Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständigkeit der Abgangsstelle im TIR-Verfahren für die Erhebung der Einfuhrabgaben

 

Leitsatz (NV)

1. Welche Anforderungen sind an den glaubhaften Nachweis des Ortes zu stellen, an dem die Zuwiderhandlung im Verlauf der Beförderung einer Sendung mit Carnet TIR tatsächlich begangen wurde (Art. 455 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 253/1)? Können für den Nachweis die Aussage des Carnet-Inhabers und das Zeugnis des LKW-Fahrers ausreichen, der den Transport für den Carnet-Inhaber durchgeführt hat, oder kann der Nachweis nur durch Urkunden geführt werden, aus denen sich eindeutig ergibt, daß die zuständigen Behörden des anderen Mitgliedstaats Feststellungen getroffen haben, nach denen die Zuwiderhandlung auf ihrem Gebiet begangen wurde?

2. Für den Fall, daß der Gerichtshof den Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung durch Aussagen des Carnet- Inhabers und Zeugnis des LKW-Fahrers, der den Transport durchgeführt hat, für möglich hält:

Sind Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 dahin auszulegen, daß sie auch in einem Fall anzuwenden sind, in dem die Abgaben in dem Mitgliedstaat erhoben wurden, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt wurde, obwohl glaubhaft nachgewiesen wurde, daß der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung in einem anderen Mitgliedstaat lag (Vorlage an den EuGH)?

 

Normenkette

EWGV 2454/93 Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3, Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 4, Art. 455 Abs. 3 Unterabs. 1

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt in Polen ein Speditionsunternehmen, das er nach seiner Darstellung entsprechend einem deutschen Einzelkaufmann unter der Firma "X" mit voller persönlicher Haftung führt. Am ... August 1994 ließ er durch seinen LKW-Fahrer, der den Transport durchführte, bei der deutschen Eingangszollstelle ein von einer polnischen Zollstelle ausgefertigtes Carnet TIR vorlegen, das auf die Firma X als Carnet-Inhaberin ausgestellt war, und die darauf eingetragene Sendung zum externen Versandverfahren abfertigen. Die Eingangszollstelle setzte die Wiedergestellungsfrist bei der Bestimmungszollstelle (Porto in Portugal) auf den ... August 1994 fest.

Auf eine vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt -- HZA --) veranlaßte Überprüfung des bei ihm eingegangenen "Volet No. 2" des Carnet TIR, das einen Stempel mit Datum vom ... August 1994 u. a. mit der Inschrift Portugal *Viana Do Castelo* enthielt, teilte die Zollstelle von Viana do Castelo mit, daß der Dienststempelabdruck falsch oder verfälscht erscheine und daß die Unterschrift auf dem Volet nicht von einem Bediensteten der Zollstelle stamme. Das portugiesische Finanzministerium bestätigte, daß der auf dem Volet angebrachte Stempel falsch sein müsse. Eine Anfrage bei der Bestimmungszollstelle ergab, daß die Ware dort nicht gestellt worden ist. Mit Formularschreiben vom ... Dezember 1994 teilte das HZA dem Kläger mit, daß das Versandgut der Bestimmungszollstelle nicht wiedergestellt worden sei und daß der Ort der Zuwiderhandlung nicht habe ermittelt werden können. Deshalb gelte die Zuwiderhandlung als in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) begangen, sofern der Kläger nicht innerhalb von drei Monaten die ordnungsgemäße Erledigung des Versandverfahrens oder den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung nachweise. Hierzu äußerte sich der Kläger mit Schreiben vom ... Februar 1995. Er fügte eine Erklärung seines LKW-Fahrers bei, aus der sich ergibt, daß dieser zweimal Waren auf der Strecke C (Polen) -- Porto (Portugal) befördert habe. Die Ware sei in der zollfreien Zone auf dem Hafengelände in Porto im Lager ... auftragsgemäß entladen worden. Die Dokumente seien von einem "Zollagenten" abgefertigt worden, der von ihm die Papiere entgegengenommen habe. Nach einer Stunde habe er das geschlossene Carnet TIR und Geld für die Transportrechnung zurückgebracht. Erst danach sei das Entplomben und Entladen genehmigt worden. Anschließend sei er wegen einer Rückladung nach Spanien gefahren.

