Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerbesteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Beschäftigt der Geschäftsherr in seiner von einem selbständigen Handelsvertreter unterhaltenen Betriebstätte (Auslieferungslager) keine Arbeitnehmer, so rechtfertigt dies bei der Zerlegung des Gewerbesteuermeßbetrags in der Regel nicht die Anwendung des § 33 GewStG. Eine offenbare Unbilligkeit ist nur dann gegeben, wenn der Gemeinde durch die Betriebstätte wesentliche Lasten erwachsen.

 

Normenkette

GewStG § 29 Abs. 1 Ziff. 2, § 33

 

Tatbestand

Streitig ist in der weiteren Beschwerde, ob der Stadt A. im Wege der Zerlegung ein Anteil an dem einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1955 der OHG zuzuweisen ist, die ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung in der Gemeinde B. hat.

Das Finanzamt und die Oberfinanzdirektion haben die Frage bejaht. Die Oberfinanzdirektion ging in ihrer Beschwerdeentscheidung von folgenden Erwägungen aus. Der selbständige Handelsvertreter der OHG in A., der auch andere Unternehmen der Tabakwarenindustrie vertrete, unterhalte in den von ihm gemieteten Räumen ein Auslieferungslager der ihm von der OHG überlassenen, im Eigentum der OHG stehenden Tabakwaren, von dem aus die Kunden im Auftrage und für Rechnung der OHG beliefert würden. Die OHG habe zwar in ihrem Schreiben vom 31. Oktober 1958 bestritten, irgendwelche Verfügungsbefugnisse über die Lagerräume ihres Handelsvertreters und irgendwelche Einwirkungsmöglichkeiten auf die Art und Weise der Lagerung der Waren zu haben. Trotzdem sei auf Grund der Ermittlungen der am Verfahren beteiligten Städte, in denen die OHG ebenfalls Vertreter bestellt habe, und der Angaben der OHG, daß sie etwa auftretende Unstimmigkeiten beim Lagerbestand an Hand der Lagerbücher aufklären dürfe, als erwiesen anzusehen, daß die Verfügungsgewalt der OHG über die Lagerräume ihrer Handelsvertreter einen Umfang habe, der für die Annahme einer Betriebstätte ausreiche. Das ergebe sich auch daraus, daß die OHG das Lager in A. im Fernsprechbuch als ihr eigenes Auslieferungslager bezeichne.

In der weiteren Beschwerde begehrt die Gemeinde B., daß ihr der der Stadt A. zugewiesene Zerlegungsanteil am einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1955 verbleibe, weil die OHG in A. keine Betriebstätte unterhalte und, selbst wenn eine solche Betriebstätte vorhanden sei, kein Arbeitslohn auf diese Betriebstätte entfalle. Zu einer Zerlegung nach § 33 Abs. 1 GewStG bestehe keine Veranlassung.

Der am Verfahren beteiligte Bundesminister der Finanzen nahm nach Anhörung des Bundesministers des Innern, der Finanzminister der Länder und der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände zu der Frage, ob bei Annahme einer Betriebstätte der OHG in A. die Zerlegung des Gewerbesteuermeßbetrags der OHG nach § 33 GewStG durchzuführen sei oder ob es trotz des Fehlens von Arbeitslöhnen in A. bei der Zerlegung nach dem Regelmaßstab des § 29 Abs. 1 Ziff. 2 GewStG verbleiben müsse, wie folgt Stellung:

Nach § 33 GewStG dürfe nur in den Fällen verfahren werden, in denen die Anwendung des Regelmaßstabs zu einem offenbar unbilligen Ergebnis führe. Da man die Möglichkeit nicht von der Hand weisen könne, daß der Betriebstättengemeinde durch ein Auslieferungslager eines auswärtigen Unternehmens erhöhte Lasten, z. B. polizeilicher Natur oder Wegebaulasten, entstünden, so könne man die Verneinung der Voraussetzungen des § 33 GewStG nicht in allen Fällen damit begründen, daß die Vergütungen, die der auswärtige Unternehmer dem selbständigen Handelsvertreter für die Unterhaltung und den Betrieb des Auslieferungslagers zahle, seinen gewerblichen Gewinn und damit die von dem Handelsvertreter an die Betriebstättengemeinde zu zahlende Gewerbesteuer erhöhten. Ein anderer als der Regelmaßstab müsse bei der Zerlegung dann angewendet werden, wenn die Gemeinde die Entstehung erhöhter Lasten durch das Auslieferungslager schlüssig darlege. Diese Voraussetzungen könnten angenommen werden, wenn der Handelsvertreter für die Verwaltung des Lagers mindestens eine volle Arbeitskraft beschäftige, das Lager einen ständigen Warenbestand von erheblichem Gewicht und eine hohe Umschlaggeschwindigkeit aufweise und die Zu- und Abfuhr mit Lastwagen zu einer zusätzlichen Belastung des Straßenverkehrs führten. Die Finanzminister der Länder Bayern, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein seien demgegenüber der Auffassung, daß eine Abweichung vom Regelmaßstab des § 29 GewStG in keinem Fall gerechtfertigt sei, weil sonst der Gemeinde des Auslieferungslagers zweimal für die gleiche Tätigkeit Gewerbesteuern zuflössen und weil das Aufkommen aus diesen Gewerbesteuerzerlegungen im Verhältnis zum Gesamtaufkommen an Gewerbesteuer unbedeutend sei. Bei der Ermittlung des Ersatzmaßstabs für die Zerlegung müsse man, so führt der Bundesminister der Finanzen weiter aus, von der Erwägung ausgehen, daß bei der Verwaltung des Lagers durch einen Angestellten des Geschäftsherrn dessen Löhne die Zerlegungsgrundlage nach § 29 GewStG bildeten. Es sei deshalb ein Teil der Provision als fiktiver Arbeitslohn zu behandeln. Die Finanzminister der Länder seien im allgemeinen der Auffassung, daß dieser fiktive Arbeitslohn im Wege einer gewissen Typisierung unabhängig davon, ob für die Verwaltung des Lagers eine Zusatzprovision gezahlt werde, mit 50 v. H. der Gesamtprovision anzusetzen sei. Er, der Bundesminister der Finanzen, halte diesen Anteil für zu hoch und schätze ihn auf 1/4 bis 1/3 der Gesamtprovision, wenn nicht in einem bestimmten Handelszweig offenkundig ungewöhnliche Verhältnisse vorlägen.

