"Richtige" Rechtsbehelfsbelehrung trotz fehlendem Hinweis auf elektronischen Rechtsverkehr
Hintergrund:
Wird die einem Verwaltungsakt beizufügende Rechtsbehelfsbelehrung „unrichtig“ erteilt, so beginnt die Rechtsbehelfsfrist für den Einspruch nicht zu laufen; die Einlegung des Einspruchs ist dann noch bis zum Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe des Verwaltungsakts zulässig (§ 356 Abs. 2 AO). Nach der Einführung der sog. elektronischen Kommunikation im Jahr 2002 können Dokumente – also z.B. auch Einspruchsschreiben – elektronisch (also per E-Mail) übermittelt werden, wenn die Finanzbehörde hierfür einen Zugang eröffnet hat (§87a Abs. 1 AO). Streitig war im vorliegenden Fall, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung dann "unrichtig" ist, wenn sie auf die Notwendigkeit der Einspruchseinlegung in Schriftform (§ 357 Abs. 1 Satz 1 AO) hinweist, nicht jedoch zugleich auf die Möglichkeit, den Einspruch in elektronischer Form - also per E-Mail - einzulegen.
Entscheidung des BFH:
Der BFH sah in diesem Fall die Rechtsbehelfsbelehrung nicht als "unrichtig" i.S. des § 356 Abs. 2 AO an. Eine Belehrung entsprechend dem Gesetzeswortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO sei nicht geeignet, bei einem "objektiven" Empfänger die Fehlvorstellung hervorzurufen, die Einlegung eines Einspruchs in elektronischer Form werde den geltenden Formvorschriften nicht gerecht. Vielmehr lasse sich aus einer solchen, am gesetzlichen "Mindeststandard" ausgerichteten Belehrung allenfalls schlussfolgern, dass eine mündliche Einspruchseinlegung (soweit nicht bei der Behörde durch Niederschrift erklärt) ausgeschlossen ist. Der Hinweis auf die "Schriftlichkeit" wirke deshalb weder irreführend noch rechtsschutzbeeinträchtigend. Der Betroffene habe ja die Möglichkeit, sich im Rahmen seiner verfahrensrechtlichen Mitverantwortung darüber kundig zu machen, ob das herkömmliche Verständnis dessen, was unter "schriftlich" zu verstehen ist, sich angesichts technischer Weiterentwicklungen möglicherweise zwischenzeitlich geändert hat.
Hinweis:
Zu dieser Problematik dürfte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Die Entscheidung des BFH im vorliegenden Fall ist nämlich in einem sog. summarischen Verfahren (hier: im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung der Anordnung eines Steuerabzugs gemäß § 50a EStG) ergangen, was bedeutet, dass der BFH die Sach- und Rechtslage lediglich einer summarischen Prüfung unterziehen musste. Hinzu kommt, dass die hier abgehandelte Rechtsfrage sowohl im Schrifttum als auch in der Rechtsprechung der Finanz- und Verwaltungsgerichte äußerst umstritten ist. So hat z.B. das Niedersächsische Finanzgericht mit Urteil vom 24.11.2011 (EFG 2012 S. 292) in einem vergleichbaren Fall entschieden, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung, in der Angaben zum Formerfordernis der Einspruchseinlegung gemacht werden, dabei die Möglichkeit der Einspruchseinlegung per E-Mail nicht ausdrücklich erwähnt wird, „unrichtig“ sei. Die Revision des Finanzamts gegen dieses Urteil ist beim BFH unter dem Aktenzeichen X R 2/12 anhängig. Man darf gespannt sein, ob sich der X. Senat des BFH der Auffassung anschließen wird, die der I. Senats in der vorliegenden Beschwerdeentscheidung vertreten hat.
BFH Beschluss vom 12.12.2012 - I B 127/12 (veröffentlicht am 06.02.2013)
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