Das HZA nahm den Kläger mit Steuerbescheid wegen Abschöpfung-EURO und Einfuhrumsatzsteuer in Anspruch, weil die Ware durch das Vortäuschen einer ordnungsgemäßen Erledigung mit gefälschten zollamtlichen Vermerken und Dienststempelabdrucken der zollamtlichen Überwachung entzogen worden sei (Art. 203 Abs. 1, Abs. 3 Anstrich 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 -- Zollkodex -- des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vom 12. Oktober 1992, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- 1992 Nr. L 302/1). Nach erfolglosem Einspruch hatte die Klage Erfolg. In der Einspruchsentscheidung hatte das HZA ausgeführt, die vom Kläger vorgelegten Unterlagen, nämlich die Erklärung des Kraftfahrers, Transportrechnungen und Transportaufträge reichten nicht aus, um die Vermutung der Zuständigkeit des Abgangsmitgliedstaats für die Abgabenerhebung zu widerlegen. Das Finanzgericht (FG) hob die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen auf, weil das HZA für die Abgabenerhebung nicht zuständig gewesen sei. Wegen der Gründe im einzelnen wird auf die in der Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1998, 26 veröffentlichten Gründe Bezug genommen.

Mit seiner Revision rügt das HZA die Verletzung von Bundesrecht. Es meint, das FG habe zwar evtl. die Rechtswidrigkeit des Steuerbescheides feststellen können, sei aber an dessen Aufhebung gehindert gewesen, weil hierfür gemäß Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (VO Nr. 2454/93) der Kommission mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vom 2. Juli 1993 (AblEG Nr. L 253/1) ein besonders geregeltes Erstattungsverfahren vorgesehen sei. Die nach dieser Vorschrift erforderlichen Voraussetzungen für eine Erstattung der in der Bundesrepublik buchmäßig erfaßten Abgaben seien im Streitfall nicht gegeben. Die besondere Regelung des Erstattungsverfahrens nach Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 VO Nr. 2454/93 lasse erkennen, daß der Verordnungsgeber der Sicherung bzw. Eintreibung der entstandenen Abgaben Vorrang von Zuständigkeitsfragen eingeräumt habe.

Außerdem habe das FG zu Unrecht die Aussage des als Zeugen vernommenen LKW-Fahrers als glaubhaften Nachweis i. S. des Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93 anerkannt. In Fällen, in denen -- wie vom FG festgestellt -- Stempelfälschungen vorlägen und ggf. Absender und Empfänger der beförderten Waren nicht existent seien, sei ein besonders strenger Maßstab an den Nachweis des Orts der Zuwiderhandlung anzulegen. Da sämtliche Unterlagen ebenso wie die Aussagen von Kraftfahrern nahezu beliebig manipulierbar seien, könne der Nachweis über den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung nur in der Art geführt werden, daß die Zollbehörden des Mitgliedstaates, in dem die Zuwiderhandlung angeblich begangen wurde, auch selbst durch entsprechende Erklärungen den Ort der Zuwiderhandlung als in ihrem Staat tatsächlich nachgewiesen ansähen und dies positiv bestätigten.

Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Vorentscheidung für rechtsfehlerfrei und führt -- zusammengefaßt -- folgendes aus: Entgegen der Auffassung des HZA sei das FG nicht durch Gemeinschaftsrecht gehindert gewesen, den angefochtenen Steuerbescheid aufzuheben. Das HZA sei ohne Zweifel für dessen Erlaß nicht zuständig gewesen, weil der glaubhafte Nachweis des Zuwiderhandlungsortes zur Überzeugung des FG fristgerecht vorgelegt worden sei. Es könne dahinstehen, ob und ggf. weshalb die Voraussetzungen für eine Erstattung der buchmäßig erfaßten Abgaben nicht vorlägen, weil ein Erstattungsverfahren undenkbar sei, solange die festgesetzten Einnahmen (wie im Streitfall) nicht vereinnahmt worden seien. Die Rüge, eine Zeugenaussage sei kein glaubhafter Nachweis i. S. des Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93, gehe fehl. Die Vorschrift treffe keine Aussage darüber, was als "glaubhafter Nachweis" zu gelten habe, und benenne auch keine Beispiele für einen glaubhaften Nachweis. Mit der Forderung nach einer zollamtlichen Bestätigung des Zuwiderhandlungsortes werde dem Kläger eine unmögliche Leistung abverlangt. Nach dem Ergebnis des erstinstanzlichen Urteils stehe fest, daß sich die portugiesischen Behörden für unzuständig erklärt und keine Ermittlungen vor Ort angestellt hätten. Sei der Ort der Zuwiderhandlung wie im Streitfall feststellbar, dann habe der gutgläubige Hauptverpflichtete ein existentielles Interesse daran, daß vor Ort die Beteiligten ermittelt würden, die als Gesamtschuldner in Betracht kämen. Die Nachweismöglichkeiten des Art. 454 Abs. 3 VO Nr. 2454/93 dürften nicht beschränkt werden.

