Leitsatz

1. Auch unter der Geltung der InsO kommt es hinsichtlich der Frage, ob ein steuerrechtlicher Anspruch zur Insolvenzmasse gehört oder ob die Forderung des Gläubigers eine Insolvenzforderung ist, nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinn entstanden war, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war. Es besteht kein Anlass, von dieser unter der Geltung der KO entwickelten Rechtsprechung abzuweichen.

2. Die Vorsteuervergütung für einen bestimmten Besteuerungszeitraum wird das FA in dem Zeitpunkt "zur Insolvenzmasse schuldig" i.S.d. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, in dem ein anderer Unternehmer eine Lieferung oder sonstige Leistung für das Unternehmen des zum Vorsteuerabzug berechtigten Schuldners erbringt.

3. Will das FA nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Aufrechnung gegen einen sich für einen Besteuerungszeitraum ergebenden Vorsteuervergütungsanspruch des Schuldners erklären und setzt sich dieser Anspruch sowohl aus vor als auch aus nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vorsteuerbeträgen zusammen, hat das FA sicherzustellen, dass die Aufrechnung den Vorsteuervergütungsanspruch nur insoweit erfasst, als sich dieser aus Vorsteuerbeträgen zusammensetzt, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind.

 

Normenkette

§ 226 Abs. 1 AO , § 387 BGB , § 95 Abs. 1 InsO , § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO , § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG

 

Sachverhalt

Ein Insolvenzverwalter gab für die Schuldnerin Umsatzsteuer-Voranmeldungen für zwei Voranmeldungszeiträume nach Verfahrenseröffnung ab. Sie führten zu einem Guthaben (Vorsteuerüberhang), welches das FA aber nur teilweise an den Insolvenzverwalter auszahlte und im Übrigen mit Steuerforderungen aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung verrechnete.

 

Entscheidung

Der Abrechnungsbescheid, der vorgenannte Verrechnung vornimmt, ist aus den oben dargestellten Erwägungen heraus zu billigen.

 

Hinweis

1. Bestanden die zur Aufrechnung sich gegenüberstehenden Forderungen des Schuldners und eines Insolvenzgläubigers bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ist der Insolvenzgläubiger nach § 95 Abs. 1 InsO auch zur Aufrechnung befugt, wenn die Aufrechnungslage erst während des Insolvenzverfahrens eintritt, weil die aufzurechnende Hauptforderung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig oder die Forderungen noch nicht auf gleichartige Leistungen gerichtet waren, es sei denn (Satz 3 der Vorschrift), dass die Hauptforderung im Insolvenzverfahren unbedingt und fällig wird, bevor der Insolvenzgläubiger seinen Anspruch einfordern und somit die Aufrechnung mit diesem Anspruch erklären kann.

Steuerforderungen bestehen in diesem (insolvenzrechtlichen) Sinn, wenn sie in ihrem "Kern" entstanden sind. Dass der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinn entstanden war, ist nicht erforderlich. Eine Steuerforderung ist also immer dann Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO, wenn der Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche führt, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist. Nach denselben Grundsätzen ist die Zugehörigkeit eines steuerrechtlichen Vergütungs- oder Erstattungsanspruchs zur Insolvenzmasse (§ 35 InsO) zu beurteilen (BFH, Urteil vom 1.8.2000, VII R 31/99, BFH-PR 2001, 113). Diese gefestigte Rechtsprechung ist auch unter der InsO einschlägig.

2. Ein Vorsteuervergütungsanspruch entsteht insolvenzrechtlich, sobald ein Unternehmer eine Lieferung oder sonstige Leistung für das Unternehmen des zum Vorsteuerabzug berechtigten Schuldners erbringt.

Insolvenzrechtlich ohne Bedeutung ist auch, dass der Vorsteueranspruch umsatzsteuerrechtlich lediglich eine unselbstständige Besteuerungsgrundlage darstellt und grundsätzlich kein selbstständiger Zahlungsanspruch ist. Bei Anwendung des §96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist gleichwohl notwendigerweise zu differenzieren, inwieweit ein festgesetzter Vorsteuerüberschuss auf vor oder nach der Insolvenzeröffnung erbrachten Unternehmerleistungen beruht. Ist für den jeweiligen Besteuerungszeitraum auch Umsatzsteuer festzusetzen, kommt in Betracht, zur Ermittlung der Höhe des aufrechenbaren Betrags eine fiktive Umsatzsteuerberechnung für den Zeitraum bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens durchzuführen, also eine Art Schattenveranlagung für diesen (umsatzsteuerlich irrelevanten) Teilzeitraum. Man könnte aber auch – zugunsten der Insolvenzmasse – die für den Besteuerungszeitraum berechnete Umsatzsteuer zunächst nach § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG mit den Vorsteuerbeträgen des Zeitraums bis zur Verfahrenseröffnung verrechnen, und zwar zunächst mit solchen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (insolvenzrechtlich) begründet worden sind. Welcher dieser Berechnungsmethoden der Vorzug zu geben ist, hat der BFH in der Besprechungsentscheidung noch offen gelassen (es dürfte a...

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