Rz. 111

Die Freistellung entfällt rückwirkend in voller Höhe, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren (gerechnet ab dem Todestag) nach dem Erwerb nicht mehr selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen (s. Rn. 96 ff.) an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert.

Gründe für die Aufgabe der Selbstnutzung können z. B. sein:

  • Auszug und Leerstand der Wohnung,
  • Auszug und Verkauf der Wohnung,
  • Auszug und Vermietung der Wohnung,
  • Verlagerung des Lebensmittelpunktes.

Schädlich ist ein Verkauf oder eine Vermietung des Familienheims oder von Teilen davon oder ein längerer Leerstand. Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken ist wohl noch gegeben, wenn der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner, zum Beispiel als Berufspendler, mehrere Wohnsitze hat, das Familienheim aber seinen Lebensmittelpunkt bildet.

 
Praxis-Beispiel

Ehemann A war Alleineigentümer eines Einfamilienhauses, das er zusammen mit seiner Ehefrau bewohnt hat. Mit dem Tode des A ging die Wohnung auf seine Ehefrau B als Alleinerbin über. B nutzte die Wohnung zunächst weiterhin zu eigenen Wohnzwecken. Nach sechs Jahren zieht Frau B zu ihrem Sohn und verkauft die geerbte Wohnung.

Lösung:

Das Einfamilienhaus war zunächst von der Erbschaftsteuer freigestellt. Mit Beendigung der Selbstnutzung entfällt die Befreiung für die Vergangenheit.

 

Rz. 112

Die Steuerbefreiung bei Erwerben von Todes wegen entfällt nach Ansicht der Finanzverwaltung, wenn das Familienheim innerhalb der zehnjährigen Behaltensfrist unter Nutzungsvorbehalt zugunsten des ursprünglichen Erwerbers an Dritte entgeltlich übertragen wird. Damit wird innerhalb des Behaltenszeitraums Eigentum vorausgesetzt, ein beim Erwerber verbleibendes Nutzungsrecht ist nicht ausreichend (s. BFH vom 11.07.2019, BStBl II 2020, 314). Die gleiche Thematik stellt sich bei der unentgeltlichen Übertragung des Familienheims an dritte Personen (z. B. Kinder), bei der dem Ehegatten/Lebenspartner weiterhin die Selbstnutzung ermöglicht wird. Kritisch ist auch die Aufgabe des Lebensmittelpunktes zu sehen, z. B. wenn aufgrund äußerer Umstände das Familienheim künftig lediglich als Zweitwohnsitz genutzt wird (s. Kobor in F/P/W, § 13 Rn. 39).

Dagegen sind die nachfolgenden Veränderungen am Grundstück – durch die der Nutzungsumfang als Familienheim nicht vermindert wird – steuerlich unschädlich:

  • Dachgeschossausbau, Aufstockung, Anbau;
  • Verkauf oder Schenkung einer unbebauten Teilfläche;
  • Begründung von Wohneigentum.
 

Rz. 113

Die Steuerbefreiung entfällt bei Verstoß gegen diese zehnjährige Behaltensfrist (stichtagsgenau ab dem Erbfall) rückwirkend in voller Höhe. Ein ggf. gekürzter Schuldenabzug nach § 10 Abs. 6 ErbStG (dazu s. § 10 Rn. 275) lebt wieder auf. Der Erwerber ist zur Anzeige nach § 153 Abs. 2 AO verpflichtet, der Steuerbescheid wird nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aufgrund des insoweit rückwirkenden Ereignisses geändert oder erstmals erlassen. Wird nur ein Teil des begünstigten Objekts schädlich verwendet – z. B. das Gebäude in Wohnungseigentum aufgeteilt und eines davon veräußert – dürfte die Befreiung für den weiterhin genutzten Teil erhalten bleiben.

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