 

Entscheidungsgründe

II. Bei der Entscheidung über die Revision sind Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu beachten, deren Auslegung dem Senat nicht offenkundig erscheint. Der Senat ist mithin verpflichtet, zu deren Auslegung eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften einzuholen (Art. 177 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft).

1. Der Revision des HZA wäre der Erfolg zu versagen, wenn das FG den Steuerbescheid des HZA i. d. F. der Einspruchsentscheidung zu Recht aufgehoben hätte, weil das HZA die Abgaben erhoben hat, obwohl es dafür nicht zuständig war, weil der Kläger glaubhaft nachgewiesen hat, daß die Zuwiderhandlung im Zusammenhang mit der Beförderung mit Carnet TIR in einem anderen Mitgliedstaat begangen wurde.

2. Nach den das Revisionsgericht gemäß §118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung bindenden Feststellungen des FG steht fest, daß das HZA -- als Eingangszollstelle -- die Ware am ... August 1994 aufgrund des ihm vorgelegten Carnet TIR zum externen Versandverfahren abgefertigt hat (Art. 91 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 Buchst. b Zollkodex). Es konnte nicht festgestellt werden, daß die Sendung der Bestimmungszollstelle wiedergestellt wurde. Nach erfolglosem Abschluß des Suchverfahrens teilte das HZA dem Kläger innerhalb der gemäß Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 i. V. m. Art. 455 Abs. 1 VO Nr. 2454/93 und Art. 11 Abs. 1 TIR-Übereinkommen (vom 14. November 1975, AblEG 1978 Nr. L 252/1) vorgeschriebenen Frist von einem Jahr nach Annahme des Carnet TIR mit, daß eine Zuwiderhandlung begangen worden ist, und stellte ihm anheim, innerhalb von drei Monaten den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung nachzuweisen. Zu diesem Zweck äußerte sich der Kläger innerhalb der durch Art. 455 Abs. 1 VO Nr. 2454/93 vorgeschriebenen Frist mit seinem Schreiben vom ... Februar 1995, legte die Erklärung seines LKW-Fahrers vor, der für ihn den Transport durchgeführt hat, und bot diesen als Zeugen dafür an, daß die Ware nach Porto (Portugal) gelangt sei.

3. Die Verantwortlichkeit des Klägers als Carnet-Inhaber ergibt sich aus dem TIR- Übereinkommen i. V. m. den maßgebenden Gemeinschaftsvorschriften. Als internationales Versandverfahren besteht das TIR- Verfahren (Art. 1 Buchst. a TIR-Übereinkommen) aus mehreren aufeinanderfolgenden Versandverfahren, die jeweils in dem Gebiet der von ihm berührten Vertragspartei eröffnet und beendet werden. Dabei gilt das Zollgebiet der Gemeinschaft in bezug auf die Modalitäten der Verwendung des Carnet TIR für die Beförderung als einziges Gebiet (Art. 451 Abs. 1 VO Nr. 2454/93). Der Carnet-Inhaber, für den durch Vorlage des Carnet bei der Eingangszollstelle das Verfahren in der Gemeinschaft eröffnet wird, ist gemäß Art. 4 Nr. 21 Zollkodex der Inhaber des Zollverfahrens und damit verpflichtet, die sich aus dem Zollverfahren (externes Versandverfahren) ergebenden Pflichten zu erfüllen. Das Verfahren endet in der Gemeinschaft durch Wiedergestellung der Waren bei der Bestimmungszollstelle unter Vorlage des Carnet TIR (Art. 92 Zollkodex). Daraus und aus Art. 28 des TIR-Übereinkommens ergibt sich die Verpflichtung des Carnet-Inhabers zur Wiedergestellung der Waren bei der Bestimmungszollstelle unter Vorlage des Carnet TIR.

