Werbungskosten bei Versorgungsbezügen

Aufwendungen einer Ruhestandsbeamtin im Zusammenhang mit ihrer ehrenamtlichen Gewerkschaftstätigkeit sind als Werbungskosten bei ihren Versorgungsbezügen zu berücksichtigen.

Hintergrund: Gesetzliche Regelungen

Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG). Die für den Haushalt des Steuerpflichtigen und für den Unterhalt seiner Familienangehörigen aufgewendeten Beträge dürfen allerdings nicht als Werbungskosten abgezogen werden. Dazu gehören auch die Aufwendungen für die Lebensführung, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen (§ 12 Nr. 1 EStG).

Sachverhalt: Ruhestandsbeamtin übt ehrenamtliche Gewerkschaftstätigkeit aus

Die Klägerin bezieht als pensionierte Landesbeamtin Versorgungsbezüge. Bis zum Eintritt in den Ruhestand war sie hauptamtlich für die Gewerkschaft X im Deutschen Gewerkschaftsbund tätig und hierfür von ihrem Dienstherrn freigestellt. Seit dem Eintritt in den Ruhestand ist die Klägerin für verschiedene Gremien der Gewerkschaft X ehrenamtlich tätig.

Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2016 machte sie Aufwendungen für diese Tätigkeit als Werbungskosten bei ihren Versorgungsbezügen geltend. Dem folgte das Finanzamt (FA) nicht.

Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das FG statt.

Entscheidung: BFH weist Revision des FA als unbegründet zurück

Der BFH hat entschieden, dass das FG zu Recht geurteilt hat, dass die streitigen Aufwendungen der Klägerin als Werbungskosten bei ihren Versorgungsbezügen zu berücksichtigen sind.

Alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen

Die Frage, ob der Steuerpflichtige Aufwendungen aus beruflichem Anlass leistet oder ob es sich um Aufwendungen für die Lebensführung i. S v. § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG handelt, ist anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Aufwendungen sind dann als durch eine Einkunftsart veranlasst anzusehen, wenn sie mit ihr in einem steuerrechtlich anzuerkennenden wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Maßgebend dafür, ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist zum einen die wertende Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen auslösenden Moments und zum anderen die Zuweisung dieses maßgebenden Besteuerungsgrunds zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre.

Ob sich der streitige Aufwand konkret auf die Höhe des Arbeitslohns auswirkt, ist dabei ohne Belang. Stehen Aufwendungen in einem objektiven Zusammenhang mit dem Beruf, so ist es für den Begriff der Werbungskosten überdies nicht von Bedeutung, ob die Vorstellungen des Steuerpflichtigen, den Beruf zu fördern, der Wirklichkeit entsprechen, d. h. geeignet sind, dieses Ziel zu erreichen. Die Rechtsprechung hat daher die Anerkennung von Werbungskosten grundsätzlich nicht davon abhängig gemacht, ob der mit den Aufwendungen erstrebte Erfolg eingetreten ist und ob die Aufwendungen nach objektiven Gesichtspunkten üblich, notwendig oder zweckmäßig waren. Vielmehr hat der Steuerpflichtige einen Ermessensspielraum, ob und welche Aufwendungen er zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung seiner Einnahmen tätigt.

Nach diesen Grundsätzen ist auch der Abzug von Werbungskosten bei Versorgungsbezügen zu beurteilen.

Tatrichterliche Würdigung des FG nicht zu beanstanden

Die Würdigung des FG, die streitigen Aufwendungen der Klägerin stünden in einem hinreichenden Veranlassungszusammenhang mit ihren Versorgungsbezügen und seien daher als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 EStG zu berücksichtigen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Das FG ist ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze zu dem Schluss gelangt, der erforderliche Veranlassungszusammenhang mit den Versorgungsbezügen liege im Streitfall vor, weil die Gewerkschaftsarbeit der Klägerin und die dadurch bedingten Aufwendungen auch auf die Verbesserung ihrer Einkünfte als Ruhestandsbeamtin zielten.

Da die Arbeit eines Berufsverbands auf dem Gedanken beruht, dass nur die Solidarität der Mitglieder zur Veränderung der beruflichen Bedingungen zugunsten der angeschlossenen Mitglieder führt, ist es folgerichtig, bei den Aufwendungen eines Mitglieds zwecks Förderung der solidarischen Gemeinschaft ebenfalls einen objektiven, durch Aufgabenstellung und Arbeit des Berufsverbands sichtbar werdenden Zusammenhang mit seiner Berufstätigkeit zu bejahen. Dieser Zusammenhang reicht aus, den Werbungskostenbegriff zu erfüllen, obwohl die Aufwendungen des einzelnen Mitglieds in der Regel nicht unmittelbar und allein auf dessen eigene berufliche Bedingungen, sondern nur mittelbar durch die Arbeit der Gemeinschaft auf die Verhältnisse sämtlicher betroffener Mitglieder des Berufsverbands einwirken können.

Grundsätze auf Pensionäre übertragbar

An diesen Grundsätzen, die für Aufwendungen im Zusammenhang mit der ehrenamtlichen Tätigkeit für die zuständige Gewerkschaft eines berufstätigen Steuerpflichtigen gelten, hält der BFH fest und überträgt diese auch auf die ehrenamtliche Tätigkeit eines nicht mehr im aktiven Dienst befindlichen Steuerpflichtigen, der Versorgungsbezüge erhält. Denn Gewerkschaften vertreten nicht nur die beruflichen Interessen der berufstätigen Arbeitnehmer und Beamten, sondern auch die Erwerbsinteressen von Pensionären. Sie streben regelmäßig an, die Ergebnisse einer Tarifrunde im öffentlichen Dienst zeitgleich und systemgerecht beziehungsweise wirkungsgleich auf den Bereich Besoldung und Versorgung zu übertragen.

Hinweis: Entscheidung im Verfahren VI R 24/93 steht dem nicht entgegen

Der BFH hat im Urteil vom 5.11.1993, VI R 24/93, BStBl 1994 II S. 238, Aufwendungen einer emeritierten Professorin für eine gegenwärtig ausgeübte Forschungstätigkeit nicht als Werbungskosten bei den Emeritenbezügen und damit bei den Einkünften aus früheren Dienstleistungen i. S. d. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 EStG anerkannt. Tragend hierfür war die Wertung, dass zwischen den gegenwärtigen Aufwendungen eines entpflichteten Hochschulprofessors für Forschungszwecke und seinen Versorgungsbezügen kein steuerrechtlich anzuerkennender wirtschaftlicher Zusammenhang bestehe. Denn ebenso wie ein in den Ruhestand versetzter Beamter erhalte ein entpflichteter Professor seine Bezüge unabhängig davon, ob er eine Tätigkeit ausübt oder nicht.

Für die hier zu entscheidende Frage, ob Aufwendungen eines Versorgungsempfängers im Zusammenhang mit einer ehrenamtlichen Gewerkschaftstätigkeit bei wertender Betrachtung in einem erwerbsbezogenen Veranlassungszusammenhang vergleichbar einem Arbeitnehmer, der Einkünfte für eine gegenwärtige erzielt, lässt sich die v. g. Entscheidung allerdings nicht fruchtbar machen.

BFH, Urteil v. 28.6.2023, VI R 17/21; veröffentlicht am 5.10.2023

Alle am 5.10.2023 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen