Rz. 56

Zivilrechtlich muss man zwischen der Adoption von Minderjährigen (Volladoption) und der Adoption von Volljährigen unterscheiden (s. a. Rn. 37 ff.):

  • Minderjährigenadoption (§§ 1741 BGB ff.)

    Die Annahme eines Minderjährigen als Kind hat die Begründung vollwertiger verwandtschaftlicher Beziehungen mit den oder dem Annehmenden und dessen Verwandten zur Folge (Volladoption, § 1754 BGB). Die Verwandtschaftsverhältnisse – und damit insoweit auch die Stellung eines gesetzlichen Erben – zu seinen leiblichen Verwandten erlöschen grds. nach § 1755 BGB.

  • Volljährigenadoption (§§ 1767 BGB ff.)

    Die Adoption eines Volljährigen hat die Wirkung einer Volladoption nur in Ausnahmefällen (vgl. dazu
    § 1772 BGB). Regelmäßig sind die Rechtsfolgen auf die Begründung eines Verwandtschaftsverhältnisses mit dem Annehmenden beschränkt. Diese Wirkung gilt auch für die Abkömmlinge des Angenommenen. Der Angenommene – oder seine Abkömmlinge – wird im Regelfall jedoch weder mit den Verwandten des Annehmenden verwandt, noch erlischt seine verwandtschaftliche Beziehung mit seinen leiblichen Verwandten (§ 1770 BGB). Der Angenommene und ggf. seine Abkömmlinge sind damit gesetzliche Erben des Annehmenden und der leiblichen Verwandten.

 

Rz. 57

Da bei einer Volladoption von Minderjährigen die früheren verwandtschaftlichen Beziehungen bürgerlich-rechtlich erlöschen (§ 1755 BGB), verliert das Kind somit alle erbrechtlichen Ansprüche. Trotzdem setzen die bisherigen Verwandten, insb. die leiblichen Eltern, bisweilen das adoptierte Kind testamentarisch zum Erben ein. Würde das ErbStG hier dem Zivilrecht folgen, fiele ein derartiger Erwerb in die Steuerklasse III. Das Erbschaftsteuerrecht vollzieht diesen Schritt allerdings nicht. Erbschaftsteuerlich hat das adoptierte Kind folglich zwei Elternpaare. Es bleibt auch gegenüber seinen leiblichen Eltern erbschaftsteuerlich Kind (§ 15 Abs. 1a ErbStG). Infolgedessen gelten die Steuerklassen I und II Nr. 1 bis 3 auch dann, wenn das adoptierte Kind von seinen leiblichen Eltern oder deren näheren Verwandten einen stpfl. Erwerb erhält oder wenn umgekehrt die früheren oder neuen Verwandten von dem Adoptivkind einen stpfl. Erwerb erhalten.

Diese Doppelbegünstigung lässt sich damit rechtfertigen, dass erbschaftsteuerlich das durch die Annahme als Kind erloschene Verhältnis zu den leiblichen Verwandten dem kraft Gesetz entstandenen Verwandtschaftsverhältnis zu dem Annehmenden und dessen Verwandten für die Zuordnung des Erwerbers zu einer Steuerklasse gleichzustellen ist.

 

Rz. 58

Die (analoge) Anwendung von § 15 Abs. 1a ErbStG auf einen Erwerber, dessen Verwandtschaftsverhältnis zum Erblasser durch eine Annahme als Kind begründet ist und noch vor Eintritt des Erbfalls durch Aufhebung des Annahmeverhältnisses wieder erlischt, ist nach Ansicht des BFH vom 17.03.2010 (BStBl II 2010, 554) aus erbschaftsteuerrechtlicher Sicht nicht zwingend geboten. Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, die durch Aufhebung der Adoption erloschenen Verwandtschaftsverhältnisse hinsichtlich der Steuerklasse ebenso zu behandeln wie Verwandtschaftsbeziehungen zu den leiblichen Verwandten, die nach § 1755 Abs. 1 BGB durch die Annahme als Kind erlöschen. Allein ein möglicherweise weiter bestehendes persönliches Verhältnis des ehemaligen Adoptivkindes zu seinen früheren Adoptiveltern reicht hierfür nicht aus.

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