Diese Verpflichtung hat der Carnet-Inhaber nicht erfüllt. Denn die Erfüllung der durch die Anmeldung zum TIR--Verfahren übernommenen Verpflichtung zur Wiedergestellung der Ware unter Vorlage des Carnet TIR kann nur durch Rücksendung der ordnungsgemäßen Bestätigung auf dem dafür vorgesehenen unteren Abschnitt des Abschnitts Nr. 2 des Carnet TIR geführt werden. An diesem Nachweis fehlt es im Streitfall, weil die Bestätigung, wie das FG revisionsrechtlich bindend festgestellt hat, mit gefälschten Stempelabdrucken versehen ist. Selbst wenn der Nachweis der ordnungsgemäßen Gestellung der Sendung auch auf andere Weise geführt werden könnte, liegen dafür, daß die Sendung einer Bestimmungszollstelle ordnungsgemäß gestellt wurde, im Streitfall nach den Feststellungen des FG keine Anhaltspunkte vor. Ein Nachweis dafür, daß die Beförderung mit Carnet TIR auf andere Weise ordnungsgemäß durchgeführt worden ist (Art. 455 Abs. 2 VO Nr. 2454/93), besteht nicht. Der Carnet-Inhaber ist daher zumindest nach Art. 204 Abs. 3 Zollkodex Zollschuldner für die nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a Zollkodex entstandene Einfuhrzollschuld geworden.

Im Streitfall kommt es für die Zollschuldnerschaft des Klägers nicht darauf an, ob die Zollschuld -- wie das HZA meint -- bereits durch ein Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung gemäß Art. 203 Abs. 1 Zollkodex entstanden ist, wozu tatsächliche Feststellungen des FG allerdings fehlen. Denn auch in diesem Fall wäre der Kläger als aus dem Versandverfahren Verpflichteter nach Art. 203 Abs. 3 Anstrich 4 Zollkodex Zollschuldner geworden.

4. Die hier noch zweifelhafte Zuständigkeit des HZA für die Erhebung der Einfuhrabgaben richtet sich nach dem Ort, an dem die Zollschuld entsteht. Die grundsätzliche Regelung darüber enthält Art. 215 Zollkodex, der indes für das TIR-Verfahren durch die Art. 454 und Art. 455 VO Nr. 2454/93 modifiziert worden ist. Grundsätzlich ist nach Art. 454 Abs. 2 VO Nr. 2454/93 der Mitgliedstaat für die Erhebung der Einfuhrabgaben zuständig, der auf seinem Gebiet eine Zuwiderhandlung im Zusammenhang mit dem TIR-Verfahren feststellt. Kann im Falle der Nichterledigung eines TIR-Verfahrens nicht festgestellt werden, in welchem Gebiet (Mitgliedstaat) die Zuwiderhandlung begangen ist, so gilt sie als in dem Mitgliedstaat begangen, in dem sie festgestellt worden ist. Das ist der Mitgliedstaat, der die Zuwiderhandlung -- unabhängig davon, wo sie begangen wurde -- festgestellt hat, es sei denn, der Ort, an dem die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde, wird den Zollbehörden innerhalb der gemäß Art. 455 Abs. 1 VO Nr. 2454/93 vorgeschriebenen Frist glaubhaft nachgewiesen (Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93).

a) Im Streitfall hat das FG entgegen der Auffassung des HZA diesen Nachweis als durch das Schreiben des Klägers, mit dem er die Erklärung seines LKW-Fahrers vorgelegt hat, und ihn als Zeugen dafür angeboten hat, daß die Zuwiderhandlung im Hafengebiet von Porto (Portugal) begangen wurde, als erbracht angesehen. Der Senat hat jedoch Zweifel, ob diese Auffassung den Anforderungen des Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93 an einen "glaubhaften Nachweis" gerecht wird.

Allerdings stimmt der Senat mit dem FG darin überein, daß jedenfalls eine bloße Glaubhaftmachung im Sinne des deutschen Zivilprozeßrechts (§294 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --) nicht ausreicht, die darin besteht, daß der Behörde der Eindruck der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der behaupteten Tatsache vermittelt wird. Vielmehr wird durch die Verwendung des Wortes "glaubhaft" im Zusammenhang mit dem Wort "nachweisen" betont, daß die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, daß die behauptete Tatsache zutrifft, der Behörde zu vermitteln ist. Das ergibt sich auch aus einem Vergleich des Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93 mit der entsprechenden Vorschrift für das gemeinschaftliche Versandverfahren in Art. 378 Abs. 1 VO Nr. 2454/93, in der das Wort "glaubhaft" in bezug auf den zu erbringenden Nachweis fehlt. Es ist nicht anzunehmen, daß der Verordnungsgeber im TIR-Verfahren im Gegensatz zum gemeinschaftlichen Versandverfahren einen geringeren Grad der Wahrscheinlichkeit des ggf. nachzuweisenden tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung als ausreichend hinnehmen wollte, vielmehr wird in beiden Fällen der volle Nachweis des Ortes verlangt, an dem die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist. Der Senat neigt aber -- anders als das FG -- zu der Auffassung, daß nicht alle Beweismittel für den Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung taugen können.

