Rz. 159

Der RFH hat in ständiger Rechtsprechung, beginnend mit einem Urteil von 1933 (RStBl 1934, 295) die Erbauseinandersetzung als letzten Bestandteil eines einheitlichen privaten (und damit unentgeltlichen) Erbvorgangs betrachtet (sog. Einheitsbetrachtung). Die Folge war, dass die Auseinandersetzung der Miterbengemeinschaft einkommensteuerrechtlich irrelevant war.

Seit dem Jahre 1957 hat der BFH vorübergehend – zur Auseinandersetzung von Privatvermögen – die Einzelübertragung als entgeltlichen Vorgang behandelt, wobei dieser Entgeltstatbestand sogar über die Abfindungen hinaus ausgedehnt wurde (s. BFH vom 06.12.1957, BStBl 1958, 33).

 

Rz. 160

Für den betrieblichen Teil kehrte der BFH am 16.08.1962 (BStBl III 1963, 480) für weitere zweieinhalb Jahrzehnte zur Einheitsbetrachtung des RFH zurück und der einzelne Miterbe wurde nach der Auseinandersetzung als unmittelbarer Nachfolger des Erblassers angesehen. Für den Regelfall der "schlichten" Miterbengemeinschaft wurden die Miterben nicht als Mitunternehmer behandelt. Erst 1976 hat der BFH diese Rspr. auf das Privatvermögen übertragen (s. BFH vom 02.12.1976, BStBl II 1977, 209).

 

Rz. 161

Widersprüchlich wurde das Konzept mit einem BFH-Urteil vom 24.04.1974 (BStBl II 1975, 580), als dem Miterben einer "schlichten" (d. h. auseinandergesetzten) Miterbengemeinschaft zwar laufende gewerbliche Einkünfte nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG zugewiesen wurden (kein Regelfall), dieser aber als weichender Erbe bei Abfindungszahlungen keinen Veräußerungsgewinn nach § 16 EStG zu versteuern hatte.

 

Rz. 162

Eine erste – von den Auswirkungen noch unproblematische – Kehrtwendung trat mit einem Urteil aus dem Jahre 1985 (s. BFH vom 09.07.1985, BStBl II 1985, 722) ein, als der IX. Senat für das Privatvermögen die These von der Unentgeltlichkeit der Abfindungszahlungen aufgab und diese als Aufwendungen für den Erwerb des Alleineigentums deklarierte. Diese – als "Abfindungs-Rechtsprechung" in der Literatur bezeichnete – neue Betrachtungsweise brachte allenfalls für den Erwerber erhöhtes AfA-Potenzial mit sich, ohne für den weichenden Erben zu Steuerfolgen (Privatvermögen) zu führen.

 

Rz. 163

Damit war jedoch der Boden bereitet für den Beschluss des Großen Senats am 05.07.1990 (BStBl II 1990, 837), in dem in Fällen von übertragenem Betriebsvermögen eine Gleichbehandlung von Privat- und Betriebsvermögen eingefordert wurde und vor allem – konform mit dem Erbrecht – künftig von zwei verschiedenen Vorgängen ausgegangen werden sollte.

 

Rz. 164

Diese vom vorlegenden VIII. Senat formulierte Trennungstheorie wurde vom Großen Senat übernommen: Erbfall und Erbauseinandersetzung sind danach zwei getrennte Vorgänge und stellen keine rechtliche Einheit dar (1. Petitum). Weitere Folge ist, dass die Miterben in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit selbständig je einen Einkünftetatbestand erfüllen. Gehört folglich zum Nachlass ein Betrieb, so sind die Miterben als "geborene Mitunternehmer" nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusehen. Es gibt danach keinen Unterschied mehr zwischen "schlichter" und fortgesetzter Miterbengemeinschaft.

 

Rz. 165

Im zweiten, schwierigeren Teil der Entscheidung hat der Große Senat die Erbauseinandersetzung aus dem Rechtsinstitut der Realteilung entwickelt. Dabei sind zwei Phasen zu unterscheiden:

  1. Die Trennung des einzelnen Miterben von der Miterbengemeinschaft mit Vermögensübertragung wird als rechtsgeschäftliche Loslösung behandelt (mit den Folgen des § 16 Abs. 1 Nr. 2 bzw. des § 6 Abs. 3 EStG im betrieblichen Bereich und des § 11d EStDV bei Privatvermögen).
  2. Für die im Fall unterschiedlicher Teilungsmassen anfallende Ausgleichszahlung (sog. "Spitzenausgleich") sieht der BFH nur in dem "Mehr-Betrag", der geleistet wird, einen Anschaffungstatbestand. Für den "Sockel-Tatbestand" der getrennt zugewiesenen Wirtschaftsgüter ohne Ausgleichszahlung wird nach BFH-Auffassung nur der gesetzliche Auseinandersetzungsanspruch nach § 2042 BGB "konkretisiert" und es liegt insoweit keine Veräußerung/Anschaffung vor.
 

Rz. 166

Von besonderer Bedeutung war nun, dass es der BFH zuließ, dass in den gespaltenen Abrechnungsvorgang Verbindlichkeiten einbezogen werden konnten, ohne dass daraus ein Entgeltstatbestand wurde (anders als bei der vorweggenommenen Erbfolge, bei der ein Ausgleich mit privaten Schulden erfolgt).

Mit zwei Entscheidungen aus den Jahren 1998 (s. BFH vom 04.11.1998, BStBl II 1999, 291 und BFH vom 04.05.2000, DB 2000, 1308) schien der IV. Senat des BFH das Rad wieder zurückdrehen zu wollen und deutet zumindest bei einer aufgrund einer Teilungsanordnung (ohne Ausgleichsverpflichtung) beruhenden Erbauseinandersetzung eine Rückbeziehung auf den Erbfall an. Von Bedeutung ist dabei, dass der BFH den von der Verwaltung für eine zulässige Rückwirkung geöffneten Zeitkorridor von sechs Monaten (s. BMF zur Erbauseinandersetzung vom 11.10.1993, BStBl I 1993, 62, Tz. 8) deutlich überzieht; im Urteil betrug der Zeitraum zwischen Erbfall und Auseinandersetzung zwei Jahre und drei Monate. Hierauf hat die Verwaltun...

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