Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung

 

Leitsatz (NV)

1. Bei einem rechtsmißbräuchlichen Antrag auf Richterablehnung entscheidet der Spruchkörper einschließlich des abgelehnten Richters.

2. Der Antrag ist u.a. rechtsmißbräuchlich, wenn er offenbar grundlos ist und der Prozeßverschleppung dient.

3. Das Lachen eines Richters beim Parteivortrag kann nur dann ein Ablehnungsgrund sein, wenn es geeignet ist, Zweifel an der sachlichen Unvoreingenommenheit des Richters aufkommen zu lassen.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42

 

Gründe

Die Beschwerden sind unbegründet.

Der Senat kann offenlassen, ob und unter welchen Voraussetzungen entgegen dem Grundsatz der Individualablehnung ausnahmsweise ein Antrag auf Ablehnung eines ganzen Senats zulässig sein kann (vgl. hierzu z.B. auch Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Juni 1991 VII B 246/90, BFH/NV 1992, 253). Die Beschwerden sind in jedem Fall unbegründet.

1. Die Ablehnungsbeschlüsse des FG sind nicht deswegen rechtswidrig, weil die abgelehnten Richter an ihnen mitgewirkt haben.

Grundsätzlich ergehen zwar Entscheidungen über Ablehnungsanträge jeweils ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters (§ 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i.V.m. § 45 Abs. 1 1. Halbsatz der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Nach ständiger Rechtsprechung entscheidet aber der Spruchkörper einschließlich des abgelehnten Richters, wenn der Ablehnungsantrag rechtsmißbräuchlich ist. Das ist z.B. der Fall, wenn der ganze Senat abgelehnt wird oder der Antrag offenbar grundlos ist und nur der Verschleppung dient (vgl. z.B. Zöller, Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., § 45 Rdnr. 4; BFH-Beschluß vom 17. Juli 1974 VIII B 29/74, BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638 m.w.N.). Im Streitfall liegt ein offenbar grundloser Antrag vor, der objektiv der Prozeßverschleppung diente. Es ist für den Senat nicht nachvollziehbr, wie aus der in der Ladung enthaltenen Anmerkung auf eine Befangenheit eines oder mehrerer Richter des FG geschlossen werden kann.

Gemäß § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO findet wegen Besorgnis der Befangenheit die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn vom Standpunkt eines verständigen, unvoreingenommenen Beteiligten zu besorgen ist, der Richter könne wegen bewußter oder unbewußter Hinneigung oder Abneigung gegen einen Beteiligten nicht fähig sein, sachlich unvoreingenommen und unparteiisch zu entscheiden (vgl. Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 51 FGO Tz. 8 m.w.N.; vgl. z.B. auch BFH-Beschluß vom 21. November 1991 V B 157/91, BFH/NV 1992, 479 m.w.N.). Diese Voraussetzungen mit dem Hinweis auf die Anmerkung in der Ladung zu begründen, ist abwegig. Die Anmerkung in der Ladung enthält auszugsweise eine wörtliche Wiedergabe eines Schreibens des BMJ, wonach ... Daraus zu schließen, daß der/die Richter des FG dem Kläger vorwerfen wollte(n), keine Straftat begangen zu haben, ist für einen unvoreingenommenen Beteiligten derart abwegig, daß hieraus Gründe für eine mögliche Befangenheit eindeutig nicht abgeleitet werden können.

Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß Hinweise und Anregungen des Richters der Erfüllung der Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO dienen und grundsätzlich im Interesse der Beteiligten liegen. Auf diese Weise erhalten sie Gelegenheit, ihre Sach- und Rechtspositionen durch zusätzliche Gesichtspunkte zu untermauern (vgl. BFH in BFH/NV 1992, 479). Aus der Tatsache, daß das Gericht die Möglichkeit der Bildung von Rückstellungen für Regreßverpflichtungen geprüft hat, einen Ablehnungsgrund abzuleiten, ist selbst dann abwegig, wenn letztlich die Bildung einer Rückstellung von vornherein ausgeschlossen erscheint.

Die offenkundig abwegigen Vorwürfe unsachlichen richterlichen Verhaltens dienten der Prozeßverschleppung. Die Klage war seit 1982 beim FG anhängig. Die erstmalige Ladung vom 19. September 1991 wurde auf Antrag des Klägers und Vorlage eines ärztlichen Attests aufgehoben. Mit Schreiben vom 24. September 1991 wurde der Kläger darauf hingewiesen, daß bei einer fortdauernden Krankheit des Klägers rechtzeitig ein Prozeßbevollmächtigter bestellt werden müsse. Erst ein Jahr später erging eine erneute Ladung. Dem folgte ein erneuter Antrag auf Aufhebung des anberaumten Termins und der erste Antrag auf Richterablehnung. Da einerseits nicht ersichtlich ist, aus welchen Gründen ein Prozeßbevollmächtigter nicht innerhalb eines Jahres mit den für den Rechtsstreit entscheidungserheblichen Fakten hätte vertraut gemacht werden können, und andererseits erhebliche Steuerbeträge von der Vollziehung ausgesetzt waren, diente das Ablehnungsgesuch der Prozeßverzögerung. Wie der tatsächliche spätere Ablauf zeigte, war die erst für die Vertretung in der mündlichen Verhandlung beauftragte Rechtsanwältin durchaus in der Lage, in weit weniger als einem Jahr sich eingehend einzuarbeiten.