b) Zwar sind die Beweismittel, die zum Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung zugelassen sind, nicht normiert, wie dies durch Art. 455 Abs. 3 VO Nr. 2454/93 für den Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung der Beförderung mit Carnet TIR geschehen ist. Somit sind nach dem Wortlaut der Vorschrift alle Beweismittel zugelassen, aus denen sich die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit ergibt, daß die Zuwiderhandlung an einem bestimmten Ort stattgefunden hat.

Da der Nachweis jedoch nicht nur der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Erhebung von im Falle einer Zuwiderhandlung ohnehin in jedem in Betracht kommenden Mitgliedstaat nach denselben gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften entstandenen gemeinschaftsrechtlichen Einfuhrabgaben dient, sondern davon auch die Entstehung unterschiedlicher nationaler Eingangsabgaben abhängt, hat der Senat schon deshalb Bedenken, ob Aussagen des Carnet-Inhabers sowie der Zeugenbeweis überhaupt und insbesondere eines solchen Zeugen ausreichen, der an der Durchführung der Beförderung mit Carnet TIR beteiligt war. Denn bei der Aussage des Carnet-Inhabers und im Falle des Beweises durch Zeugen kommt es entscheidend auf die Glaubwürdigkeit der vernommenen Personen an, die im wesentlichen nach dem subjektiven Eindruck desjenigen beurteilt wird, dem der Nachweis zu erbringen ist. Die darauf beruhende Beweiswürdigung entzieht sich weitgehend einer objektiven rechtlichen Überprüfung.

Gleiches dürfte allgemein auch für Dokumente gelten, aus denen sich wie aus den vom Kläger dem HZA vorgelegten Transportrechnungen und Transportaufträgen allenfalls mittelbar im Wege des Indizienbeweises durch subjektive Würdigung auf den wahrscheinlichen, tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung schließen läßt.

Zu berücksichtigen ist auch, daß die Erhebung der Eingangsabgaben im Falle einer Zuwiderhandlung soweit wie irgend möglich sicherzustellen ist. Dieses Ziel kann aber nur dann erreicht werden, wenn der Nachweis über den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung nicht nur für den Mitgliedstaat, in dem die Zuwiderhandlung ursprünglich festgestellt wurde, sondern auch für den Mitgliedstaat verbindlich ist, in dem der Ort der Zuwiderhandlung tatsächlich liegen soll. Nur dann ist die Zuständigkeitsfrage für alle in Betracht kommenden Beteiligten eindeutig geklärt.

Daher hält es der Senat für naheliegend, den Nachweis über den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung dadurch zu objektivieren, daß nach Sinn und Zweck der Vorschrift ähnlich wie im Falle von Art. 455 Abs. 3 VO Nr. 2454/93 nur bestimmte Beweismittel zum Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung als tauglich angesehen werden. Solche Beweismittel könnten Urkunden sein, aus denen sich eindeutig ergibt, daß die dafür zuständigen Stellen eines anderen Mitgliedstaats Feststellungen getroffen haben, nach denen die Zuwiderhandlung im Zusammenhang der Beförderung mit dem betreffenden Carnet TIR tatsächlich auf ihrem Gebiet begangen worden ist. Denn nur im Falle einer solchen positiven Feststellung wäre der Mitgliedstaat, der diese Feststellung getroffen hat, nach Art. 454 Abs. 2 VO Nr. 2454/93 für die Erhebung der Zölle und anderen gegebenenfalls zu entrichtenden Abgaben zuständig und gegenüber der Gemeinschaft für die Erhebung der eigenen Einnahmen der Gemeinschaft verantwortlich.

c) Der Senat ist sich bewußt, daß diese Anforderungen an den Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung wohl nur erfüllt werden können, wenn ein Fall des Entziehens aus der zollamtlichen Überwachung i. S. von Art. 203 Abs. 1 Zollkodex gegeben ist, nicht aber auch dann erfüllt werden können, wenn lediglich die Erledigung des Verfahrens nicht nachgewiesen worden ist, wovon das FG im Streitfall ausgeht. Es könnte daher auch sein, daß in einem solchen Fall Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93 gar nicht anwendbar ist, sondern es bei der allgemeinen Regelung in Art. 215 Abs. 3 Zollkodex verbleibt, nach der die Zollschuld als an dem Ort entstanden gilt, an dem die Ware in das Verfahren übergeführt worden ist.

