Rz. 141

Im deutschen Erbrecht gilt der Grundsatz der sog. Universalsukzession. Der Erbe setzt die Rechts- und Pflichtverhältnisse des Erblassers grundsätzlich mit demselben rechtlichen Inhalt fort, er tritt voll an die Stelle des Erblassers (s. Marotzke in Staudinger, § 1922 BGB Rn. 45). Insoweit ist die Formulierung in § 1967 Abs. 1 BGB, dass der Erbe (nur) für die Nachlassverbindlichkeiten haftet, missverständlich, denn er muss nicht nur die Zwangsvollstreckung in sein Vermögen dulden, sondern ist auch zur Erfüllung verpflichtet (s. Marotzke in Staudinger, Vorbemerkung zu §§ 1967–2017 BGB Rn. 7). Allerdings hat der Erbe die Möglichkeit, durch verschiedene Maßnahmen, insbesondere Nachlassverwaltung und -insolvenz, die Haftung auf den Nachlass zu beschränken, was bedeutet, dass er die Erfüllung von Nachlassverbindlichkeiten aus seinem Eigenvermögen verweigern kann.

 

Rz. 142

Da der Erbe die Verbindlichkeiten des Erblassers übernimmt, müssen zur Ermittlung der Bereicherung vom gesamten Vermögensanfall die Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden. Dies ist Ausdruck des Nettoprinzips und schon in § 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG geregelt. § 10 Abs. 5 ErbStG erläutert näher, welche Positionen als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig sind. Die Abs. 6–9 enthalten verschiedene Abzugsverbote.

Nach verschiedenen Meinungen in der Literatur ist die Auflistung in § 10 Abs. 5 ErbStG für die Berücksichtigung von Kosten und Aufwendungen nicht abschließend (s. dazu Dorn/Dräger, NWB-EV 2021, 272 (273)).

 

Rz. 143

Der Begriff der Nachlassverbindlichkeiten in § 10 Abs. 5 ErbStG ist zwar weitgehend identisch mit dem in § 1967 Abs. 2 BGB, da jedoch anders als in § 3 ErbStG kein Verweis auf das BGB enthalten ist, besteht keine Bindung an das Zivilrecht (vgl. dazu BFH vom 26.07.2007, BStBl II 2007, 651; BFH vom 15.05.2009, BFH/NV 2009, 1441). Bei der erbschaftsteuerlichen Auslegung ist zu beachten, dass der Abzug der Verwirklichung des Netto- bzw. Bereicherungsprinzips dient. Daraus folgt auch, dass ein Abzug von Lasten ausgeschossen ist, wenn diese bei wirtschaftlicher Betrachtung keine Last für den oder die Erben darstellen. Dies ist z. B. der Fall, wenn bereits zum Bewertungszeitpunkt (s. § 11 ErbStG) feststeht, dass der Gläubiger diese nicht geltend machen wird (vgl. BFH vom 01.07.2008, BFH/NV 2008, 1947; BFH vom 24.03.1999, BFH/NV 1999, 1339 m. w. N.).

 

Rz. 144

Das Gleiche gilt, wenn eine wirtschaftliche Belastung nicht besteht, weil der Erbe die Möglichkeit hat, die Belastung auf einen Dritten abzuwälzen, wie z. B. bei Krankheitskosten, für die ein Beihilfeanspruch besteht (s. FG Düsseldorf vom 02.12.1992, EFG 1993, 391). In diesen Fällen dürfte allerdings zumeist auch ein Erstattungs- oder Freistellungsanspruch gegen den Dritten bestehen, so dass sich das Problem ohnehin durch Saldierung von Anspruch und Verbindlichkeit löst. In Einzelfällen, in denen der Anspruch erst später entsteht, und deshalb nicht erfasst werden kann, ist dies dennoch von Bedeutung.

 

Rz. 145

Das FG München hat den Abzug einer Auflage, mit der der Erbe dazu verpflichtet wurde, ein Vorkaufrecht für einen Dritten eintragen zu lassen, mit der Begründung abgelehnt, dass die Verpflichtung zu keiner Bereicherungsminderung für den Erben führe (s. FG München vom 07.02.2007, EFG 2007, 864). Diese Argumentation ist allerdings zweifelhaft, da ein Vorkaufrecht durchaus dazu führt, dass sich das Grundstück schwerer verkaufen lässt und damit unter Umständen der Kaufpreis sinkt, weil potenzielle Käufer nicht gewillt sein werden, den Vertrag vollständig auszuhandeln, nur damit am Ende der Vorkaufsberechtigte sein Vorkaufsrecht ausübt.

 

Rz. 146

Vereinbart der Pflichtteilsberechtigte mit dem Erben, dass er gegen eine Abfindung auf die Geltendmachung seiner Pflichtteilsansprüche verzichtet, die erst mit dem Tod des Erben fällig sein soll, so soll laut BFH ein Abzug der Abfindungen als Nachlassverbindlichkeiten gem. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG ausscheiden, weil es an einer wirtschaftlichen Belastung des Abfindungsverpflichteten fehle, der zu Lebzeiten nicht mit einer Zahlung zu rechnen habe (s. BFH vom 27.06.2007, BStBl II 2007, 651).

Umgekehrt können unter bestimmten Umständen aber auch Lasten abgezogen werden, obwohl eine rechtliche Verpflichtung nicht besteht. Die Rechtsprechung hat dies z. B. anerkannt für Unterhaltsleistungen, zu denen der Erbe sich aus sittlichen Gründen für verpflichtet hält (s. BFH vom 18.11.1963, HFR 1964, 83), ebenso für den Begünstigten einer Lebensversicherung, der sich verpflichtet fühlt, den Bürgen des hoch verschuldeten Erblassers aus seiner Haftung auszulösen (s. FG Baden-Württemberg vom 30.01.1998, EFG 1999, 80).

 

Rz. 147

Zahlungen von Erben an nichteheliche Lebenspartner des Erblassers, die auf einem durch Beendigung der Lebensgemeinschaft begründeten gesellschaftsrechtlichen Ausgleichsanspruch beruhen, sind ebenfalls Nachlassverbindlichkeiten i. S. d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG (vgl. FG Münster vom 29.05.2008, EFG 2008, 1646).

 

Rz. 148

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