Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die eigenhändige Unterzeichnung einer Klageschrift

 

Leitsatz (NV)

Für die Wahrung der Schriftform bei der Klageerhebung (§ 64 FGO) reicht es aus, wenn die erforderliche eigenhändige Unterschrift charakteristische Merkmale aufweist, individuell gestaltet ist und die Iden tität des Unterzeichnenden ausreichend klarstellt. Es ist nicht erforderlich, daß der Name voll ausgeschrieben und lesbar ist.

 

Normenkette

FGO § 64

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat mit Schriftsatz vom 3. Juli 1991 Klage erhoben, die -- unter dem Briefkopf der Prozeßbevollmächtigten und dem maschinenschriftlichen Zusatz "Steuerberater"-- mit einem handschriftlichen Schriftzug unterzeichnet ist, den das Finanzgericht (FG) im angefochtenen Urteil wie folgt beschrieben hat:"

Er beginnt links mit einem 2,3 cm langen senkrechten Strich, an den sich unten in sehr spitzem Winkel ein nach oben gerichteter, ca. 1 cm langer Strich anschließt, dem wiederum im spitzen Winkel ein nach unten gerichteter ca. 0,5 cm langer Strich folgt. Hierauf folgt eine wellenförmige Linie mit fünf verschiedenen hohen Wellenbergen, an die sich ein nach rechts oben im stumpfen Winkel gerichteter Strich von ca. 3 cm anschließt."

Das FG hat die Klage mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, die Klageschrift enthalte keine ordnungsgemäße Unterschrift der Prozeßbevollmächtigten. In dem Schriftzug sei kein einziger Buchstabe erkennbar.

Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, die Klageschrift enthalte eine ausreichende Unterschrift im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Sie nimmt insbesondere Bezug auf den Beschluß des BGH vom 8. Oktober 1991 XI ZB 6/91 (Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1992, 243 = Versicherungsrecht -- VersR -- 1992, 76 = Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1992, 431). Dem Gesamtschriftzug der Prozeßbevollmächtigten könne ein individuell stilisierter, unverwechselbarer Charakter nicht abgesprochen werden. Auch die Länge der auslaufenden Schwingungen im Namenszug mache deutlich, daß es sich hier nicht nur um ein abgekürztes Handzeichen, sondern um eine vollständige Unterschrift handele.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat zu Unrecht angenommen, daß die Klage nicht ordnungsgemäß unterschrieben sei. Der erkennende Senat ist insoweit zu eigenen tatsächlichen Feststellungen befugt. Die formgerechte Klageerhebung gehört zu den Sachurteilsvoraussetzungen, die das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen hat (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. Juli 1977 I R 207/75, BFHE 123, 286, BStBl II 1978, 11 m. w. N.).

Nach § 64 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Klage schriftlich zu erheben. Aus diesem Erfordernis der Schriftform folgt, daß die Klageschrift als bestimmender Schriftsatz von demjenigen, der die Verantwortung für ihren Inhalt trägt, eigenhändig mit vollem Namen unterzeichnet sein muß (BFH-Beschluß vom 8. März 1984 I R 50/81, BFHE 140, 424, BStBl II 1984, 445 m. w. N.). Die Abkürzung des Namens -- sog. Paraphe -- reicht für die Erfüllung der Schriftform nicht aus.

Im vorliegenden Fall ist die Klageschrift nicht lediglich mit einer Paraphe abgezeichnet. Der Schriftzug geht nach dem Umfang des Schriftbildes über ein bloßes Handzeichen (Paraphe) hinaus. Es ist für die Beachtung der Schriftform nicht erforderlich, daß der Name voll ausgeschrieben und lesbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1984 IV R 274/83, BFHE 143, 198, BStBl II 1985, 367). Da die Unterschrift lediglich sicherstellen soll, daß das Schriftstück auch vom Unterzeichner stammt, reicht es aus, daß ein die Identität des Unterzeichnenden kennzeichnender, individuell gestalteter Namenszug vorliegt, der die Absicht einer vollen Unterschrift erkennen läßt, selbst wenn er nur flüchtig geschrieben ist (BFHE 143, 198, BStBl II 1985, 367; BFH-Urteil vom 29. April 1993 IV R 26/92, BFHE 171, 1, BStBl II 1993, 720; BGH in NJW 1992, 243). Undeutlichkeiten, Verschleifungen und Verstümmelungen sind unschädlich (BGH-Beschluß vom 7. Juli 1992 VIII ZB 21/82, VersR 1982, 973; BFH-Urteil vom 28. September 1988 X R 32--34/88, BFH/NV 1989, 505).

