Entscheidungsstichwort (Thema)

Schriftform bei bestimmenden Schriftsätzen; Prozeßkostenhilfe

 

Leitsatz (NV)

1. Zu den Anforderungen an die Unterschrift unter einer Beschwerdeschrift.

2. Die Klage des Geschäftsführers einer GmbH gegen den gegen ihn ergangenen Lohnsteuerhaftungsbescheid kann unter besonderen Umständen deshalb Aussicht auf Erfolg haben, weil der Geschäftsführer zur Übernahme seines Amtes gezwungen worden ist, ein anderer aber die Geschäfte der GmbH einschließlich der steuerlichen Angelegenheiten geführt hat.

 

Normenkette

FGO § 129 Abs. 1, § 142; ZPO § 114; AO 1977 § 34 Abs. 1, § 69

 

Gründe

Die Beschwerde ist nicht mit der Begründung als unzulässig zu verwerfen, daß die vom Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers, Rechtsanwalt O. unterzeichnete Beschwerdeschrift keine ordnungsgemäße Unterschrift trage. Für eine ordnungsgemäße Unterschrift (Erfordernis der Schriftform) unter bestimmenden Schriftsätzen bestehen nach der Rechtsprechung folgende Anforderungen:

Die Unterschrift muß nicht lesbar sein. Es muß sich aber um einen die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden individuellen Schriftzug handeln, der charakteristische Merkmale aufweist und sich nach dem gesamten Schriftbild als Unterschrift eines Namens darstellt. Dazu gehört, daß mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sind, weil es sonst an dem Merkmal einer Schrift überhaupt fehlt (Beschlüsse des BFH vom 25. März 1983 III R 64/82, BFHE 138, 151, BStBl II 1983, 479; vom 8. März 1984 I R 50/81, BFHE 140, 424, BStBl II 1984, 445; vom 30. Mai 1984 I R 2/84, BFHE 141, 223, BStBl II 1984, 669, jeweils mit weiteren Nachweisen und Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - BGH -). Willkürliche Linien und Striche genügen nicht; es ist ein Schriftzug erforderlich, dessen Entstehung aus einer Schrift in Buchstaben jedenfalls noch wahrnehmbar ist (BFHE 141, 223, BStBl II 1984, 669; BGH-Beschluß vom 24. Februar 1983 I ZB 8/82, Versicherungsrecht - VersR - 1983, 555). Eine Paraphe anstelle der erforderlichen Unterschrift genügt nicht (BFHE 140, 424, BStBl II 1984, 445; BFHE 141, 223, BStBl II 1984, 669, m. w. N.). Der III. Senat des BFH verlangt darüber hinaus, daß ein Dritter, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, diesen Namen aus dem Schriftzug noch herauslesen kann (BFHE 138, 151, BStBl II 1983, 479).

Etwas geringere Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit der Unterschrift enthält der Beschluß des BGH vom 23. Oktober 1984 VI ZB 11/84 (VersR 1985, 59, 60). Danach muß die Unterschrift weder lesbar noch voll ausgeschrieben sein; es genügt, daß wenigstens einige Buchstaben andeutungsweise erkennbar sind und das - nicht aus einem bloßen Handzeichen (Paraphe) bestehende - Schriftbild einen individuellen Charakter aufweist, der die Unterscheidungsmöglichkeit gegenüber anderen Unterschriften gewährleistet und die Nachahmung durch einen Dritten zumindest erschwert (vgl. auch BGH-Urteil vom 4. Juni 1975 I ZR 114/74, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1975, 1705). Der BGH hat hier ein Schriftgebilde, dessen Anfang aus drei in der Höhe abnehmenden Spitzen bestand, an die sich eine 2 cm lange annähernd waagerechte Linie anschloß, noch als Unterschrift mit den flüchtig geschriebenen Anfangsbuchstaben (,,Ch") des aus sechs Buchstaben bestehenden Namens des Prozeßbevollmächtigten angesehen.

Der Senat sieht, gemessen an diesen Anforderungen, die im Streitfall zu beurteilende Unterschrift des Rechtsanwalts O als für die Schriftform gerade noch ausreichend an. Es handelt sich um einen individuellen Schriftzug mit charakteristischen Merkmalen, der nach dem Umfang des Schriftbildes über ein bloßes Handzeichen (Paraphe) hinausreicht, sich gegenüber anderen Unterschriften deutlich unterscheidet und auch schwer nachahmbar ist. Im oberen Teil des Schriftbildes ist andeutungsweise das auf den Anfangsbuchstaben des Namens hindeutende ,,O" erkennbar, während der sich daran anschließende, nach rechts unten gezogene Bogen als ,,p" gedeutet werden kann. Mit einiger Phantasie kann auch den Erläuterungen des Prozeßbevollmächtigten entsprechend der Endschriftzug als ein flüchtig hingeschriebenes ,,f" angesehen werden, so daß eine gerade noch hinreichende Unterscheidung zu dem Namen des ebenfalls der Kanzlei angehörenden anderen Rechtsanwalts möglich erscheint. Der Senat ist nicht der Ansicht, daß ein Dritter, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, diesen aus dem Schriftzug noch muß herauslesen können. Die darauf hindeutende Auffassung des III. Senats des BFH war nach der im Urteilsfall vorliegenden Unterschrift für dessen Entscheidung in BFHE 138, 151, BStBl II 1983, 479 nicht tragend.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413832

BFH/NV 1987, 461

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