 

Entscheidungsgründe

Die weitere Beschwerde der Gemeinde B. ist begründet.

Die Zuweisung eines Anteils an dem Gewerbesteuermeßbetrag der OHG an die Stadt A. setzt voraus, daß die OHG in A. eine Betriebstätte unterhält (§ 28 GewStG). Es ist nicht erforderlich, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob das Auslieferungslager der OHG in A. eine Betriebstätte begründete, weil es der OHG oder ihrem ständigen Vertreter zur Ausübung des Gewerbebetriebs diente (§ 16 Abs. 2 Ziff. 2 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -). Denn die weitere Beschwerde der Gemeinde B. ist, selbst wenn sich in A. eine Betriebstätte der OHG befand, deshalb begründet, weil der Zerlegung der Regelmaßstab des § 29 Abs. 1 Ziff. 2 GewStG (Verhältnis der Löhne) zugrunde zu legen ist und in A. unstreitig keine Löhne für Arbeitnehmer der OHG anfielen. Nur wenn die Zerlegung nach diesem Regelmaßstab zu einem offenbar unbilligen Ergebnis führt, ist nach einem Maßstab zu zerlegen, der die tatsächlichen Verhältnisse besser berücksichtigt (§ 33 Abs. 1 GewStG). Danach muß die Anwendung eines von den Arbeitslöhnen abweichenden Maßstabs auf besonders gelagerte Ausnahmefälle beschränkt werden, in denen das unbillige Ergebnis bei der Zerlegung nach dem Regelmaßstab ein erhebliches Gewicht hat und offensichtlich ist (Beschluß des Bundesfinanzhofs I B 49/58 U vom 13. Mai 1958, BStBl 1958 III S. 379, Slg. Bd. 67 S. 275). Ein Nachweis entsprechender Belastungen ist von der Stadt A. nicht erbracht worden. Diese Voraussetzungen des § 33 GewStG liegen hier nicht vor. Eine offenbare Unbilligkeit ist nicht gegeben.

Wenn in der Betriebstätte eines Unternehmers keine Arbeitslöhne anfallen, so kann davon ausgegangen werden, daß es sich um eine Betriebstätte von geringem Umfang handelt. Dem steht nicht entgegen, daß der selbständige Gewerbebetrieb des Handelsvertreters ein bedeutendes Unternehmen darstellt und über umfangreiche Einrichtungen verfügt. Die zum Gewerbebetrieb des Handelsvertreters gehörige Geschäftseinrichtung und seine Lagerräume müssen dem Unternehmen des Handelsvertreters zugerechnet werden, zumal er auch für mehrere Unternehmen tätig sein kann. Auch der Reichsfinanzhof lehnte es ab, anzunehmen, daß allgemein die Räume des Handelsvertreters nicht nur der Ausübung seines Gewerbes, sondern auch der Ausübung des Gewerbes des Unternehmers dienen, wenn dem Unternehmer keinerlei Verfügungsbefugnis über die Räume zusteht. Berücksichtigt man das dem Zerlegungsverfahren zugrunde liegende äquivalenzprinzip, so besteht in der Regel keine Veranlassung, die Zerlegung nach dem Regelmaßstab als ein offenbar unbilliges Ergebnis zu bezeichnen, wenn eine geringfügige Verfügungsmacht des Unternehmers besteht. Denn die durch den Betrieb des Handelsvertreters der Gemeinde erwachsenen Lasten werden durch das Bestehen oder Nichtbestehen der Verfügungsmacht des Unternehmers in keiner Weise berührt und werden durch die von dem Handelsvertreter zu entrichtende Gewerbesteuer und gegebenenfalls Lohnsummensteuer abgegolten.

