Rz. 106

Die begünstige Wohnung muss zusätzlich zur Nutzung des Erblassers auch vom begünstigten Erwerber – ggf. weiterhin – zu eigenen Wohnzwecken genutzt werden und seinen Lebensmittelpunkt darstellen. Voraussetzung ist vor allem, dass der Erwerber die Wohnung unverzüglich (nach dem Erwerb) selbst nutzt. Dies ist unstreitig, wenn die Ehegatten bereits zu Lebzeiten die Wohnung als Lebensmittelpunkt genutzt haben und dies nach dem Todesfall zumindest beim überlebenden Ehegatten (Alleinerbe) so bleibt.

 

Rz. 107

Anders ist es, wenn zwingende Gründe für eine Nichtnutzung durch den Erblasser vorlagen und deswegen bspw. die Wohnung vor dem Ableben des Erblassers vermietet wurde. Ausreichend soll es für den Erhalt der Steuerbefreiung sein, wenn der Erwerber unverzüglich alles in seiner Macht stehende veranlasst, um in die Wohnung einziehen zu können ("ohne schuldhaftes Zögern", s. R E 13.4 Abs. 2 Satz 4 ErbStR). Insb. sollte er einem Mieter schnellstmöglich kündigen. Dass sich die Räumung der Wohnung dann hinzieht und die Wohnung vor Einzug ggf. noch renoviert werden muss, sollte der Steuerfreiheit nicht entgegenstehen. Die Rechtsprechung hat zwischenzeitlich bestätigt, dass der Erwerber innerhalb einer angemessenen Zeit nach dem Erbfall die Absicht zur Selbstnutzung der Wohnung fassen und durch den Einzug in die Wohnung tatsächlich umsetzen muss (BFH vom 23.06.2015, BStBl II 2016, 225). Die Absicht des Erwerbers zur Selbstnutzung des Hauses lässt sich als eine innere Tatsache nur anhand äußerer Umstände feststellen. Dies erfordert, dass der Erwerber in die Wohnung einzieht und sie als Familienheim für eigene Wohnzwecke nutzt. Unverzüglich erfolgt eine Handlung lt. BFH nur, wenn sie innerhalb einer nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungszeit vorgenommen wird. Im entschiedenen Fall erschien dem Gericht ein Zeitraum von bis zu sechs Monaten nach dem Erbfall als ausreichend. Würde die Selbstnutzung der Wohnung erst nach Ablauf von sechs Monaten aufgenommen, kann zwar ebenfalls eine unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung vorliegen (s. BFH vom 28.05.2019, BStBl II 2019, 678). Allerdings muss der Erwerber dann glaubhaft darlegen, zu welchem Zeitpunkt er sich zur Selbstnutzung der Wohnung für eigene Wohnzwecke entschlossen hat, aus welchen Gründen ein tatsächlicher Einzug in die Wohnung nicht früher möglich war und warum er diese Gründe nicht zu vertreten hat (s. auch FG Düsseldorf vom 10.03.2021, EFG 2021, 864, BFH-Rev.: II R 6/21). Solche Gründe können bspw. vorliegen, wenn sich der Einzug wegen einer Erbauseinandersetzung zwischen Miterben oder wegen der Klärung von Fragen zum Erbanfall und zu den begünstigten Erwerbern über den Sechsmonatszeitraum hinaus um einige weitere Monate verzögert. Umstände im Einflussbereich des begünstigten Erwerbers (d. h. Gründe, die der Entscheidungsgewalt des Erwerbers unterliegen), die nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums zu einer längeren Verzögerung des Einzugs führen, sollen nur unter besonderen Voraussetzungen nicht dem Erwerber anzulasten sein. Das kann bspw. der Fall sein, wenn sich die Renovierung deshalb länger hinzieht, weil nach Beginn der Arbeiten ein gravierender Mangel der Wohnung entdeckt wird, der vor dem Einzug beseitigt werden muss. Je größer der zeitliche Abstand zwischen dem Erbfall und dem tatsächlichen Einzug des Erwerbers in die Wohnung ist, umso höhere Anforderungen sind lt. BFH an die Darlegung des Erwerbers und seine Gründe für die verzögerte Nutzung der Wohnung für eigene Wohnzwecke zu stellen. Eine erstmalige Nutzung als Hauptwohnsitz mehr als 14 Monate nach dem Erbfall stellt lt. einer Entscheidung des FG Hessen vom 20.07.2015 (ZEV 2016, 55) keine unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung mehr dar. Fraglich ist auch die Nutzung einer an das Heim des Erwerbers angrenzenden Doppelhaushälfte des Erblassers, wenn der Erwerber nach dem Erbfall und während der Durchführung einer Renovierung davon bereits Teile wie den Keller, das Dachgeschoss oder den Garten selbst nutzt (s. FG Münster vom 24.10.2019, EFG 2020, 214, BFH-Rev.: II R 46/19).

 
Praxis-Beispiel

Der Ehemann war Alleineigentümer einer Eigentumswohnung, die er zusammen mit seiner Ehefrau bewohnt hat. Zwei Jahre vor seinem Tod kommt der Ehemann in ein Pflegeheim, in das auch seine Ehefrau zwecks liebevoller Betreuung des langjährigen Partners umzieht.

  1. Die Ehegatten lassen die Wohnung leer stehen. Nach dem Tod des Ehemannes zieht die Ehefrau (Alleinerbin) wieder in die Wohnung ein.
  2. Die Ehegatten vermieten die Wohnung in dieser Zeit. Nach dem Tod des Ehemannes und dem Auszug der Mieter zieht die Ehefrau (Alleinerbin) wieder in die Wohnung ein.
  3. Die Ehegatten vermieten die Wohnung in dieser Zeit. Beim Ableben des Ehemannes ist die überlebende Ehefrau (Alleinerbin) selbst pflegebedürftig und kann daher nicht wieder in die Wohnung einziehen.

Lösung:

  1. Der Erwerb der Eigentumswohnung durch die Ehefrau ist von der Erbschaftsteuer freigestellt. Der Wohnungsleerstand ist unschädlich fü...

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