2. Das Ablehnungsgesuch kann auch nicht deswegen Erfolg haben, weil nach dem erstmaligen Vortrag im Beschwerdeverfahren ein Richter des Senats des FG bei der Verlesung des Ablehnungsantrags gelacht haben soll. Es kann auch hier dahingestellt bleiben, ob ohne Nennung des Richters diesem Hinweis in diesem Verfahren nachgegangen werden kann.

Lachen eines Richters ist als solches noch kein Grund, die Unparteilichkeit dieses Richters anzuzweifeln. Das Lachen als natürliche Reaktion auf erheiterndes, überraschendes oder abwegiges Vorbringen einer Partei läßt Zweifel an der sachlichen Unvoreingenommenheit des Richters noch nicht aufkommen. Erst wenn das Lachen, für das insoweit nichts anderes gilt als für jede andere Gefühlsäußerung eines Richters, den Eindruck einer auf Voreingenommenheit hinweisenden Unsachlichkeit entstehen läßt, kann ein Grund für eine Besorgnis der Befangenheit bestehen. Unter Berücksichtigung des Inhalts des Ablehnungsantrags vom 29. September 1992 ist im Streitfall davon auszugehen, daß der Vorwurf des Klägers, die Richter würden dem Kläger eine nichtbegangene Straftat anlasten, den Richter zu einem überraschten Lachen über dieses offenbar unsachliche und unberechtigte Vorbringen des Klägers veranlaßte. Daraus kann nicht geschlossen werden, daß der Richter in der Hauptsache nicht mehr zu einer unparteiischen Sachlichkeit befähigt gewesen sein sollte. Entsprechendes gilt für die übrigen vom Kläger behaupteten Rechtsverstöße bei Erlaß der Ablehnungsbeschlüsse.

Auch in der Verwendung der Formulierung in den Beschlüssen über die Ablehnung der Befangenheit, der vom Kläger vorgebrachte Grund für die Besorgnis der Befangenheit sei evident abwegig, liegt keine Abwertung des Klägers und damit auch kein Anlaß, auf eine Befangenheit der Richter zu schließen. Wie bereits dargelegt, kann die Abwegigkeit des Ablehnungsgesuchs zur Unzulässigkeit des Antrags führen, so daß die Konstatierung der Abwegigkeit sowie vergleichbare Formulierungen zur Begründung eines Rechtsmißbrauchs notwendig sind.

3. Behauptungen zur Rechtswidrigkeit des Urteils sind nicht geeignet, eine Befangenheit zu begründen (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., 2. Aufl., § 51 Rdnr. 40; vgl. auch z.B. BFH in BFH/NV 1992, 479). Die Ausführungen des Klägers, die sich insbesondere mit der Widersprüchlichkeit der Entscheidung und mit Verstößen gegen Denkgesetze befassen, können daher vom Senat in diesem Verfahren nicht überprüft werden. Hierfür stehen dem Kläger grundsätzlich die allgemeinen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, müßten vielmehr zusätzliche Anhaltspunkte vorhanden sein, die dafür sprechen, daß eine Fehlbeurteilung auf einer unsachlichen Einstellung oder auf Willkür des Richters beruht. Hierfür bestehen keine Anhaltspunkte. Das Urteil enthält insbesondere für den unvoreingenommenen Betrachter keinen Gesichtspunkt, der auf eine Abwertung der Tätigkeit des Klägers und damit auf eine die Befangenheit möglicherweise begründende Mißachtung des Klägers und seines Vorbringens schließen läßt. Die Entscheidung umfaßt 35 Seiten. Selbst wenn - wie vom Kläger moniert - Hauptsätze oder der sechszeilige Hinweis nicht der Sachlage entsprechen sollten, so vermittelt sie insgesamt den Eindruck, daß sie sich eingehend mit dem Vortrag des Klägers und der Rechtslage auseinandersetzt.

4. Der Beschluß vom 30. September 1992 ist auch nicht deswegen rechtswidrig, weil er erst mit dem Urteil vom selben Tag dem Kläger zugestellt worden ist. Es besteht keine Rechtsnorm, die eine vorzeitige Zustellung des Ablehnungsbeschlusses vorschreibt. Hierfür besteht auch kein rechtsstaatliches Bedürfnis, weil mit dem Erfolg der Beschwerde unter Anwendung des § 56 FGO noch in zulässiger Weise Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO eingelegt werden kann (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217).

 

Fundstellen

Haufe-Index 419363

BFH/NV 1994, 325

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