BFH zum Altersvorsorge-Eigenheimbetrag

Auch im Fall der Verwendung des geförderten Altersvorsorgekapitals zur Tilgung eines Darlehens nach § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG muss ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Auszahlung des geförderten Kapitals und der Darlehenstilgung bestehen.

Hintergrund: Verwendung des geförderten Altersvorsorgekapitals ("Wohnriester") zur Darlehenstilgung

Nach § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG kann der Zulagenberechtigte das in einem Altersvorsorgevertrag gebildete und geförderte Kapital bis zum Beginn der Auszahlungsphase unmittelbar für die Anschaffung/Herstellung einer Wohnung oder zur Tilgung eines zu diesem Zweck aufgenommenen Darlehens verwenden. Zu entscheiden war, ob die Unmittelbarkeit nur für die Anschaffung/Herstellung oder auch für die Darlehenstilgung gilt.

Die A beantragte bei der ZfA (Deutsche Rentenversicherung Bund – Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen) für in 2015 bis 2017 beabsichtigte Sondertilgungen eines für die Anschaffung einer Wohnung aufgenommenen Darlehens aus ihrem zertifizierten Altersvorsorgevertrag insgesamt 10.350 EUR verwenden zu dürfen.

In dem Gestattungsbescheid wies die ZfA darauf hin, der Entnahmevorgang und die wohnungswirtschaftliche Verwendung müssten in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang erfolgen. Dieser sei gewahrt, wenn die beabsichtigte Darlehnstilgung innerhalb von zwölf Monaten nach der ersten Kapitalauszahlung vorgenommen werde. Werde der Zeitrahmen nicht eingehalten, könne eine schädliche Verwendung des entnommenen Kapitals vorliegen.

Die Anbieterin zahlte das Kapital aus dem Altersvorsorgevertrag am 09.07.2015 an die A aus. Diese leistete am 14.07.2015 für 2015, am 03.02.2016 für 2016 und am 12.06.2017 für 2017 jeweils eine Sondertilgung in Höhe von 3.450 EUR.

In 2017 stellte die ZfA die teilweise Unwirksamkeit des Gestattungsbescheids rückwirkend zum Zeitpunkt seines Erlasses fest. Die Sondertilgung für 2017 sei nicht mehr im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zur Auszahlung des Kapitals erfolgt, so dass insoweit eine schädliche Verwendung vorliege. Die ZfA setzte aufgrund der schädlichen Verwendung einen Rückzahlungsbetrag fest (1.641,05 EUR).

Das FG verneinte eine schädliche Verwendung und gab der Klage statt. Entgegen der Ansicht der ZfA erfordere die wohnungswirtschaftliche Verwendung durch Darlehenstilgung keine Unmittelbarkeit.

Entscheidung: Unmittelbarkeitserfordernis im Fall der Darlehenstilgung

Auch in der Tilgungsvariante des § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG muss die Verwendung des geförderten Altersvorsorgekapitals für wohnungswirtschaftliche Zwecke eine unmittelbare sein.

Wirksamkeit des Rückforderungsbescheids

Für die Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsbescheids wegen schädlicher Verwendung geförderten Altersvorsorgevermögens (§ 93 Abs. 1 i.V.m. § 94 Abs. 2 EStG) ist der Bescheid über die Feststellung der (teilweisen) Unwirksamkeit des Gestattungsbescheids unerheblich. Diesem kommt keine inhaltliche Bindungswirkung für den Rückforderungsbescheid zu.

Auslegung nach Wortlaut und Systematik

Der Gesetzeswortlaut (§ 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) lässt sowohl die Auslegung zu, dass sich das Adjektiv "unmittelbar" (als "vor die Klammer gezogen") auf alle drei Tatbestandsvarianten (Anschaffung, Herstellung, Tilgung) gleichermaßen beziehen soll, als auch eine Auslegung, dass das Unmittelbarkeitserfordernis nur für die ersten beiden Varianten (eventuell auch nur für die erste Variante) gelten soll. Auch eine systematische Auslegung unter Heranziehung anderer Regelungen innerhalb des § 92a EStG oder innerhalb des EStG führt nicht zu eindeutigen Ergebnissen.

