Leitsatz

Die automatisierte Vorabanforderung von Steuererklärungen bedarf - jedenfalls hinsichtlich des Auswahlermessens - einer für den Steuerpflichtigen nachvollziehbaren Begründung.

 

Sachverhalt

Das Finanzamt forderte die steuerlich beratene Klägerin auf, die Erklärungen für das Kalenderjahr 2010 zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte, der Umsatz- sowie der Gewerbesteuer bis zum 1.9.2011 abzugeben. Zur Begründung verwies es darauf, dass zwar mit dem Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder (v. 3.1.2011, 51-S 0320-014/09, BStBl 2011 I S. 44:Fristenerlass) die gesetzliche Abgabefrist für Steuerpflichtige, die steuerlich vertreten werden, allgemein auf den 31.12.2011 verlängert worden sei. Die Finanzämter hätten aber gleichwohl die Möglichkeit, Erklärungen mit angemessener Frist für einen Zeitpunkt vor Ablauf der allgemein verlängerten Frist anzufordern. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein. Sie machte im Wesentlichen geltend, dass das Finanzamt die Ermessensentscheidung zur vorzeitigen Anforderung der Steuererklärungen entgegen § 121 Abs. 1 AO nicht hinreichend begründet habe.

 

Entscheidung

Vor dem FG hatte die Klägerin Erfolg. Die Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärungen war bereits aus formellen Gründen rechtswidrig, da sie nicht hinreichend begründet worden sei. Zunächst stelle sich die Frage, warum überhaupt Erklärungen vorab angefordert worden seien. Im Schreiben des Finanzamts wurden lediglich die allgemeinen Gründe für eine Vorabanforderung aus dem Fristenerlass aufgeführt, ohne dass erkennbar war, welcher dieser Gründe nach Auffassung des Finanzamts im Falle der Klägerin gegeben wäre. Weiter wurde generell darauf verwiesen, dass der rechtzeitige Abschluss des jährlichen Steuerfestsetzungsverfahrens es erforderlich mache, einen Teil der jährlichen Steuererklärungen vor Ablauf der allgemein verlängerten Frist anzufordern. Ob sich dies allgemein auf die Arbeitslage der Finanzämter oder konkret auf die Arbeitslage des beklagten Finanzamts bezieht, blieb unklar. Das Gericht brauchte allerdings nicht zu entscheiden, ob dieser Umstand alleine bereits einen Verstoß gegen die Begründungspflicht des § 121 Abs. 1 AO darstellte oder ob ein schlichter Hinweis auf die Arbeitslage der Finanzämter bei beratenen Steuerpflichtigen im Kontext des Fristenerlasses und seiner Bedeutung aus sich selbst heraus verständlich ist. Denn das Anforderungsschreiben ließ nicht erkennen, warum gerade die Klägerin aufgefordert worden war, ihre Steuererklärungen vor Ablauf der in dem Fristenerlass verlängerten bzw. zu verlängernden Frist vorzulegen. Konkrete und durch das Gericht nachprüfbare Ermessenserwägungen fehlten somit gänzlich. Insofern könne auch § 102 Satz 2 FGO, wonach gerichtlich überprüft werden kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde, nicht zur Anwendung kommen, so die Richter.

 

Hinweis

Gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AO können Fristen zur Einreichung von Steuererklärungen verlängert werden. Die Verlängerung der Frist liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde (BFH, Urteil v. 11.04.2006, VI R 64/02, BStBl 2006 II S. 642). Die obersten Finanzbehörden der Länder haben mit dem gleichlautenden Fristenerlass Verwaltungsvorschriften über die Verlängerung der Abgabefristen erlassen. Nach Abschnitt II des Fristenerlasses wird die Frist, sofern die Steuererklärungen wie im Streitfall durch einen Steuerberater angefertigt werden, grundsätzlich nach § 109 AO allgemein bis zum 31. Dezember verlängert. Es bleibt allerdings ausdrücklich den Finanzämtern vorbehalten, Erklärungen mit angemessener Frist für einen Zeitpunkt vor Ablauf der allgemein verlängerten Frist anzufordern. Von dieser Möglichkeit soll insbesondere Gebrauch gemacht werden, wenn

  • für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum die erforderlichen Erklärungen verspätet oder nicht abgegeben wurden,
  • für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum kurz vor Abgabe der Erklärung bzw. vor dem Ende der Karenzzeit nach § 233 a Abs. 2 Satz 1 AO nachträgliche Vorauszahlungen festgesetzt wurden,
  • sich aus der Veranlagung für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum eine hohe Abschlusszahlung ergeben hat,
  • hohe Abschlusszahlungen erwartet werden,
  • für Beteiligte an Gesellschaften und Gemeinschaften Verluste festzustellen sind oder
  • die Arbeitslage der Finanzämter es erfordert.

Diese Verwaltungsvorschriften sollen einen sachgerechten Interessenausgleich zwischen Steuerpflichtigen, steuerberatenden Berufen und Finanzbehörden ermöglichen. Sie sollen den gleichmäßigen Arbeitsanfall steuern und die Arbeitsbelastung der steuerberatenden Berufe berücksichtigen (BFH, Urteil v. 28.6.2000, X R 24/95, BStBl 2000 II S. 514).

 

Link zur Entscheidung

FG Hamburg, Urteil vom 27.04.2012, 6 K 95/11

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