Der individuelle Charakter des Schriftbildes muß die Unterscheidungsmöglichkeit gegenüber anderen Unterschriften und die Nachahmung durch einen Dritten zumindest erschweren (BFHE 143, 198, BStBl II 1985, 367).

Außerdem fordert die in Rechtsprechung und Literatur herrschende Meinung (vgl. statt vieler Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 64 Rz. 20), daß zumindest einzelne Buchstaben erkennbar sind, weil es sonst an dem Merkmal einer Schrift überhaupt fehle (BFH-Beschlüsse vom 30. Mai 1984 I R 2/84, BFHE 141, 223, BStBl II 1984, 669; vom 16. Januar 1986 III R 50/84, BFHE 147, 199, BStBl II 1986, 856; BFH/NV 1989, 505, jeweils m. w. N.). Dieses Erfordernis wird zum Teil dahin abgeschwächt, daß "wenigstens einzelne Buchstaben andeutungsweise erkennbar" sein müssen (BGH-Beschluß in VersR 1982, 973; vgl. auch Urteil des Senats vom 25. April 1989 VIII R 23/84, BFH/NV 1990, 239) oder zumindest der erste Buchstabe des Namens bei Kenntnis des im selben Schriftsatz maschinenschriftlich oder durch Stempelabdruck mitgeteilten Namens erkennbar ist (BGH-Beschlüsse vom 20. September 1974 IV ZB 27/74, HFR 1975, 216; in NJW 1992, 243).

In einigen Entscheidungen wird es als ausreichend erachtet, daß ein Dritter, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, diesen Namen, und sei es auch als dessen "denkbare Verstümmelung" aus dem Schriftbild "noch herauslesen" kann (Urteil des Bundesarbeitsgerichts -- BAG -- vom 29. Juli 1991 4 AZR 632/79, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts -- Arbeitsrechtliche Praxis -- Nr. 46 zu § 518 ZPO; vgl. auch BGH-Urteil vom 4. Juni 1975 I ZR 114/74, NJW 1975, 1705). Die Grenze ist nach diesen Entscheidungen dort zu ziehen, wo der Schriftzug nicht mehr als solcher angesprochen werden kann, weil seine Entstehung aus der ursprünglichen Schrift in Buchstaben nicht einmal andeutungsweise zu erkennen ist (BGH in NJW 1975, 1705).

Nach diesen Rechtsgrundsätzen genügt der Schriftzug der Prozeßbevollmächtigten unter der Klageschrift den Anforderungen des § 64 Abs. 1 FGO an eine Unterschrift. Sein Beginn läßt sich bei Kenntnis des im Briefkopf mitgeteilten Namens als eine stark vereinfachte Form des großen Anfangsbuchstabens "H" deuten. Der Schriftzug geht dann in eine längere Wellenlinie mit mehreren ausgeprägten Bögen über und endet mit einem langen hochgezogenen Aufstrich. Der Schriftzug weist einen individuell stilisierten, unverwechselbaren Charakter auf, der als Unterschrift der Prozeßbevollmächtigten zu beurteilen ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß sich alle dem Anfangsbuchstaben folgenden acht Buchstaben mit einer Ausnahme (dem fünften Buchstaben h) auf das Mittelband beschränken, also keine Ober- und Unterlängen aufweisen. Eine derartige Buch stabenfolge unterliegt bei Unterschriften gewöhnlich einem Abschleifungsprozeß, dessen Ergebnis oft nur noch eine durch gehende Wellenlinie ist. Charakteristische Merkmale des Schriftbildes, die zugleich eine Nachahmung erschweren, sind hier neben dem durch einen senkrechten Abstrich betonten Anfangsbuchstaben die Gliederung der Bogenlinie, die zur Mitte hin ansteigt, und der langgezogene Aufstrich am Schluß des Namenszuges. In Verbindung mit dem auf dem Briefkopf maschinenschriftlich angegebenen Namen und dem Zusatz "Steuerberater" unter der Unterschrift, weist der Schriftzug auf die Urheberschaft der Steuerberaterin H hin. Damit ist die Identität der Prozeßbevollmächtigten ausreichend gekennzeichnet.

Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das FG wird nunmehr prüfen müssen, ob die Klage im übrigen zulässig und ggf. begründet ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419915

BFH/NV 1995, 222

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