Rz. 273

Neben dem Pflichtteilsanspruch kommen noch in Betracht:

5.2.3.1 Der Pflichtteilsrestanspruch

 

Rz. 274

Der Pflichtteilszusatz oder Pflichtteilsrestanspruch (s. § 2305 BGB) kommt zum Tragen, wenn dem Pflichtteilsberechtigten testamentarisch ein Erbteil zugewandt wird, der geringer als der Pflichtteil ist.

 
Praxis-Beispiel

Erblasser W setzt seine Freundin L zu 3/5 und seinen Sohn S (alleiniger gesetzlicher Erbe) zu 2/5 als Erben ein; Der Wert des Nachlasses beträgt 10 Mio. EUR.

Lösung:

In diesem Fall hätte S i. H. v. 1 Mio. EUR einen Restanspruch gegen L, da dem S 5 Mio. EUR als gesetzlicher Pflichtteil zustehen und er testamentarisch nur 4 Mio. EUR erhält. Die Differenz zwischen dem Pflichtteil und der tatsächlichen Erbquote definiert diesen Anspruch.

 

Rz. 275

Eine ähnliche Rechtsfolge sieht § 2306 BGB vor, wenn der Erbe (= Pflichtteilsberechtigter) durch Auflagen oder sonstige Anordnungen des Erblassers so stark in seiner Erbrechtsposition beeinträchtigt ist, dass sein Erbe – wirtschaftlich gesehen – weniger als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils (= des Pflichtteils) wert ist. Nach § 2306 Abs. 1 BGB a. F. wurde dem pflichtteilsberechtigten Erben die Lastenfreiheit des Erbteils garantiert, da Beschränkungen (etwa durch Nacherben- oder Testamentsvollstrecker-Einsetzung) als nicht angeordnet galten. Nach der Neuregelung des § 2306 BGB hat nunmehr jeder pflichtteilsberechtigte Erbe, der testamentarisch beschwert ist, ein Wahlrecht. Er kann entweder den Erbteil mit den Belastungen annehmen oder den Erbteil ausschlagen und dennoch den Pflichtteil verlangen. Der als Nacherbe eingesetzte Pflichtteilsberechtigte hat gem. § 2306 Abs. 2 BGB die gleichen Rechte.

5.2.3.2 Der Pflichtteilsergänzungsanspruch

 

Rz. 276

In der Praxis noch wichtiger ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch (s. § 2325 BGB). In Fällen, in denen der Erblasser einer dritten Person im Zeitraum von zehn Jahren vor dem Erbfall eine Schenkung gemacht hat und dadurch der Wert des Nachlasses – und mit ihm der Wert etwaiger Pflichtteilsansprüche – reduziert wird, gibt § 2325 BGB dem Pflichtteilsberechtigten einen Ergänzungsanspruch gegen den Erben. Der Anspruch besteht in der Höhe, um die sich der Pflichtteil erhöhen würde, wenn das Geschenk dem Nachlass hinzugerechnet würde. Unberücksichtigt bleiben dabei sog. Anstandsschenkungen (s. § 2330 BGB).

 
Praxis-Beispiel

Erblasser W (wie Beispiel oben, s. Rn. 274) setzt die Freundin L zur Alleinerbin ein. Sohn (S) wird nicht berücksichtigt. Im Jahr vor seinem Tode schenkt W einer anderen Geliebten G den Geldbetrag von 2 Mio. EUR. Dadurch reduziert sich der Nachlasswert auf 8 Mio. EUR.

Lösung:

Der Pflichtteilsanspruch des S beträgt zunächst 4 Mio. EUR (die Hälfte seines fiktiven Alleinerbes).

Ohne Schenkung betrüge er 5 Mio. EUR.

Der Ergänzungsanspruch gegen die Erbin L beträgt 1 Mio. EUR.

Für den (hier nicht einschlägigen) Fall schließlich, dass der Erbe selbst pflichtteilsberechtigt wäre und ihm nach Erfüllung des Ergänzungsanspruchs kein eigener werthaltiger Pflichtteil mehr verbliebe, kann der Alleinerbe die Erfüllung des Ergänzungsanspruchs verweigern. Er richtet sich sodann gegen den Beschenkten (s. § 2329 BGB).

 

Rz. 277

Eine große praktische Bedeutung hat der Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Lebensversicherungen zugunsten Dritter auf den Todesfall. Hier entspricht es noch der Rechtsprechung des BGH, dass sich etwaige Ergänzungsansprüche nach § 2325 Abs. 3 BGB nur auf die während der letzten zehn Jahre (vor dem Erbfall) eingezahlten Prämien beziehen (weder auf den anteiligen Rückkaufswert noch auf die gestiegene Versicherungssumme).

 

Rz. 278

Hinweis: Die Schenkung wurde nach altem Recht in voller Höhe innerhalb der Zehnjahresfrist berücksichtigt. Sowohl die lange Frist als auch die "Alles-oder-nichts"-Regelung wurden als unverhältnismäßig empfunden. Durch die Reform des Erbrechts wurde § 2325 Abs. 3 BGB jedoch dahingehend geändert, dass der Ergänzungsanspruch graduell immer weniger Berücksichtigung findet, je länger die Schenkung zurückliegt. Eine Schenkung soll daher nur im ersten Jahr vor dem Erbfall in voller Höhe in die Berechnung einbezogen werden; danach gilt das Abschmelzungsprinzip: Pro Jahr schmilzt ihre Bedeutung für den Ergänzungsanspruch um 1/10 (m.a.W. wird sie im zweiten Jahr vor dem Tode nur noch mit 9/10 berücksichtigt usw.).

 

Rz. 279

Die Abschmelzung (pro rata temporis) ist mit § 2325 Abs. 3 BGB n. F. eingeführt worden. Bei zwei – praxisrelevanten – Tatbeständen kommt es allerdings zu keinem Anlaufen der Frist (und damit zu keiner Abschmelzung; s. Langenfeld, NJW 2009, 3123):

  • bei Ehegattenzuwendungen,
  • bei Übertragungen unter Nießbrauchsvorbehalt.

Bei beiden Ansprüchen wird ausdrücklich und voll umfänglich auf die §§ 2303ff. BGB Bezug genommen.

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