5. a) Würde die Aussage des Klägers und das Zeugnis des mit der Durchführung des Transports für den Carnet-Inhaber beauftragten LKW-Fahrers nicht zum Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung ausreichen, so wären die Vorentscheidung aufzuheben und die Verwaltungsentscheidung zu bestätigen, weil in diesem Fall die in Betracht kommenden Abgaben von dem nach Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 2 VO Nr. 2454/93 zuständigen Mitgliedstaat erhoben worden wären.

b) Wären diese Beweismittel dagegen als ausreichend anzusehen, hätte ein dafür nicht zuständiger Mitgliedstaat die gemeinschaftsrechtlichen Einfuhrabgaben und seine nationalen Eingangsabgaben erhoben, mit der Folge, daß der Abgabenbescheid des HZA rechtswidrig und damit aufzuheben wäre.

Die Abgaben könnten damit in der Bundesrepublik nicht erhoben werden, sondern müßten in Portugal nach den gemeinschaftlichen und dortigen innerstaatlichen Vorschriften erhoben werden. In diesem Fall würde sich in Portugal im Hinblick auf die wegen der Durchführung dieses Verfahrens bereits abgelaufenen Zeit die Frage stellen, ob der Abgabenerhebung nicht bereits die Verjährung nach Art. 221 Abs. 3 Zollkodex entgegensteht.

Zu diesem Ergebnis käme es nicht, wenn Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 VO Nr. 2454/93 über ihren Wortlsaut hinaus nach Sinn und Zweck dahin auszulegen wären, daß auch ein Steuerbescheid, der von der Zollstelle eines nach Art. 454 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93 unzuständigen Mitgliedstaats erlassen wurde, nicht als rechtswidrig aufzuheben ist, sondern Bestand hat und ggf. der nach Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 VO Nr. 2454/93 vorgesehene Ausgleich durchzuführen ist.

Der Senat hat allerdings gegen diese weite Auslegung der genannten Bestimmungen erhebliche Bedenken. Seiner Meinung nach können sie nur eingreifen, wenn die Abgaben in Übereinstimmung mit Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 2 VO Nr. 2454/93 erhoben wurden und "später" festgestellt wird, in welchem Mitgliedstaat die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist. Unter Berücksichtigung der zuvor geschilderten Konsequenzen, insbesondere des Umstandes, daß in diesem Fall auch die gemeinschaftseigenen Einfuhrabgaben nicht mehr erhoben werden könnten, obwohl sie materiell unabhängig von der Zuständigkeit eines bestimmten Mitgliedstaats zu ihrer Erhebung entstehen, hält es der Senat für gerechtfertigt, dem Gerichtshof auch die Frage nach der Auslegung des Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 VO Nr. 2454/93 zu stellen.

6. Wegen der zuvor geschilderten Zweifel an der richtigen Auslegung des Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2454/93 hat der Senat beschlossen, dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Welche Anforderungen sind an den glaubhaften Nachweis des Ortes zu stellen, an dem die Zuwiderhandlung im Verlauf der Beförderung einer Sendung mit Carnet TIR tatsächlich begangen wurde (Art. 455 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 253/1)? Können für den Nachweis die Aussage des Carnet-Inhabers und das Zeugnis des LKW-Fahrers ausreichen, der den Transport für den Carnet-Inhaber durchgeführt hat, oder kann der Nachweis nur durch Urkunden geführt werden, aus denen sich eindeutig ergibt, daß die zuständigen Behörden des anderen Mitgliedstaats Feststellungen getroffen haben, nach denen die Zuwiderhandlung auf ihrem Gebiet begangen wurde?

2. Für den Fall, daß der Gerichtshof den Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung durch Aussagen des Carnet- Inhabers und Zeugnis des LKW-Fahrers, der den Transport durchgeführt hat, für möglich hält:

Sind Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 dahin auszulegen, daß sie auch in einem Fall anzuwenden sind, in dem die Abgaben in dem Mitgliedstaat erhoben wurden, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt wurde, obwohl glaubhaft nachgewiesen wurde, daß der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung in einem anderen Mitgliedstaat lag?

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 1540

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