Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung eines Beschlusses über das Ruhen des Verfahrens

 

Leitsatz (NV)

Das Gericht kann den Beschluß über das Ruhen des Verfahrens wieder aufheben, wenn ein Beteiligter dies nach Ablauf von drei Monaten seit Wirksamwerden dieser Anordnung beantragt.

 

Normenkette

FGO § 155; ZPO § 251 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute und wurden für das Streitjahr 1989 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Steuerbescheid vom 8. November 1990 war vorläufig nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). In den Erläuterungen zum Bescheid ist vermerkt: "Der Bescheid ist hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge vorläufig ... ". Mit dem Einspruch vom 19. November 1990 wandten sich die Kläger gegen den ihrer Meinung nach zu niedrigen Ansatz der Kinderfreibeträge, gegen die Höhe des Grundfreibetrages und die Zulässigkeit des Vorläufigkeitsvermerks. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) wies den Einspruch als unbegründet zurück.

In der Klageschrift kündigten die Kläger an, in der mündlichen Verhandlung zu beantragen, den Steuerbescheid insoweit zu ändern, als bei der Ermittlung der tariflichen Steuer ein Grundfreibetrag in Höhe der für die Familie der Kläger geltenden Sozialhilfesätze für das Streitjahr in Ansatz gebracht wird.

Sie beantragten, das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) über die Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) X vom 4. Juli 1988 ... ruhen zu lassen. Das FA stellte seinerseits einen Antrag auf Ruhen des Verfahrens, weil "in der Streitfrage" eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu erwarten sei. Daraufhin ordnete das FG mit Beschluß vom 13. November 1991 das Ruhen des Verfahrens an (§ 155 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i. V. m. § 251 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Diese Entscheidung sei zweckmäßig, weil das BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des streiterheblichen § 32a des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu entscheiden haben werde.

Mit Schriftsatz vom 13. März 1992 teilten die Kläger mit, sie beabsichtigten, in der mündlichen Verhandlung u. a. zusätzlich zu beantragen, die geltend gemachten Versicherungsbeiträge in voller Höhe und Kinderfreibeträge in Höhe von 7 000 DM je Kind zu berücksichtigen. Mit Schreiben vom 16. März 1992 wandten sich die Kläger gegen den Vorläufigkeitsvermerk; der Einkommensteuerbescheid sei insgesamt aufzuheben.

Auf Anregung des FG hin erließ das FA einen geänderten Bescheid vom 24. September 1992, in welchem die Vorläufigkeit gemäß § 165 Abs. 1 AO 1977 zusätzlich erstreckt wurde auf die Höhe des Grundfreibetrages, die Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen und die beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen.

Auf Antrag des FA hob das FG den Beschluß vom 13. November 1991 auf mit der Begründung, die Gründe für die Anordnung des Ruhens des Verfahrens seien weggefallen. Hiergegen haben die Kläger Beschwerde erhoben, die sie wie folgt begründen: Das BVerfG habe zwar über die Höhe des Grundfreibetrages entschieden; es stehe jedoch eine Entscheidung des Gesetzgebers über die sich daraus ergebenden Kostenfolgen aus. Es liege ein Verfahrenshindernis vor, weil gegen den Änderungsbescheid vom 24. September 1992 Einspruch eingelegt worden sei. Der Vorläufigkeitsvermerk sei rechtlich bedeutungslos. Er sei ohne ihre Zustimmung -- "verbösernd" -- erweitert worden.

Das FG hat die Klage durch Urteil vom 2. November 1992 als unzulässig abgewiesen. Die Kläger hätten kein Rechtsschutzinteresse mehr für eine Aufhebung oder Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 8. November 1990, weil sie durch diesen Bescheid nicht mehr beschwert seien. Schon die Klage gegen den ursprünglichen Bescheid sei mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig. Ihre Statthaftigkeit ergibt sich aus § 128 Abs. 2 Halbsatz 2 FGO. Sie ist nicht dadurch unzulässig geworden, daß das FG -- in zeitlichem Zusammenhang mit dem angefochtenen Beschluß -- im Hauptsacheverfahren entschieden hat (vgl. BFH-Beschluß vom 18. September 1992 III B 43/92, BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123).

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das FG darf das Ruhen des Verfahrens nur anordnen, wenn beide Beteiligten dies beantragen und wenn das Ruhen zweckmäßig erscheint (§ 155 FGO i. V. m. § 251 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Ein übereinstimmender Antrag von FA und Klägern lag im Streitfall bei Anordnung des Ruhens mit Beschluß vom 13. November 1991 vor. Das FG hat das Ruhen im Hinblick auf ausstehende Entscheidungen des BVerfG zu § 32a EStG für zweckmäßig gehalten.

Nach Ablauf von drei Monaten seit Wirksamwerden der Anordnung über das Ruhen des Verfahrens kann jeder Beteiligte -- ohne besonderen Grund -- das Verfahren wieder aufnehmen (§ 155 FGO i. V. m. § 251 Abs. 2 Satz 1 ZPO; BFH-Beschluß vom 29. November 1991 III R 207/90, BFH/NV 1992, 610). Das FA hat mit Schreiben vom 24. September 1992 beantragt, den Beschluß über das Ruhen des Verfahrens aufzuheben. Es war insofern mit dem Ruhen des Verfahrens nicht mehr einverstanden, so daß eine notwendige Voraussetzung für die Anwendung des § 251 Abs. 1 Satz 1 ZPO entfallen war. Zu Recht hat das FG daher den Beschluß am 13. Oktober 1991 aufgehoben. Im übrigen war auch der Grund für das Ruhen entfallen, weil der BFH bereits mit Beschluß vom 9. Oktober 1991 III B 51/91, III B 74/91, III B 81/91 (BFHE 165, 415, BStBl II 1992, 91) eine Entscheidung über die Grundfreibeträge getroffen hatte.

Eine Kostenentscheidung entfällt, weil durch die Beschwerdeentscheidung kein Verfahren i. S. des § 143 Abs. 1 FGO beendet worden ist (vgl. Senatsbeschluß vom 9. August 1994 X B 26/94, BFHE 174, 498, 503, BStBl II 1994, 803).

 

Fundstellen

BFH/NV 1996, 148

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