Entscheidungsstichwort (Thema)

Mehrfachbegründung einer FG-Entscheidung; grundsätzliche Bedeutung; Verfahrensrüge

 

Leitsatz (NV)

1. Hat das FG seine klageabweisende Entscheidung auf zwei voneinander unabhängige, jeweils für sich tragende Gründe gestützt, so setzt die Zulässigkeit der Beschwerde voraus, daß der Beschwerdeführer hinsichtlich beider Gründe einen Zulassungsgrund schlüssig darlegt.

2. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache muß -- abgesehen von dem Fall ihrer Offenkundigkeit -- substantiiert dargelegt werden. Dies erfordert ein konkretes Eingehen des Beschwerdeführers darauf, inwieweit die Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten sei. Dazu gehört auch, daß der Beschwerdeführer bereits vorhandene Rechtsprechung zu der von ihm für klärungsbedürftig gehaltenen Rechtsfrage berücksichtigt und vorträgt, weshalb nach seiner Ansicht diese Rechtsprechung bisher keine Klärung herbeigeführt habe.

3. Eine Verfahrensrüge genügt nur dann den Anforderungen des §115 Abs. 3 Satz 3 FGO, wenn der Beschwerdeführer schlüssig Tatsachen bezeichnet, aus denen sich ergibt, daß ein Verfahrensmangel vorliegt, und darlegt, daß das angefochtene Urteil auf ihm beruhen kann. Dabei ist von der materiell- rechtlichen Auffassung des FG auszugehen. Die Schlüssigkeit einer Verfahrensrüge setzt daher die substantiierte Darlegung voraus, daß die angefochtene Entscheidung aus der materiell-rechtlichen Sicht des FG ohne den Verfahrensverstoß anders hätte ausfallen können.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3

 

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat keinen Erfolg.

1. Das Finanzgericht (FG) hat seine klageabweisende Entscheidung auf zwei voneinander unabhängige, jeweils für sich tragende Gründe gestützt, und zwar zum einen darauf, daß die Klägerin den während des Klageverfahrens erlassenen Einkommensteueränderungsbescheid 1990 vom 12. Dezember 1996 weder binnen Monatsfrist zum Gegenstand des Verfahrens gemacht (vgl. §68 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) noch mit dem Einspruch angefochten habe, und zum anderen darauf, daß die Klage auch aus materiell-rechtlichen Gründen keinen Erfolg haben könne.

a) In einem solchen Fall setzt die Zulässigkeit der Beschwerde voraus, daß der Beschwerdeführer hinsichtlich beider Gründe einen Zulassungsgrund schlüssig darlegt (vgl. z. B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §115 Rdnr. 59, m. w. N.).

Daran fehlt es im Streitfall, weil die Klägerin hinsichtlich der erstgenannten tragenden Begründung des FG-Urteils keinen Zulassungsgrund i. S. von §115 Abs. 2 FGO in einer den Anforderungen des §115 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise darzulegen vermochte.

aa) Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache muß -- abgesehen von dem hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefall ihrer Offenkundigkeit -- substantiiert dargelegt werden. Dies erfordert ein konkretes Eingehen des Beschwerdeführers darauf, inwieweit die Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten sei (Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., §115 FGO Anm. 7 a, m. w. N.). Dazu gehört auch, daß der Beschwerdeführer bereits vorhandene Rechtsprechung zu der von ihm für klärungsbedürftig gehaltenen Rechtsfragen berücksichtigt und vorträgt, weshalb nach seiner Ansicht diese Rechtsprechung bisher keine Klärung herbeigeführt habe (Kühn/Hofmann, a. a. O.).

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

aaa) Soweit die Klägerin geltend macht, es sei von grundsätzlicher Bedeutung, ob ein Abrechnungsbescheid, der inhaltlich fehlerhaft als Änderungsbescheid bezeichnet werde, einen geänderten Verwaltungsakt i. S. des §68 FGO darstelle, fehlen jegliche Ausführungen darüber, warum diese Rechtsfrage der höchstrichterlichen Klärung bedürfe.

bbb) Entsprechendes gilt für die von der Klägerin für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Rechtsfrage, ob in der Übersendung einer Kopie eines Steuerbescheids ohne Bekanntgabewillen der Finanzbehörde durch das FG an den Prozeßbevollmächtigten eine wirksame Bekanntgabe gesehen werden könne.

bb) Eine Verfahrensrüge genügt nur dann den Anforderungen des §115 Abs. 3 Satz 3 FGO, wenn der Beschwerdeführer schlüssig Tatsachen bezeichnet, aus denen sich ergibt, daß ein Verfahrensmangel vorliegt, und darlegt, daß das angefochtene Urteil auf ihm beruhen kann (Gräber/Ruban, a. a. O., §120 Rdnr. 38, m. w. N., i. V. m. §115 Rdnr. 65). Dabei ist von der materiell-rechtlichen Auffassung des FG auszugehen. Die Schlüssigkeit einer Verfahrensrüge setzt daher die substantiierte Darlegung voraus, daß die angefochtene Entscheidung aus der materiell-rechtlichen Sicht des FG ohne den Verfahrensverstoß anders hätte ausfallen können (Gräber/Ruban, a. a. O., §120 Rdnr. 39, m. w. N., i. V. m. §115 Rdnr. 65).

Daran fehlt es im Streitfall. Der von der Klägerin gerügte Verfahrensfehler (Verletzung der Hinweispflicht gemäß §76 Abs. 2 FGO) war angesichts der kumulativen Begründung des angefochtenen Urteils nicht entscheidungserheblich. Denkt man den vermeintlichen Verfahrensmangel hinweg, d. h. wären die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom FG auf die Notwendigkeit der Beachtung der Monatsfrist des §68 Satz 2 FGO ausdrücklich hingewiesen worden, wäre die Entscheidung nicht anders ausgefallen, da jedenfalls der zweite (selbständige) Klageabweisungsgrund (Abweisung aus materiell-rechtlichen Gründen) bestehen geblieben wäre.

b) Die Beschwerde könnte aber selbst dann keinen Erfolg haben, wenn man zugunsten der Klägerin davon ausginge, daß ihre Beschwerde in bezug auf den ersten tragenden Grund der FG-Entscheidung (oben a) zulässig und begründet wäre. Denn die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung hinsichtlich der zweiten, für sich tragenden Begründung des FG-Urteils liegt nicht vor.

aa) Zuzugeben ist der Klägerin, daß die von ihr aufgeworfene Rechtsfrage, ob die von der Ambros S. A. ihren Anlegern gutgeschriebenen und/oder ausgezahlten "Renditen" als Einnahmen aus Kapitalvermögen zu versteuern sind, im Zeitpunkt der Einlegung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde (17. April 1997) grundsätzliche Bedeutung hatte, die zudem angesichts ihrer Offenkundigkeit ausnahmsweise nicht einmal einer substantiierten Darlegung bedurfte.

bb) Diese grundsätzliche Bedeutung ist indessen nach Erlaß der ebenfalls Ambros- Fälle betreffenden, zur Veröffentlichung bestimmten und im Ergebnis mit der hier angefochtenen FG-Entscheidung übereinstimmenden Urteile des erkennenden Senats vom 22. Juli 1997 VIII R 13/96 (BStBl II 1997, 767), VIII R 12/96 (BStBl II 1997, 761) und VIII R 57/95 (BStBl II 1997, 755) entfallen, so daß ein Zulassungsgrund i. S. von §115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht mehr besteht (zur Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde für die Prüfung der Zulassungsgründe vgl. z. B. Gräber/Ruban, a. a. O., §115 Rdnr. 69).

2. Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ab.

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 613

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