Rz. 40

Eine Zusammenrechnung ist nur dann vorzunehmen, wenn der zeitliche Abstand zwischen dem ersten und dem letzten Erwerb nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer (§ 9 ErbStG). Nach Ablauf der Zehnjahresfrist kommt der Verschonungsabschlag erneut zur Anwendung. Die Zehnjahresfrist ist dabei rückwärts gerichtet zu berechnen (für die Berechnung gelten gem. § 108 AO die Bestimmungen des BGB (§§ 187 ff. BGB)): Hat der Letzterwerb bspw. am 01.01.2020 stattgefunden, endet die Rückwärtsfrist am 02.01.2010 um 0 Uhr (BFH vom 28.03.2012, BStBl II 2012, 599). Nicht einzubeziehen ist ein Erwerb am 01.01.2010 (oder früher).

 

Rz. 41

Der für den früheren Erwerb gewährte Verschonungsabschlag und damit die gewährte Steuerbefreiung entfällt mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 13c Abs. 2 Satz 4 ErbStG). An die Stelle des damaligen Verschonungsabschlags für den früheren Erwerb tritt gem. § 13c Abs. 2 Satz 3 ErbStG der sodann durch Zusammenrechnung nach § 13c Abs. 2 Satz 2 ermittelte (geringere) Verschonungsabschlag, es sei denn, für den früheren Erwerb wurde ein Antrag auf Verschonungsbedarfsprüfung nach § 28a ErbStG gestellt. Die Rechtsfolgen der Zusammenrechnung für die früheren Erwerbe sind damit auf die Fälle nach § 13c ErbStG beschränkt und wirken nicht normenübergreifend. Gleichwohl führt die Zusammenrechnung zu einer ungünstigeren Progression für den früheren Erwerb, falls der Erwerber für diesen das Abschmelzungsmodell gewählt hat (Stalleiken in vO/L, § 13c Rz. 16). Hat der frühere Erwerb die Schwellengrenze von 26 Mio. EUR nicht überschritten und kam es demzufolge nicht zu einer Abschmelzung des Verschonungsabschlags, so findet der abschmelzende Verschonungsabschlag erstmalig für den früheren Erwerb Anwendung (§ 13c Abs. 2 Satz 3 ErbStG). Die Steuerfestsetzung für den früheren Erwerb ist in allen Fällen nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern.

 
Praxis-Beispiel

Sohn S erwirbt im Jahr 2017 den väterlichen Betrieb i. R.d. vorweggenommenen Erbfolge (gemeiner Wert: 20 Mio. EUR) und beim Tod des Vaters V zwei Jahre später das 30 %ige Aktienpaket (gemeiner Wert: 10 Mio. EUR). Beim Erwerb im Jahr 2017 wurde die Optionsverschonung gewählt (§ 13a Abs. 10 ErbStG).

Lösung:

Die Verschonung zu 100 % aus dem Jahr 2017 wird aufgehoben (mit Wirkung für die Vergangenheit), § 13c Abs. 2 Satz 4 ErbStG. Der Erwerb im Jahr 2019 führt – zusammen mit dem Erwerb im Jahr 2017 – zur Anwendung des § 13c ErbStG (Abschmelzungsmodell). Gem. § 13c Abs. 2 Sätze 2 und 3 ErbStG wird – bezogen auf den Gesamterwerb von 30 Mio. EUR – bei Wahl der Regelverschonung nunmehr 80 % Verschonung gewährt (bei Vorliegen der Voraussetzung der Optionsverschonung 95 %).

 

Rz. 42

In Bezug auf die Zusammenrechnung bedeutet dies (wie bei § 14 ErbStG, s. dort Rn. 20) aus praktischer Sicht zunächst:

  • Die zwischenzeitliche Substanz- und Wertentwicklung (nach oben wie nach unten) wird ausgeblendet; es werden die damals übertragenen Wirtschaftsgüter und Schulden mit ihrem damaligen Wert zugrunde gelegt.
  • Bei einer Änderung der gesetzlichen Wertmaßstäbe, z. B. aufgrund Inkrafttretens eines neuen ErbStG, gelten nach Verwaltungsauffassung die früheren steuerlichen Werte (so R E 14.1 Abs. 2 Satz 1 ErbStR).
 

Rz. 43

Für die Festsetzung der Erbschaftsteuer wird zunächst die Steuerfestsetzung für den früheren Erwerb geändert. Sodann wird für den Letzterwerb die Steuer unter Berücksichtigung der Zusammenrechnung nach § 14 ErbStG und der geänderten Steuerfestsetzung für den früheren Erwerb festgesetzt. Sofern hinsichtlich des früheren Erwerbs gegen die Lohnsummen- oder Behaltensregelungen verstoßen wurde, ist auch insoweit eine Neuberechnung der Erbschaftsteuer auf der Grundlage des abgeschmolzenen Verschonungsabschlags durchzuführen (R E 13c.4 Abs. 2 Sätze 4 bis 6 ErbStR).

 

Rz. 44

Fraglich ist – wie bei § 14 ErbStG – die Rechtsfolge bei fehlerhaften Feststellungsbescheiden, insb. dann, wenn es keine hinreichende Korrekturmöglichkeit (z. B. gem. §§ 129172 AO) gibt.

Die konsequente Auffassung der Verwaltung zu § 14 ErbStG (R E 14.1 Abs. 3 Satz 8 ErbStR: Die Festsetzung wird nicht geändert) wird sich wohl auch i. R.d. § 13c ErbStG halten, da es mit dem Grundlagenbescheid zur Bestandskraft greift. Die Bestandskraft kommt, die im Falle wirksamer Feststellungsbescheide nur unter den Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift durchbrochen werden kann.

 

Rz. 45

Fraglich ist auch, ob der Antrag auf Verschonungsbedarfsprüfung nach § 28a ErbStG für den früheren Erwerb insoweit lediglich die Rechtsfolgen des § 13c Abs. 2 Satz 3 ErbStG ausschließt oder ob der Antrag auch bewirkt, dass der frühere Erwerb nicht in die Berechnung der Höhe der Abschmelzung nach § 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG einzubeziehen ist. § 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG bezieht sich jedoch ausschließlich auf "begünstigtes Vermögen im Sinne des § 13b Absatz 2" und differenziert nicht danach, ob für den früheren Erwerb ein Antrag auf Verschonungsbedarfsprüfung nach § 28a ErbStG gestellt wurde oder n...

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