Entscheidungsstichwort (Thema)

Entstrickungsbesteuerung bei Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte – Rückwirkung des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 – Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit

 

Leitsatz (redaktionell)

Dem EuGH wird zur Vorabentscheidung folgende Rechtsfrage vorgelegt:

Ist es mit der Niederlassungsfreiheit des Artikel 49 AEUV vereinbar, wenn für den Fall der Übertragung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen auf eine ausländische Betriebsstätte desselben Unternehmens eine nationale Regelung bestimmt, dass eine Entnahme für betriebsfremde Zwecke vorliegt mit der Folge, dass es durch Aufdeckung stiller Reserven zu einem Entnahmegewinn kommt, und eine weitere nationale Regelung die Möglichkeit eröffnet, den Entnahmegewinn gleichmäßig auf fünf oder zehn Wirtschaftsjahre zu verteilen?

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1 S. 2; EStG i.d.F. des SEStEG § 4 Abs. 1 S. 3; EStG i.d.F. des SEStEG § 4g; EStG i.d.F. des JStG 2010 § 4 Abs. 1 S. 4; EStG i.d.F. des JStG § 52 Abs. 8b; AEUV Art. 49, 267 Abs. 2

 

Nachgehend

EuGH (Urteil vom 21.05.2015; Aktenzeichen C-657/13)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Überführung von Rechten in eine ausländische Betriebsstätte der Klägerin zur Aufdeckung und Versteuerung von stillen Reserven führt.

Die Klägerin hat ihren Sitz in „I-Stadt”. Komplementärin ist die „W” Beteiligungs GmbH, die ebenfalls in „I-Stadt” ansässig ist. Kommanditisten sind die „U-B.V.” und die „M-B.V.”, die beide ihren Sitz in den Niederlanden haben. Seit Mai 2005 befasste sich die Klägerin ausschließlich mit der Verwaltung eigener Patent-, Marken- und Gebrauchsmusterrechte. Mit Vertrag vom 25.05.2005 übertrug sie diese Rechte auf ihre niederländische Betriebsstätte in „Z-Stadt”.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung gelangte die Finanzverwaltung zu der Ansicht, die Überführung der Rechte müsse gemäß Tz. 2.6.1 der Grundsätze der Verwaltung für die Prüfung der Aufteilung der Einkünfte bei Betriebsstätten international tätiger Unternehmen (Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze, Schreiben des Bundesministerium der Finanzen (BMF) vom 24.12.1999, Bundessteuerblatt (BStBl) I 1999, 1076) unter Aufdeckung der stillen Reserven mit dem Fremdvergleichswert im Zeitpunkt der Überführung erfolgen. Der zwischen den Beteiligten übereinstimmend ermittelte Wert der stillen Reserven in Höhe von 4.710.456 € sei allerdings nicht sofort in voller Höhe der Besteuerung zu unterwerfen sondern - wie im BMF-Schreiben vorgesehen - aus Billigkeitsgründen durch einen Merkposten in gleicher Höhe zu neutralisieren; dieser Merkposten sei sodann linear über einen Zeitraum von zehn Jahren gewinnerhöhend aufzulösen.

Daraus ergab sich für das Streitjahr 2005 folgende Gewinnberechnung:

bisheriger Gewinn:379.748 €

Auflösung Merkposten: 314.030 €

693.778 €

Erhöhung der Gewerbesteuerrückstellung: ./. 19.096 €

674.682 €

Der Beklagte stellte im Bescheid für 2005 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 17.08.2009 die Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Klägerin mit 674.682 € fest. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies er mit Einspruchsentscheidung vom 19.09.2011 als unbegründet zurück.

Die Klägerin trägt im Wesentlichen Folgendes vor:

Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in zwei Urteilen (vom 17.07.2008 I R 77/06, BStBl II 2009, 464; vom 28.10.2009 I R 99/08, BStBl II 2011, 1019) an seiner früheren Rechtsprechung, der zufolge die Überführung von Einzelwirtschaftsgütern aus einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte zu einer gewinnverwirklichenden Entnahme im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) führte, wenn die ausländischen Betriebsstättengewinne aufgrund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) von der Besteuerung im Inland freigestellt waren (Theorie der finalen Entnahme), nicht mehr festgehalten. Nunmehr habe der BFH entschieden, dass eine Entnahme nicht vorliege, weil der betriebliche Funktionszusammenhang nicht gelöst worden sei; es fehle infolgedessen an einer Rechtsgrundlage für einen Gewinnrealisierungstatbestand. Darüber hinaus fehle es auch an einem Bedürfnis für die Besteuerung eines Gewinns, da nach heutiger Erkenntnis bei Vereinbarung der Freistellungsmethode in einem DBA der inländische Besteuerungszugriff auf im Inland entstandene stille Reserven nicht verloren gehe.

Die in diesen Urteilen angestellten Überlegungen griffen auch im Streitfall. Art. 5 Abs.2 DBA-Niederlande ermögliche eine Aufteilung eines künftigen Gewinns aus der Veräußerung der Rechte zwischen Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte nach Verursachungsbeiträgen und lasse damit das Besteuerungsrecht des Stammhausstaates auf die dem Stammhaus zuzurechnenden Gewinnanteile unberührt.

Ein schützenswertes Vertrauen in die überholte Rechtsprechung zur Theorie der finalen Entnahme gebe es nicht. Die neue Rechtsprechung des BFH sei vielmehr ein weiterer Schritt in Richtung des übergeordneten Grundsatzes einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und...

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