Rz. 12

Das Internationale Erbrecht ist Teil des Internationalen Privatrechts. Wie vorstehend ausgeführt, existiert abgesehen von der EU-ErbVO kein einheitliches internationales Erbrecht für alle Staaten. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts wird daher in jedem Staat nach den eigenen innerstaatlichen oder abkommensrechtlichen Normen bestimmt. Kommt es zu einem Rechtsstreit, kann das vom Gericht bestimmte anwendbare Recht, abhängig von dem Ort, an dem der Rechtsstreit geführt wird, unterschiedlich sein. Derartige Fragestellungen sind bei der Betreuung von Fällen mit Auslandsberührung zu berücksichtigen. Es ist nicht ausreichend, einen Sachverhalt aus der Sicht einer Rechtsordnung, z. B. der deutschen, zu untersuchen. Vielmehr muss die Prüfung auch aus Sicht der beteiligten ausländischen Rechtsordnungen erfolgen.

4.1 Aufbau von Kollisionsnormen

 

Rz. 13

Zum Verständnis der Anwendung der kollisionsrechtlichen Vorschriften ist deren Aufbau zu beleuchten. Eine Kollisionsnorm setzt sich aus Tatbestand und Rechtsfolge zusammen. Diese Rechtsfolge bezeichnet das anwendbare Recht. Auf der Tatbestandsseite enthält die Kollisionsnorm einen Anknüpfungsgegenstand, der ein abstrakt umschriebenes Rechtsgebiet (z. B. Art. 21 EU-ErbVO: Rechtsnachfolge v. T. w.) bezeichnet und einen Anknüpfungspunkt (Art. 21 EU-ErbVO: gewöhnlicher Aufenthalt), der die Verbindung zwischen der anwendbaren Rechtsordnung und dem Anknüpfungsgegenstand herstellt.

 

Rz. 14

Der Anknüpfungsgegenstand definiert den Anwendungsbereich der Kollisionsnorm und bestimmt somit die maßgebliche Kollisionsnorm. Er fasst Sachverhaltsgruppen bzw. Rechtsfragen unter einem Sammelbegriff zusammen. Der Begriff der Qualifikation bezeichnet die Zuordnung der Rechtsfrage zu einer bestimmten Kollisionsnorm. Für die Formvoraussetzungen der Verfügungen v. T. w. gelten Besonderheiten. Üblicherweise regelt das deutsche materielle Erbrecht, welche Formen eingehalten werden müssen. Im Internationalen Erbrecht geht diese Gleichung nicht (gänzlich) auf: Die Formgültigkeit einer letztwilligen Verfügung kann gesonderten Regeln unterliegen und ist vom anwendbaren materiellen Erbrecht grds. zu trennen. Eine wichtige Rolle spielt das Haager Testamentsformabkommen, welches in den Mitgliedstaaten des Abkommens der EU-ErbVO vorgeht, Art. 75 Abs. 1 EU-ErbVO. Im Übrigen wurden Vorgaben zur Form inhaltlich in Art. 27 und 28 EU-ErbVO aufgenommen. Weitaus schwieriger kann es aber werden, wenn das Testament Wirkungen in einem Staat entfalten soll, der nicht Vertragsstaat des Haager Testamentsabkommens und der EU-ErbVO ist. Hierbei wird es oftmals nötig sein, neben den deutschen Formvorschriften die Formanforderungen des ausländischen Kollisionsrechts zu ­wahren.

 

Beispiel:

Art. 21 EU-ErbVO regelt zwar das Erbstatut, d. h. das auf einen Erbfall anwendbare Recht, nicht jedoch die Frage, welche Formvorschriften ein Testament zu erfüllen hat. Diese Frage regelt Art. 27 EU-ErbVO.

4.2 Qualifikation

 

Rz. 15

Die Qualifikation kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Dies gilt auch im Bereich des nationalen Rechts. So kann eine Rechtsfrage Systembegriffe unterschiedlicher Kollisionsnormen berühren. Beispiele hierfür sind die Vererbung von Gesellschaftsanteilen von PersG, die gesellschaftsrechtlich abweichend von der erbrechtlichen Verfügung erfolgen kann, die pauschale Abgeltung des Zugewinns gem. § 1371 Abs. 1 BGB, bei der lange ungeklärt war, ob die Regelung güterrechtlichen oder erbrechtlichen Charakter hat, oder Verfügungen zu Lebzeiten des EL auf den Todesfall.

 

Rz. 16

Problematisch ist aber oftmals die Qualifikation ausländischer Rechtsinstitute, wenn es diese im nationalen Recht nicht gibt. Hier ist im Erbrecht insb. die Qualifikation des Rechtsinstituts des Trusts zu nennen. Auch kann es Probleme bereiten, dass ein ausländischer Staat eine vergleichbare Funktion erfüllende Institute systematisch vom inländischen Recht unterschiedlich regelt, z. B. Noterbrechte oder Unterhaltsansprüche gegen den Nachlass. So stellt sich bei einem Unterhaltsanspruch gegen den Nachlass die Frage, ob dieser unter das Erbstatut fällt oder unterhaltsrechtlich zu qualifizieren ist.

In der EU-ErbVO finden sich in der Negativliste des Art. 1 Abs. 2 EU-ErbVO und der Positivliste des Art. 23 Abs. 1 EU-ErbVO Anhaltspunkte für die Qualifikation einzelner Fragen.

4.3 Anknüpfung

 

Rz. 17

Ist die maßgebliche Kollisionsnorm i. R. d. Qualifikation bestimmt, ist mithilfe des Anknüpfungspunktes das anwendbare Recht zu bestimmen. Gängige Anhaltspunkte sind die Staatsangehörigkeit, der Wohnsitz, der (gewöhnliche oder schlichte) Aufenthalt (im anglo-amerikanischen Rechtskreis das Domicile, das jedoch begrifflich nicht genau dem gewöhnlichen Aufenthalt entspricht), die Belegenheit einer Sache oder der Ort einer Handlung.

 

Rz. 18

Nach altem Recht war Anknüpfungspunkt für das Erbstatut gem. Art. 25 EGBGB das Recht der Staatsangehörigkeit des EL. Seit Geltung der EU-ErbVO ist Anknüpfungspunkt dagegen gem. Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO grds. das Recht des Staates, in dem der EL zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnliche...

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