Es ist zweifelhaft, ob im allgemeinen Teilbeträge der Provision des Handelsvertreters als fiktive, bei der OHG anfallende Löhne mit einer den tatsächlichen Verhältnissen gerecht werdenden Belastung der Gemeinde in Zusammenhang gebracht werden können. Der Gesetzgeber geht von dem Lohn als Regelmaßstab der Zerlegung deshalb aus, weil der Umfang der einzelnen Lasten mit der Beschäftigung von Arbeitnehmern unmittelbar zusammenhängt. Das ist indessen bei den zu den Betriebseinnahmen des Handelsvertreters als selbständigen Gewerbetreibenden gehörenden Provisionen nur in sehr beschränktem Umfang der Fall, weil die gemeindlichen Lasten, die sich aus der Warenlagerung und der Warenauslieferung durch den Handelsvertreter ergeben, mit der Höhe dieser Provisionseinnahmen nicht in einem erkennbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen.

Es ist zudem ohne umfangreiche Ermittlungen im Einzelfall nicht möglich, den dem Lohn gleichzusetzenden Teil der Gesamtprovision nach einem vernünftigen Maßstab zu berechnen, weil die Verhältnisse nicht nur bei den einzelnen Unternehmern, sondern, wie der vorliegende Fall zeigt, auch bei den einzelnen Betriebstätten unterschiedlich liegen können. Solche ins einzelne gehende Ermittlungen, die zudem nicht einmal sicherstellen, daß eine den tatsächlichen Verhältnissen besser gerecht werdende Zerlegung durchgeführt wird, sind mit der Absicht des Gesetzes unvereinbar, die Zerlegung grundsätzlich nach einem möglichst einfachen, wenn auch rohen Verfahren vorzunehmen. Eine den Verhältnissen des Einzelfalles voll entsprechende Zerlegung wäre mit einer nicht zu vertretenden Verwaltungsarbeit verbunden. Zudem würde sie in den meisten Fällen kaum erreicht werden können, da die Beurteilung in großem Umfange auf Schätzungen aufgebaut werden müßte. Das Gesetz geht von dem Gedanken aus, daß sich gewisse Unebenheiten im Einzelfall bei der großen Zahl der Zerlegungsfälle in der Regel ausgleichen.

Auch der Bundesminister der Finanzen und die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände erkennen an, daß die Tatsache allein, daß die Gemeinde des Auslieferungslagers an dem Gewerbeertrag des Unternehmens mangels angefallener Löhne nicht teilnimmt, eine Zerlegung nach § 33 GewStG nicht rechtfertige, daß die Gemeinde vielmehr besondere vom Regelfall abweichende Umstände darlegen müsse, wonach ihr durch das Auslieferungslager besondere Lasten entstünden.

Es ist richtig, daß der Senat in seinen nicht zur Veröffentlichung bestimmten Beschlüssen I B 83/52 vom 14. April 1953, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Gewerbesteuergesetz, § 28, Rechtsspruch 7; I B 165/55 und I B 10/55 vom 5. Juni 1956, StRK, Gewerbesteuergesetz, § 28, Rechtsspruch 10, und I B 75/55 vom 5. Juni 1956, StRK, Gewerbesteuergesetz, § 29, Rechtsspruch 3, eine andere Auffassung vertrat und dem Reichsfinanzhof darin folgte, daß die Nichtbeschäftigung von Arbeitnehmern in einer Betriebstätte des Geschäftsherrn den Anspruch der Betriebstättengemeinde auf einen Anteil an der Gewerbesteuer des Geschäftsherrn nicht vereiteln dürfe. Hierbei wurde der Frage der wesentlichen Belastungen der Gemeinde durch das Auslieferungslager als Voraussetzung der Anwendung des § 33 Abs. 1 GewStG keine besondere Bedeutung zugemessen. Nachdem der Senat aber in der Entscheidung I B 49/59 U die Voraussetzungen der Zerlegung nach § 33 GewStG nur dann als gegeben angesehen hat, wenn die Zerlegung nach dem Regelmaßstab zu einem Ergebnis führt, das mit Rücksicht auf die der Gemeinde erwachsenen wesentlichen Lasten als offenbar unbillig erscheint, ist es gerechtfertigt, diesen allgemeinen Grundsatz auch auf Auslieferungslager anzuwenden. Der Ausnahmecharakter der Zerlegung nach § 33 GewStG wird damit stärker in den Vordergrund gestellt, als es bisher geschehen ist.

Es mögen auch bei Auslieferungslagern Fälle denkbar sein, in denen einer ungewöhnlichen Belastung der Gemeinde durch die Anwendung des § 33 GewStG Rechnung getragen werden muß. Es wird sich dann aber um ganz besonders gelagerte Ausnahmefälle handeln.

Nach Aufhebung der angefochtenen Entscheidung wird die Oberfinanzdirektion die Zerlegung nach dem Regelmaßstab durchführen.

 

Fundstellen

BStBl III 1960, 386

BFHE 1961, 363

BFHE 71, 363

StRK, GewStG:33 R 9

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