Umsatzsteuer im Insolvenzeröffnungsverfahren

Umsatzsteuern für die Leistungen eines insolvenzbedrohten Unternehmers können Masseverbindlichkeiten sein; entscheidend sind die rechtlichen Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters.

Hintergrund

Nach § 55 Abs. 4 InsO gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. Die Einordnung einer Verbindlichkeit als Masseverbindlichkeit ist für den Fiskus als Gläubiger eines insolventen Unternehmens von großer Bedeutung, weil Masseverbindlichkeiten – anders als bloße Insolvenzforderungen – vorrangig zu befriedigen sind (§ 53 InsO).

Die Finanzverwaltung wendet § 55 Abs. 4 InsO auf alle Steuerverbindlichkeiten an, die auf Umsätzen beruhen, denen der schwache vorläufige Insolvenzverwalter nicht widersprochen hat (vgl. BMF-Schreiben v. 17.1.2012, BstBl I 2012 S. 120, Rz. 11). Eine höchstrichterliche Entscheidung zur Frage des Anwendungsumfangs der Vorschrift gab es bislang noch nicht. Insofern ist das vorliegende Urteil des BFH die erste Entscheidung eines obersten Bundesgerichts, die sich mit dieser Frage befasst.

Der BFH teilt nicht die Auffassung der Finanzverwaltung. Er entschied, dass Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO nur im Rahmen der für den vorläufigen Insolvenzverwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse begründet werden. Für umsatzsteuerrechtliche Verbindlichkeiten ist dabei auf die Entgeltsvereinbarung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter abzustellen.

Im Streitfall stellte eine KG, die eine Spedition betrieb, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Das Insolvenzgericht bestellte am 6.10.2011 den K zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Außerdem ordnete es an, dass Verfügungen der KG über Gegenstände ihres Vermögens nur noch mit Zustimmung des K wirksam sind und ermächtigte K, Forderungen der KG einzuziehen. Die KG führte den Geschäftsbetrieb zunächst weiter, stellte ihn aber zum 31.12.2011 ein. Im März 2012 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume Oktober und November 2011 fest. Beide Steuerfestsetzungen erfolgten unter Verwendung einer zweiten, für die Masse der KG verwendeten Steuernummer. Der Einspruch des K gegen die Vorauszahlungsbescheide hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht wies die Klage ab. Das Finanzamt sei befugt, die zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht gezahlten Umsatzsteuervorauszahlungen als Masseverbindlichkeit gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter festzusetzen. Dessen nach § 55 Abs. 4 InsO erforderliche Zustimmung ergebe sich daraus, dass er sich mit der Fortführung der Umsatztätigkeit im Insolvenzeröffnungsverfahren einverstanden erklärt habe (vgl. EFG 2014 S. 69).

Entscheidung

Der BFH sah das anders. Nach seiner Auffassung kommt es für die Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO auf die rechtlichen Befugnisse an, die dem vorläufigen Insolvenzverwalter zustehen. Diese beziehen sich allerdings im Regelfall nicht auf Leistungen durch den insolvenzbedrohten Unternehmer, sondern auf den Forderungseinzug und damit auf das Recht des vorläufigen Insolvenzverwalters, Entgelte für umsatzsteuerpflichtige Leistungen einzuziehen. Ist also – wie im Streitfall – Zustimmungsvorbehalt angeordnet und ist der vorläufige Insolvenzverwalter zum Forderungseinzug berechtigt, entstehen Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO insoweit, als der vorläufige Insolvenzverwalter Entgelte aus Leistungen des Unternehmers vereinnahmt. Vom vorläufigen Insolvenzverwalter veranlasste Zahlungen auf zum Vorsteuerabzug berechtigende Leistungsbezüge sind masseverbindlichkeitsmindernd zu berücksichtigen. Dabei ist nicht zwischen vor oder nach der Verwalterbestellung erbrachten oder bezogenen Leistungen zu unterscheiden.

Hinweis:

Mit der vorliegenden Entscheidung hat der BFH eine für die Praxis wichtige Streitfrage geklärt. Da § 55 Abs. 4 InsO Steuerschulden zu Masseverbindlichkeiten aufwertet, ist die Frage, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen, für Insolvenzeröffnungsverfahren aller Unternehmer, die umsatzsteuerpflichtige Leistungen erbringen, von erheblicher Bedeutung.

Die Quintessenz der Entscheidung lässt sich wie folgt zusammenfassen.

Aufgrund der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 InsO) und mit dem Recht zum Forderungseinzug (§§ 22 Abs. 2, 23 InsO) werden die noch ausstehenden Entgelte für zuvor erbrachte Leistungen uneinbringlich. Umsatzsteuer kann insoweit nicht mehr erhoben werden. Wenn der vorläufige Insolvenzverwalter nachfolgend trotzdem Entgelte (aus einer Ausgangsleistung vor oder nach seiner Bestellung) vereinnahmt, entsteht der Umsatzsteueranspruch als Masseverbindlichkeit neu. Das Finanzamt kann diese Umsatzsteuer durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter festsetzen.

Urteil v. 24.9.2014, V R 48/13, veröffentlicht am 3.12.2014

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Schlagworte zum Thema:  Umsatzsteuer, Insolvenz, Steuerschuld