Leitsatz

1. Steht nach Aktenlage nicht fest, ob ein mechanisches Versehen oder ob ein anderer die Anwendung von § 129 Satz 1 AO ausschließender Fehler zu einer offenbaren Unrichtigkeit des Bescheids geführt hat, muss das FG den Sachverhalt insoweit aufklären und gegebenenfalls auch Beweis erheben.

2. Lässt sich nicht abschließend klären, wie es zu der Unrichtigkeit im Bescheid gekommen ist und stehen sich zwei nicht nur theoretisch denkbare hypothetische Geschehensabläufe gegenüber, von denen einer eine Berichtigung ausschließt, darf nicht berichtigt werden.

3. Eine Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO ist auch ausgeschlossen, wenn das FA feststehenden Akteninhalt (6 Seiten Anlagen zur Anlage G) bewusst nicht zur Kenntnis nimmt und wenn sicher anzunehmen ist, dass bei gebotener Kenntnisnahme ein mechanischer Übertragungsfehler bemerkt und/oder vermieden worden wäre. Dann ist nicht allein der mechanische Übertragungsfehler für die Unrichtigkeit des Bescheids ursächlich geworden, sondern zugleich ein die Willensbildung betreffender Fehler.

4. Die objektive Feststellungslast trifft das FA, wenn es sich auf die Berichtigungsvorschrift beruft.

 

Normenkette

§ 129 Satz 1 AO, § 17 EStG, § 96 Abs. 1 Satz 1, § 118 Abs. 2 FGO

 

Sachverhalt

Der Kläger erzielte und erklärte u.a. einen Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG und einen gesondert festgestellten laufenden Verlust aus einer anderen Beteiligung. Zur Ermittlung des Veräußerungsgewinns waren der Steuererklärung 6 Seiten Anlagen beigefügt. Das FA erfasste (bei mechanischer Übertragung der Angaben aus der in Papierform abgegebenen Erklärung) weder den laufenden Verlust noch den Veräußerungsgewinn. Die Akten und der Bescheid enthalten lediglich den Hinweis, dass die ESt4B-Mitteilung abzuwarten sei. Nach deren Eingang erfasste das FA den laufenden Verlust. Erst nach Eintritt der Bestandskraft berichtigte es den Bescheid nach § 129 AO und erfasste nun erstmals auch den Veräußerungsgewinn. Das FG (Thüringer FG, Urteil vom 31.1.2018, 3 K 480/17, Haufe-Index 12126295, EFG 2018, 1235) vernahm die Sachbearbeiterin und ihre Vorgesetzten als Zeugen und wies die Klage mit der Begründung ab, ein die Willensbildung betreffender Fehler sei nach Aktenlage ausgeschlossen.

 

Entscheidung

Auf die Revision der Kläger hat der BFH das FG-Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben. Der Bescheid durfte nicht berichtigt werden. Die Annahme des FG, wonach ein die Willensbildung betreffender Fehler ausgeschlossen werden könne, hatte keine hinreichende Grundlage. Vielmehr war ein solcher Fehler nach Aktenlage (nicht nur theoretisch) möglich und eine Berichtigung nach § 129 AO deshalb ausgeschlossen.

Berichtigung und Richtigkeit?

Die Kläger hielten (hilfsweise) eine Berichtigung des Bescheids auch deshalb für ausgeschlossen, weil sie den Veräußerungsgewinn (objektiv) unrichtig ermittelt und erklärt hatten und dessen richtige Erfassung eine weitere Sachaufklärung erfordert hätte. Dies sei aber bei § 129 AO ausgeschlossen und von einer Berichtigung sei nur auszugehen, wenn der Bescheid danach richtig sei.

Der BFH ist auf die Frage nicht eingegangen, weil sie nicht mehr entscheidungserheblich war. Der Auffassung der Kläger dürfte indes nicht zu folgen sein. Im Ausgangspunkt bestand die Unrichtigkeit des Bescheids darin, dass der erklärte Veräußerungsgewinn nicht erfasst war. Dieser Mangel wird dadurch geheilt, dass der erklärte Veräußerungsgewinn erfasst wird. Weshalb dessen Richtigkeit im Verfahren nicht aufgeklärt und überprüft werden sollte, erschließt sich nicht.

Im Übrigen ist die Richtigkeit, die mit der Berichtigung erreicht werden soll, nicht mit Rechtmäßigkeit zu verwechseln. Im gesamten Berichtigungsverfahren geht es nicht um die Herstellung von Rechtmäßigkeit. Das darf nicht vergessen werden.

 

Hinweis

Die Rechtsprechung zu § 129 AO befindet sich in einer noch nicht abgeschlossenen Entwicklung. Das Besprechungsurteil legt in diesem Kontext den Schwerpunkt u.a. auf Fragen der Sachverhaltsfeststellung (Sachverhaltsaufklärung und -würdigung) und kann damit erheblich zu einer gleichmäßigen und nachvollziehbaren Anwendung dieser Vorschrift beitragen. Es enthält darüber hinaus auch wichtige materiell-rechtliche Fortentwicklungen (insoweit jedoch ohne Leitsätze). Wegen der großen praktischen Bedeutung der Vorschrift ist auf jeden Fall erhöhte Aufmerksamkeit geboten:

1.§ 129 Satz 1 AO gestattet nur die Berichtigung mechanischer Versehen. Sie sind abzugrenzen von Fehlern im Bereich der bewussten Willensbildung (so jetzt ausdrücklich der BFH in Rz. 17). Zu den nicht berichtigungsfähigen Fehlern gehören alle Rechtsfehler, auch solche, die die Tatsachenfeststellung oder Erfassung des Sachverhalts betreffen. Rechtliche Fehler, die den Bescheid rechtswidrig machen, also auch Verfahrensmängel, können grundsätzlich nicht nach § 129 Satz 1 AO berichtigt werden.

2. Ein mechanisches Versehen muss (nach prozessualen Maßstäben) feststehen. Es genügt nicht, dass es möglich erscheint. Umgekehrt schließt die (bloße) Möglichkeit ein...

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