Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts eines Grundstücks
Hintergrund: Bewertung eines Grundstücks
X erbte in 2009 einen Anteil an einem Hausgrundstück. Der standardisierter Grundbesitzwert nach §§ 176 bis 197 BewG beträgt 4.8 Mio. EUR. X versuchte mit einem nach der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) erstellten Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen. Im Klageverfahren vor dem FG war die Plausibilität des Gutachtens streitig. Fraglich war insbesondere, wie die untypisch geringe gewerbliche Nutzung zu berücksichtigen sei. Der Gutachter hatte dafür den Wert einer anderen Bodenrichtwertzone, in der sich vergleichbar genutzte Grundstücke befinden, übernommen.
Das FG wies die Klage ab. Das Gutachten widerspreche der ImmoWertV. Die Ableitung des Bodenwerts aus dem Richtwert einer anderen Bodenrichtwertzone sowie die Herleitung des Liegenschaftszinssatzes seien nicht plausibel.
Entscheidung: Sachverständigengutachten zum Nachweis eines geringeren gemeinen Werts
Für die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens sind die Grundbesitzwerte nach §§ 176 bis 198 BewG zu ermitteln (§ 151 Abs. 1 Nr. 1 BewG). Beim Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts am Bewertungsstichtag ist dieser Wert anzusetzen (§ 198 Satz 1 BewG). Für den Nachweis gelten grundsätzlich die aufgrund des § 199 Abs. 1 BauGB erlassenen Vorschriften (§ 198 Satz 2 BewG). Der Steuerpflichtige trägt insoweit die Nachweislast (BFH v. 24.10.2017, II R 40/15, BStBl II 2019, 21, Rz 11).
Die ImmoWertV gilt erst ab Bewertungsstichtage ab 01.07.2010
Zur Ordnungsmäßigkeit des Gutachtens gehören sowohl die methodische Qualität als auch die zutreffende Erhebung und Dokumentation der Begutachtungsgrundlagen. Die Anforderungen an die methodische Qualität ergeben sich im Wesentlichen aus den §§ 194 ff. BauGB. Daneben sind die WertV i.V.m. den Wertermittlungsrichtlinien und die ImmoWertV, die die WertV ab dem 1.7.2010 abgelöst hat, zu beachten. Die zeitliche Anwendbarkeit richtet sich danach, ob die Regelungen am Bewertungsstichtag in Kraft waren. Die WertV war bis zum 30.6.2010 in Kraft und wurde am 1.7.2010 durch die ImmoWertV abgelöst. Deshalb sind für Bewertungsstichtage bis 30.6.2010 – also im Streitfall – die Vorschriften der WertV und für Bewertungsstichtage ab 1.7.2010 die Vorschriften der ImmoWertV anwendbar (BFH v. 24.10.2017, II R 40/15, BStBl II 2019, 21, Rz 14). Der Zeitpunkt der Gutachtenerstellung ist für die zeitliche Anwendung der WertV und der ImmoWertV nicht von Bedeutung.
Nachbesserung des Gutachtens
Hiervon ausgehend war das FG-Urteil aufzuheben. Es hat angenommen, dass sich die zeitliche Anwendbarkeit der ImmoWertV nach dem Zeitpunkt der Gutachtenerstellung richte. Das FG hat daher wegen der Erstellung des Gutachtens in 2017 auf den Bewertungsstichtag 1.6.2009 die die ImmoWertV (anstatt der WertV) angewandt. Der BFH musste daher den Fall an das FG zurückverweisen. X hat damit Gelegenheit, das Gutachten (nach der WertV) nachzubessern.
Einzelbewertung bei Straßen- und Platzwert
Der BFH weist ergänzend darauf hin, dass im Streitfall zwei Bodenrichtwerte für die Ableitung des Bodenwerts geeignet sind. Da das Grundstück teils an der Straßenseite liegt und teils von dort in die Tiefe verläuft, ist der für die Straße ermittelte Bodenrichtwert (Straßenwert) nur für den direkt an der Straße liegenden Grundstücksteil einschlägig. Für den übrigen Teil ist der der Platzwert anwendbar. In welchem Umfang das Grundstück jeweils dem Straßen- oder Platzwert zuzuordnen ist, ist sodann im Rahmen einer Einzelbewertung (vgl. § 194 BauGB) zu entscheiden.
Hinweis: Klarstellung zur Anwendung von WertV und ImmoWertV
Der BFH stellt klar, dass für die Anwendung der WertV bzw. der ImmoWertV nicht der Zeitpunkt der Gutachtenerstellung, sondern der Bewertungsstichtag entscheidend ist. Würde man auf die Erstellung des Gutachtens abstellen, könnten für Bewertungsstichtage bis 30.6.2010 entweder die WertV, solange das Gutachten bis zu diesem Datum erstellt wurde, oder alternativ die ImmoWertV, falls das Gutachten ab dem 1.7.2010 erstellt wurde, anwendbar sein. Somit wären je nach dem Zeitpunkt der Begutachtung unterschiedliche Regelungen zu berücksichtigen. Das würde einer rechtssicheren Wertermittlung widersprechen.
BFH Urteil vom 16.09.2020 - II R 1/18 (veröffentlicht am 10.12.2020)
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