Rz. 270

Die geplante "große" Änderung des Pflichtteilsrechts, die in der Vergangenheit angemahnt wurde, konnte – auch auf Grund der BVerfG-Entscheidung aus dem Jahr 2005 (NJW 2005, 1561), die die Mindestbeteiligung der Kinder am Nachlass wegen der Erbrechtsgarantie nach Art. 14 GG festgeschrieben hat – nicht umgesetzt werden. Stattdessen gibt es punktuelle Änderungen ab 01.01.2010, die nachfolgend berücksichtigt werden.

5.2.1 Pflichtteilsberechtigte und Verpflichtete

 

Rz. 271

Als Gläubiger des Pflichtteilsanspruchs kommen Angehörige, Ehegatten und Eltern gem. § 2303 BGB zum Zuge, wenn sie seitens des Erblassers durch Verfügung von Todes wegen ausgeschlossen wurden. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (z. B. § 2307 BGB) ist daher der Ausschlagende nicht aktiv legitimiert, einen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen.

Pflichtteilsansprüche können schließlich – im Unterschied zum Erbanspruch – auch teilweise geltend gemacht werden (partieller Pflichtteil). Schuldner des Pflichtteils ist der Erbe (bzw. die Erbengemeinschaft).

Ähnlich dem Vermächtnis kann eine Person sowohl Berechtigter wie Verpflichteter sein, wenn ein Miterbe zugleich pflichtteilsberechtigt ist (s. § 2319 BGB und § 2305 BGB).

5.2.2 Berechnung

 

Rz. 272

Der Pflichtteilsanspruch umfasst die Hälfte des – um die Schulden bereinigten – gesetzlichen Erbteils (§ 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB). Er ist ein Geldanspruch. Danach sind bei der Berechnung des Pflichtteils die Erblasserschulden wie z. B. die Grundstückslasten (inkl. der Realsteuern) abzusetzen. Auch die beim Erbfall bereits dem Rechtsgrund nach entstandenen Verbindlichkeiten wie die Nachlassverwaltungs- und -sicherungskosten sind abzugsfähige Größen (ebenso die ggf. bestehende Zugewinnausgleichsforderung).

Nicht abzusetzen sind allerdings die im (Insolvenz-)Range nachgehenden Verbindlichkeiten (s. § 327 Abs. 1 Nr. 2, 3 InsO) wie Vermächtnisse und Auflagen (statt aller s. Weidlich in Grüneberg, § 2311 Rn. 5).

Bei mehreren Pflichtteilsberechtigten erfolgt eine Anrechnung der lebzeitigen Zuwendungen nach § 2315 BGB (dies allerdings unter Berücksichtigung etwaiger Ausgleichungspflichten nach § 2316 BGB).

Die Wertverhältnisse sind auf den Zeitpunkt des Erbfalls festzustellen, ohne dass eine bestimmte Methode gesetzlich vorgeschrieben ist. Für Grundstücke bedeutet dies, dass der Verkehrswert zugrunde gelegt wird (bei unbebauten Grundstücken: ggf. der Bodenrichtwert und bei Gebäuden eine Kombination aus Sachwert- und Ertragswertverfahren; im Einzelnen s. dazu Weidlich in Grüneberg, § 2311 Rn. 8).

5.2.3 Weitere Ansprüche

 

Rz. 273

Neben dem Pflichtteilsanspruch kommen noch in Betracht:

5.2.3.1 Der Pflichtteilsrestanspruch

 

Rz. 274

Der Pflichtteilszusatz oder Pflichtteilsrestanspruch (s. § 2305 BGB) kommt zum Tragen, wenn dem Pflichtteilsberechtigten testamentarisch ein Erbteil zugewandt wird, der geringer als der Pflichtteil ist.

 
Praxis-Beispiel

Erblasser W setzt seine Freundin L zu 3/5 und seinen Sohn S (alleiniger gesetzlicher Erbe) zu 2/5 als Erben ein; Der Wert des Nachlasses beträgt 10 Mio. EUR.

Lösung:

In diesem Fall hätte S i. H. v. 1 Mio. EUR einen Restanspruch gegen L, da dem S 5 Mio. EUR als gesetzlicher Pflichtteil zustehen und er testamentarisch nur 4 Mio. EUR erhält. Die Differenz zwischen dem Pflichtteil und der tatsächlichen Erbquote definiert diesen Anspruch.

 

Rz. 275

Eine ähnliche Rechtsfolge sieht § 2306 BGB vor, wenn der Erbe (= Pflichtteilsberechtigter) durch Auflagen oder sonstige Anordnungen des Erblassers so stark in seiner Erbrechtsposition beeinträchtigt ist, dass sein Erbe – wirtschaftlich gesehen – weniger als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils (= des Pflichtteils) wert ist. Nach § 2306 Abs. 1 BGB a. F. wurde dem pflichtteilsberechtigten Erben die Lastenfreiheit des Erbteils garantiert, da Beschränkungen (etwa durch Nacherben- oder Testamentsvollstrecker-Einsetzung) als nicht angeordnet galten. Nach der Neuregelung des § 2306 BGB hat nunmehr jeder pflichtteilsberechtigte Erbe, der testamentarisch beschwert ist, ein Wahlrecht. Er kann entweder den Erbteil mit den Belastungen annehmen oder den Erbteil ausschlagen und dennoch den Pflichtteil verlangen. Der als Nacherbe eingesetzte Pflichtteilsberechtigte hat gem. § 2306 Abs. 2 BGB die gleichen Rechte.

5.2.3.2 Der Pflichtteilsergänzungsanspruch

 

Rz. 276

In der Praxis noch wichtiger ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch (s. § 2325 BGB). In Fällen, in denen der Erblasser einer dritten Person im Zeitraum von zehn Jahren vor dem Erbfall eine Schenkung gemacht hat und dadurch der Wert des Nachlasses – und mit ihm der Wert etwaiger Pflichtteilsansprüche – reduziert wird, gibt § 2325 BGB dem Pflichtteilsberechtigten einen Ergänzungsanspruch gegen den Erben. Der Anspruch besteht in der Höhe, um die sich der Pflichtteil erhöhen würde, wenn das Geschenk dem Nachlass hinzugerechnet würde. Unberücksichtigt bleiben dabei sog. Anstandsschenkungen (s. § 2330 BGB).

 
Praxis-Beispiel

Erblasser W (wie Beispiel oben, s. Rn. 274) setzt die Freundin L zur Alleinerbin ein. Sohn (S) wird nicht berücksichtigt. Im Jahr vor seinem Tode schenkt W einer a...

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