Unmittelbarkeitserfordernis aufgrund Sinn und Zweck der Regelung

Jedoch verlangt der Sinn und Zweck der Förderunschädlichkeit der Verwendung von Altersvorsorgekapital für bestimmte Darlehenstilgungen, dass nicht nur in Anschaffungs- und Herstellungsfällen, sondern auch im Fall der Tilgung von Anschaffungs- oder Herstellungsdarlehen das geförderte Kapital "unmittelbar" für den jeweils begünstigten wohnungswirtschaftlichen Zweck verwendet wird.

Vermeidung einer zweckwidrigen Verwendung

Durch die Ablösung von Darlehen soll ein Beitrag zum "mietfreien Wohnen im Alter" geleistet werden (BT-Drs. 16/8869, S. 16 f.). Um dieses Ziel zu erreichen, das allein als Rechtfertigung für die förderunschädliche vorzeitige Verwendung des zur Erlangung laufender Altersbezüge gebundenen Kapitals dienen kann, muss sichergestellt sein, dass das entnehmbare geförderte Altersvorsorgekapital nicht zweckentfremdet verwendet wird. Mitnahmeeffekte sind auszuschließen. Im Zusammenhang mit der Verwendung von gefördertem Kapital zur Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung wird dies durch das im Wortlaut des § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG verankerte Unmittelbarkeitserfordernis eindeutig sichergestellt. Das Unmittelbarkeitserfordernis muss gleichermaßen für die Tilgungsvariante gelten, da andernfalls eine zweckwidrige Verwendung, insbesondere durch die zwischenzeitliche Möglichkeit der Begleichung allgemeiner Lebenshaltungskosten, möglich wäre.

Die Unmittelbarkeit fehlt im Streitfall

Die Finanzverwaltung legt das Unmittelbarkeitserfordernis – allerdings beschränkt auf Anschaffungs- oder Herstellungsfälle – dahin aus, dass Verwendungen begünstigt sind, die innerhalb von 6 Monaten vor der Antragstellung bei der ZfA und bis zu 12 Monate nach der Auszahlung des Altersvorsorgekapitals vorgenommen werden (BMF v. 21.12.2017 BStBl I 2018, 93, Rz. 252). Damit lag die im Juni 2017 vorgenommene Sondertilgung jedenfalls außerhalb einer im Juli 2015 beginnenden Zwölf-Monats-Frist.

Kein Verstoß gegen Treu und Glauben

Dem Erlass des Rückforderungsbescheids stehen Treu und Glauben nicht entgegen. Aufgrund des ausdrücklichen Hinweises der ZfA im Gestattungsbescheid, dass die Entnahme in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zur Gestattung zu erfolgen habe, und aufgrund der Nennung des aus Sicht der ZfA relevanten Zeitraums von 12 Monaten nach der Kapitalauszahlung konnte kein schützenswertes Vertrauen der A in Bezug auf die erst nach diesem Zeitraum erfolgte Sondertilgung für 2017 entstehen.

Hinweis: Zeitliche Voraussetzungen der Unmittelbarkeit

Der BFH lässt offen, ob der von der Verwaltung akzeptierte Zeitraum (6 Monate vor Antragstellung bis 12 Monate nach Auszahlung) als zutreffende Gesetzesauslegung angesehen werden kann. Dagegen könnte sprechen, dass das geförderte Kapital in einem derart langen Zeitraum zunächst für andere Zwecke verwendet werden könnte.

BFH Urteil vom 16.02.2022 - X R 26/20 (veröffentlicht am 21.07.2022)

Alle am 21.07.2022 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen

Schlagworte zum Thema:  Riester-Rente, Gebäude, Einkommensteuer