Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung der sog. Öffnungsklausel in der Rentenbesteuerung. Berücksichtigung rentenrechtlich möglicher Nachzahlungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Anwendung der sog. Öffnungsklausel in der Rentenbesteuerung setzt voraus, dass der Steuerpflichtige nachweist, dass der Betrag des Höchstbeitrages mindestens zehn Jahre überschritten wurde. Dabei kommt es nicht allein darauf an, in welchem Jahr, sondern auch darauf, für welche Jahre die Beiträge geleistet worden sind. Die einzige zeitliche Begrenzung ist der 31.12.2004, bis zu dem sich Zahlungen für die Öffnungsklausel qualifizieren konnten.

2. Sinn und Zweck der sog. Öffnungsklausel ist allein die Vermeidung einer möglichen verfassungswidrigen Doppelbesteuerung, die sich daraus ergeben kann, dass ein Steuerpflichtiger eine Altersrente als Einnahme versteuern muss, obwohl er die von ihm getragenen Beiträge, aufgrund derer er die Rente erhält, gerade wegen der Höhe nicht oder nicht vollständig als Sonderausgabe abziehen konnte.

3. Nachzahlungen, die rentenrechtlich möglich sind, sind auch im Rahmen der Öffnungsklausel zu berücksichtigen. Rentenrechtlich möglich ist entgegen der Ansicht der Finanzverwaltung in dem BMF-Schreiben vom 19.8.2013 (BStBl 2013 I S. 1087, Rz. 240) nicht gleichzusetzen mit „rentenrechtlich wirksam”, d. h. ab wann die Einzahlung tatsächlich rentenerhöhend wirkt.

 

Normenkette

EStG § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 28.12.2021; Aktenzeichen X B 135/20)

BFH (Urteil vom 04.09.2019; Aktenzeichen X R 43/17)

 

Tenor

1. In Änderung der Einkommensteuerbescheide für 2009 vom 10. Dezember 2010, für 2010 vom 15. Juni 2012 und für 2012 vom 12. Mai 2014 sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 19. August 2014 werden unter Anwendung der Öffnungsklausel gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG 22,11 % der Versorgungsleistungen des Klägers aus der Bayer. Ärzteversorgung der Ertragsanteilsbesteuerung unterworfen und die Einkommensteuer 2009, 2010 und 2012 entsprechend festgesetzt. Die Berechnung der Einkommensteuern wird dem Finanzamt auferlegt.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen bis zur Einschränkung des Antrags in der mündlichen Verhandlung die Kläger zu 60% und das Finanzamt zu 40%, im Übrigen das Finanzamt.

3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

4. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

 

Tatbestand

I.

Die Kläger sind zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Ehegatten.

Der Kläger bezog in den Streitjahren 2009, 2010, 2012 (Streitjahre) u.a. Einkünfte aus Versorgungsleistungen aus der bayerischen Ärzteversorgung (Versorgungsleistungen).

Der Kläger leistete ab 1970 Beiträge zur Bayer. Ärzteversorgung; während seiner Auslandstätigkeit leistete er Beiträge als freiwilliges Mitglied. Insgesamt zahlte der Kläger ausweislich des Schreibens der Bayer. Ärzteversorgung Beiträge für die Jahre 1985, 1987, 1995, 1997, 1998, 1999, 2000, 2001 und 2003 jeweils über dem Höchstbeitrag zur Angestelltenversicherung. Davon zahlte er allein im Jahr 2003 einen Betrag von EUR. Laut den Überweisungsträgern vom waren hiervon freiwillige Mehrzahlungen in Höhe von insgesamt EUR für das Kalenderjahr 2002 bestimmt.

Mit Schreiben vom September 2012 teilte die Bayer. Ärzteversorgung dem Kläger auf seinen Antrag hin mit, dass für die Anwendung der sog. Öffnungsklausel die erforderlichen 10 Jahre nicht erfüllt seien, da er vor dem 1. Januar 2005 nur in 9 Jahren Einzahlungen oberhalb des Angestelltenversicherungshöchstbeitrages geleistet habe. Das Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 19. Januar 2010 X R 53/08 (BFH/NV 2010, 986) sei auf die Bayer. Ärzteversorgung nicht übertragbar. Rentenrechtlich würden bei der Bayer. Ärzteversorgung Beitragszahlungen nach dem Jahr ihrer Einzahlung verrentet und nicht nach dem Jahr, für das sie möglicherweise bestimmt gewesen seien.

Anders als vom Kläger beantragt, wandte das beklagte Finanzamt die sog. Öffnungsklausel nicht an und besteuerte die Versorgungsleistungen des Klägers mit einem steuerpflichtigen Anteil von 50 % nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG).

Das Finanzamt wies den hiergegen erhobenen Einspruch als unbegründet zurück.

Zur Begründung ihrer Klage machen die Kläger geltend, dass die Voraussetzungen der sog. Öffnungsklausel nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG erfüllt seien. Der Kläger habe die Beiträge zu den Versorgungsleistungen nahezu ausschließlich aus eigenen Mitteln bezahlt. Er habe diese Beiträge in den Beitragsjahren auch nur in den engen Grenzen der damaligen Höchstbeträge steuerlich absetzen können und damit größtenteils aus versteuertem Einkommen bezahlt. Der Kläger habe neun Jahre Beiträge oberhalb des Betrags des Höchstbeitrages zur gesetzlichen Rentenversich...

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