Veruntreute Fremdgelder in der Einnahmen-Überschussrechnung

Veruntreute Fremdgelder eines Freiberuflers sind durchlaufende Posten, die bei der Einnahmen-Überschussrechnung nicht in die Gewinnermittlung eingehen.

Hintergrund

Rechtsanwalt R ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung. Ein bedeutender Mandant war P, eine Verrechnungsstelle, die für Ärzte die Honorare gegenüber Patienten in Rechnung stellt. R übernahm für P die Beitreibung von Honoraren gegenüber säumigen Patienten. Er forderte bei den Patienten neben dem Rechnungsbetrag des jeweiligen Arztes sein Anwaltshonorar gegenüber P und auch seine Auslagen an. Die Zahlungen der Patienten wurden auf den Geschäftskonten des R vereinnahmt. Anderkonten führte er nicht.

R verbuchte eingehende Zahlungen der Patienten zunächst als Erstattung seiner Auslagen auf seinem Auslagenkonto und als Zahlungen auf das Anwaltshonorar auf seinem Erlöskonto. Die darüber hinausgehenden Fremdgelder verbuchte er in der Weise, dass er eine Gegenbuchung auf einem internen Verbindlichkeitskonto P "im Haben" vornahm. An P weitergeleitete Fremdgelder wurden auf diesem Konto "im Soll" gebucht. Zwischen P und R bestand die Abrede, dass R beigetriebene Geldbeträge erst dann an P weiterzuleiten habe, wenn sie entweder vollständig eingegangen sind oder - sofern die Patienten nur teilweise zahlten - wenn eine weitere Beitreibung aussichtslos war.

Bei einer Außenprüfung stellte das FA fest, die eingegangenen und an P weiterzuleitenden Fremdgelder hätten die Minusbestände auf den betrieblichen Bankkonten des R verringert. Der Saldo aus den an P ausgekehrten Beträgen und den noch weiterzuleitenden Fremdgeldern zeige, dass R die Fremdgelder verwendet habe, um hieraus Betriebsausgaben und Lebenshaltungskosten zu bestreiten. Das FA behandelte die Bestandsveränderungen auf dem Fremdverbindlichkeitskonto P als nicht erklärte Betriebseinnahmen (insgesamt rund 200.000 EUR) und erließ entsprechend geänderte ESt-Bescheide für alle Streitjahre (1996 - 2005). Dabei legte das FA eine verlängerte Festsetzungsfrist wegen vorsätzlicher Steuerhinterziehung zugrunde.

Das FG wies die dagegen erhobene Klage zum großen Teil ab. Es ging davon aus, die im Namen von P vereinnahmten Fremdgelder seien keine durchlaufenden Posten und damit als Betriebseinnahmen in die Gewinnermittlung einzubeziehen. Die abredewidrige Nichtweiterleitung führe zur Durchbrechung des Zusammenhangs zwischen der Vereinnahmung für fremde Rechnung und der entsprechenden Auskehrung an P.

Entscheidung

Der BFH widerspricht dem FG. Er anerkennt die Behandlung der Fremdgelder als durchlaufende Posten ohne Gewinnauswirkung.

Ein durchlaufender Posten liegt vor, wenn zwischen dem Zahlungsverpflichteten (Patient) und dem Unternehmer (R) unmittelbare, nach außen erkennbare Rechtsbeziehungen bestehen und sich der Unternehmer im Zeitpunkt der Vereinnahmung zur Weiterleitung des eingehenden Betrags an den berechtigten (P) verpflichtet hat. Fremdgelder, die als durchlaufende Posten in das Eigentum des Unternehmers gelangen, sind Betriebseinnahmen und werden Bestandteil des Betriebsvermögens. Sie sind jedoch bei der Einnahmenüberschussrechnung nicht gewinnerhöhend oder gewinnmindernd zu erfassen. Denn es handelt sich nicht um endgültige Zu- und Abgänge. Das gilt auch dann, wenn der Unternehmer Fremdgelder bewusst nicht auf einem Anderkonto, sondern auf seinem Geschäftskonto vereinnahmt, um dessen Minussalden auszugleichen, oder wenn er bereits bei der Vereinnahmung beabsichtigt, diese Beträge für eigene Zwecke zu verbrauchen. Denn er bleibt schuldrechtlich verpflichtet, den Gegenwert herauszugeben.

Auch die widerrechtliche Verwendung der Fremdgelder durch R für eigene Zwecke führt daher nicht zu steuerbaren Einkünften in Höhe der veruntreuten Beträge. Denn R hat die Beträge nicht als Betriebseinnahmen im Rahmen der Einkünfteerzielung als Rechtsanwalt, sondern außerhalb des Tatbestands der Einkünfteerzielung durch privat veranlasste Straftaten erlangt. Die Beträge stellen keine Gegenleistungen für eine Leistung des R im Rahmen des freiberuflichen Betriebs dar. Mit der Verausgabung des Fremdgelds für eigene Zwecke hat R die Beträge jeweils aus dem Betriebsvermögen entnommen. Soweit er hieraus Betriebsausgeben gezahlt hat, hat der die Mittel eine "logische Sekunde" nach der Entnahme wieder in das Betriebsvermögen eingelegt.

Die nach der Außenprüfung geänderten Bescheide waren sonach aufzuheben. R hat hinsichtlich der veruntreuten Beträge nicht die vom FA angesetzten Einkünfte erzielt und auch die Steuer nicht verkürzt. Daher wurde die Festsetzungsfrist nicht verlängert und es fehlt auch an nachträglich bekannt gewordenen steuererhöhenden Tatsachen. Das FG-Urteil wurde daher aufgehoben und der Klage stattgegeben.

Hinweis

Im vorausgegangenen Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung hatte der Senat eine Differenzierung je nach der Verwendung der Fremdgelder für die private Lebensführung oder für Betriebsausgaben vertreten und steuerpflichtige Betriebseinnahmen für den Betrag angenommen, der zur Begleichung von Betriebsausgaben verwendet wurde (BFH-Beschluss v. 17.10.2012, VIII S 16/12, BFH/NV 2013, 32). Daran hält der Senat nicht mehr fest.

Die Entscheidung liegt auf der Linie zur Einkünfteerzielung durch privat veranlasste Straftaten. Diese führen grundsätzlich nicht zu steuerbaren Einkünften, da der Zufluss nicht mit der Einkünfteerzielung in Zusammenhang steht (z.B. BFH-Urteil v. 13.11.2012, VI R 38/11, BStBl II 2013, 929). Ebenso wie eine privat veranlasste Schenkung an einen Rechtsanwalt nicht der ESt unterliegt, gilt dies entsprechend für Einnahmen, die aufgrund einer Straftat erlangt werden, die nichts mit der anwaltlichen Tätigkeit für den Auftraggeber zu tun hat. Anders müsste es jedoch sein, wenn ein Selbständiger - wie hier - über einen längeren Zeitraum wiederholt Fremdgelder unterschlägt. Der Zufluss fällt dann zwar nicht in die betreffende Einkunftsart, müsste jedoch als gewerblich erfasst werden. Es ist wohl damit zu rechnen, dass das Urteil nicht überall Zustimmung finden wird.

BFH, Urteil v. 16.12.2014, VIII R 19/12, veröffentlicht am 17.6.2015

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