gerät eine körperliche Einheit bilde oder aus verschiedenen, durch Kabel miteinander verbundenen Einzelgeräten bestehe. Darauf wiesen die Erl NRZZ zu Abschn. XVI, Teil I Rdz. 63 ff. hin. Auch der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EGH) habe in der Rs. 60/77 (Urteil vom 15. Dezember 1977, EGHE 1977, 2453) den Begriff der funktionellen Einheit nicht in Frage gestellt.

Es werde nicht bestritten, daß die Bausteine von HiFi-Systemen, jeweils für sich betrachtet, vollständige und eigenständige Geräte bestimmter Tarifnummern seien, z. B. Verstärker und Lautsprecher der Tarifnr. 85.14. Bei getrennter Gestellung seien Verstärker der Tarifnr. 85.14 zuzuweisen. Das schließe aber nicht aus, daß sie eine funktionelle Einheit bildeten, wenn sie gemeinsam mit anderen Komponenten zur Abfertigung gelangten (vgl. die Erl NRZZ zu Abschn. XVI, Teil I Rdz. 63–75, in denen u. a. Verstärker als Bestandteile solcher funktionellen Einheiten wiederholt namentlich genannt seien).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Geräte können – entgegen der Ansicht der OFD – nicht als „funktionelle Einheit” im Sinne der Erl NRZZ zu Abschn. XVI (Teil I Rdz. 63 ff.) angesehen werden. Diese Erläuterungen befassen sich mit der Tarifierung von Maschinen, Apparaten und Geräten, die aus voneinander getrennten Bestandteilen bestehen und die dazu bestimmt sind, gemeinsam eine einzige, genau bestimmte, in einer Nummer des Kap. 84 oder – häufiger – des Kap. 85 erwähnte Funktion zu erfüllen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die beiden Geräte sind nicht dazu bestimmt, gemeinsam eine einzige bestimmte Funktion zu erfüllen. Beide Geräte können und sollen auch getrennt verwendet werden. Überdies erfüllen sie auch bei gemeinsamer Verwendung nicht eine einzige, bestimmte Funktion; denn der Verstärker dient auch dann nicht nur der Verstärkung der ihm zugeleiteten Signale des Tuners, sondern auch der Signale, die von einem Mikrofon, dem Tonabnehmer eines Plattenspielers, einem Magnetband-Tonabnehmer, einem Tonfilmband-Tonabnehmer oder einer anderen Quelle elektrischer Tonfrequenzsignale ausgehen (vgl. dazu die Erl NRZZ zur Tarifst. 85.14 C, Rdz. 21).

Die Entscheidung des EGH in EGHE 1977, 2453 steht der gesonderten Tarifierung der Tuner und Verstärker nicht entgegen, weil sich die Entscheidung nicht mit dem Begriff der funktionellen Einheit, die dort als gegeben vorausgesetzt war, befaßte.

Sind mithin die Geräte auch bei gleichzeitiger Gestellung einzeln zu tarifieren, so fallen die Amplifier (Verstärker) – wie auch die OFD einräumt – eindeutig unter die Tarifnr. 85.14 GZT.

„Tuner” sind im Tarif nicht besonders erwähnt. Dagegen erfaßt die Tarifst. 85.15 A III b 2) GZT „Empfangsgeräte für Rundfunk”. Mag man auch in erster Linie dabei an solche Geräte denken, die wegen ihrer Ausrüstung mit Empfangsteil, Verstärker und Lautsprecher einen unmittelbaren Empfang gewährleisten, so hat der Senat doch nach dem für die Tarifierung in erster Linie maßgebenden Wortlaut der genannten Tarifstelle (vgl. ATV 1 Satz 2 i. V. m. Nr. 5 GZT) keinen Zweifel, daß auch Tuner hierunter fallen, weil ihre entscheidende Funktion darin besteht, Rundfunksendungen zu empfangen. Davon geht offenbar auch die OFD selbst aus; denn wenn sie die „einzige bestimmte Funktion”, die die gleichzeitig gestellten Tuner und Amplifier nach ihrer Ansicht erfüllen sollen, in dem Empfang von Rundfunksendungen sieht, die zur Einordnung unter die Tarifst. 85.15 A III b 2) GZT führen soll, kann sie unter diesem Empfang nicht nur die völlige Hörbarmachung verstehen, für die auch noch Lautsprecher oder Kopfhörer erforderlich wären.

Die Beteiligten und das Finanzgericht (FG) gehen mit Recht davon aus daß der Tarifierung als Empfänger für Rundfunk und Verstärker nicht entgegensteht, daß beide ohne Skala, Bedienungsknöpfe und Rückwandabdeckung eingeführt werden sollen. Nach der ATV 2 a gilt jede Anführung einer Ware in einer Tarifnummer bzw. Tarif stelle auch für die unvollständige und unfertige Ware, wenn sie die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale einer vollständigen oder fertigen Ware hat.

Für den Senat haben sich bei der Auslegung des GZT keine Zweifel ergeben, so daß eine Vorabentscheidung des EGH nach Art. 177 Abs. 1 Nr. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht eingeholt zu werden braucht (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 22. Oktober 1975 VII R 105, 73, BFHE 117, 313).

Die angefochtene vZTA war danach, dem Antrag der Klägerin entsprechend, als rechtswidrig aufzuheben. Dabei hat der Senat den Antrag der Klägerin dahin ausgelegt, daß sie allein die Aufhebung der vZTA begehrt. Ein Verpflichtungsbegehren i. S. des § 40 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) – Verurteilung der OFD zum Erlaß einer vZTA unter Zuweisung der streitigen Verstärker zur Tarifnr. 85.14, vgl. § 101 FGO – kann dem Wortlaut des Klageantrags nicht entnommen werden. Der Senat sieht den neben dem Anfechtungsbegehren geltend gemachten Antrag auch nicht als Begehren an, daß der Bundesfinanzhof selbst durch Urteil eine vZTA erlassen möge. Dazu wäre er nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung auch nicht berufen. Die Klägerin wollte vielmehr ganz offensichtlich, wie in der Klagebegründung, nochmals zum Ausdruck bringen, daß die streitigen Verstärker, was mit der Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts nicht erreicht werden kann, in den Gründen des Urteils der Tarifnr. 85.14 zugewiesen werden müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 510435

BFHE 1981, 140

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