Rz. 17

Vorweggenommene Erbfolgen haben in der Beratungspraxis ein weites Anwendungsfeld (einen guten historischen Überblick aus ertragsteuerlicher Sicht gibt Geck, ZEV 2018, 571 und aus gesellschaftsrechtlicher Sicht von Oertzen, ZEV 2018, 557). Gleichwohl fehlt es an einer speziellen gesetzlichen Regelung (s. Risthaus, DB 2007, 240). In jüngerer Vergangenheit verstärkt in die Diskussion gekommen ist insbesondere die einkommensteuerliche Behandlung von Übergabeverträgen, speziell die Besteuerung und Abzugsfähigkeit der Versorgungszahlungen des Erwerbers an den Abgeber. Auch der Große Senat des BFH hat hierzu zweimal Stellung genommen (BFH GrS vom 05.07.1990, BStBl II 1990, 847; GrS vom 12.05.2003, BStBl II 2004, 95), was die Finanzverwaltung zu den BMF-Schreiben vom 23.12.1996 (BStBl I 1996, 1508), vom 30.10.1998 (BStBl I 1998, 21), vom 26.08.2002 (BStBl I 2002, 893), vom 16.09.2004 (BStBl I 2004, 922; Rentenerlass III) und vom 11.03.2010 (BStBl I 2010, 227; Rentenerlass IV) veranlasste. Hinzuweisen ist auf das zurzeit beim BFH anhängige Verfahren IX R 11/19, zu dem mit Beschluss vom 28.04.2020 (DB 2020, 1441) das BMF zum Beitritt aufgefordert wurde. Insoweit zeichnet sich in Randbereichen ggf. eine abweichende BFH-Auffassung zum Rentenerlass IV, insb. Rn. 57 und Rn. 65, ab.

Einzelheiten zur ertragsteuerlichen Behandlung der vorweggenommenen Erbfolge im Zusammenspiel mit schenkungsteuerlichen Aspekten s. Rn. 801 ff.

 

Rz. 18

Unter dem Begriff der vorweggenommenen Erbfolge wird zivilrechtlich die Übertragung des Vermögens oder eines wesentlichen Teils davon durch den künftigen Erblasser auf einen oder mehrere als künftige Erben in Aussicht genommene Empfänger verstanden (BFH vom 08.12.1993, BFH/NV 1994, 373). Die vorweggenommene Erbfolge stellt daher keinen selbständigen Vertragstyp dar, sondern eine vertragliche Übergaberegelung, die zivilrechtlich als Schenkung, gemischte Schenkung oder Schenkung unter Auflage ausgestaltet ist. Was eine Schenkung zu einer Schenkung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge macht, ist lediglich die Motivationslage. Diese besteht bei einer Schenkung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge in der Vornahme einer Nachfolgeregelung, wie sie auch im Erbfall vorgenommen würde, allerdings bereits zu Lebzeiten des (potentiellen) Erblassers. Insoweit ist für die Schenkung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erforderlich, dass die Vermögensübertragung einem Vermögensübergang durch Erbfall materiell-rechtlich vergleichbar ist, was regelmäßig die endgültige Entreicherung des Zuwendenden ohne Rückfallmöglichkeit erfordert (BFH vom 25.01.2001, BStBl II 2001, 414).

 

Rz. 19

Der Umstand, dass die Vermögensübertragung aus der Motivation der Durchführung einer vorzeitigen Erbfolge entspringt, ebenso wie die Tatsache, dass die Vermögensübertragung den späteren Erwerb aus dem Nachlass schmälert, ist für die Beurteilung der vorweggenommenen Erbfolge als Schenkung ohne Belang. Insoweit sind die allgemeinen schenkungsteuerrechtlichen Grundsätze anwendbar mit der Folge, dass freigebige Zuwendungen im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge steuerpflichtig sind, wenn die Vermögensübertragung unentgeltlich oder teilentgeltlich geschieht. Ausnahmsweise, nämlich dann, wenn die Übertragung (im Wege der vorweggenommenen Erbfolge) vollentgeltlich erfolgt, unterfällt der Vorgang nicht der Schenkungsteuer. Dann liegt allerdings auch keine vorweggenommene Erbfolge im eigentlichen Sinne vor (s. Rn. 801). Erforderlich für eine vollentgeltliche Übertragung ist allerdings, dass die Gegenleistung nach kaufmännischen Gesichtspunkten abgewogen wurde.

 

Rz. 20

Eine Sonderform der vorweggenommenen Erbfolge stellen Zuwendungen im Rahmen eines so genannten Übergabevertrages (§ 593a BGB) dar. Diese werden steuerrechtlich auch als Vermögensübergaben oder Versorgungsverträge bezeichnet (s. Risthaus, DB 2007, 240, 241). Dabei handelt es sich regelmäßig um die Übertragung von Betriebs- oder Grundvermögen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge gegen Versorgungszahlungen an den Übertragenden bzw. dessen ihn überlebenden Ehegatten, die als Rente oder dauernde Last ausgestaltet werden. Schenkungsteuerlich liegt insoweit eine gemischt-freigebige Zuwendung oder eine freigebige Zuwendung unter Auflage vor, die nach den allgemeinen schenkungsteuerlichen Grundsätzen zu behandeln ist. Einkommensteuerlich ist selbst dann von einem unentgeltlichen Vorgang auszugehen, wenn der Vermögensübernehmer für eine existenzsichernde Wirtschaftseinheit i. S. d. § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG Versorgungsleistungen an den Übergeber zahlt. Zu weiteren Einzelheiten zur einkommensteuerlichen Behandlung der Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen s. Rn. 850 ff.

 

Rz. 21

Sind Abstandszahlungen an den Übergeber oder dessen Ehegatten oder Gleichstellungszahlungen an andere erbberechtigte Personen (z. B. Geschwister des Übernehmers) zu leisten, liegt einkommensteuerlich eine teilentgeltliche Übertragung vor. Schenkungsteuerlich handelt es sich um eine gemischt-freigebige Zu...

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