Schrifttum

Gehm, Die Aussetzung des Steuerstrafverfahrens gemäß § 396 AO, NZWiSt 2012, 244;

Eckart, Zu divergierenden Entscheidungen in streitidentischen Straf- und Steuerverfahren, wistra 2016, 59;

Tormöhlen, Aussetzung des Strafverfahrens nach § 396 AO – Ermessensentscheidung bei steuerrechtlich ungeklärten bzw. höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Fragen, AO-StB 2016, 238.

 

Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen im Besteuerungsverfahren einerseits und im Steuerstrafverfahren andererseits kann das Strafverfahren ausgesetzt werden, bis das Besteuerungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, d. h. eine mit ordentlichen Rechtsbehelfen nicht mehr anfechtbare Entscheidung vorliegt. Voraussetzung ist, dass die Beurteilung der Tat unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Steuerhinterziehung (s. § 370 AO) dem Grunde nach davon abhängt, ob ein Steueranspruch besteht, ob Steuern verkürzt (s. § 370 AO Rz. 22 ff.) oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt worden sind (s. § 370 AO Rz. 41 ff.). Hingegen kommt eine Aussetzung nicht in Betracht, soweit die Beurteilung der Tat von der Höhe der Steuerverkürzung bzw. des nicht gerechtfertigten Steuervorteils abhängt. Diese Regelung erklärt sich aus den unterschiedlichen Beweisgrundsätzen der beiden Verfahrensarten. Da die im Strafverfahren zu treffenden Feststellungen (in dubio pro reo) Sicherheit oder wenigstens einen an Sicherheit grenzenden hohen Grad von Wahrscheinlichkeit erfordern, ist insbes. für die Übernahme von im Besteuerungsverfahren zulässigen Schätzungen von Mengen und Werten im Strafverfahren nur bedingt Raum (s. vor § 385 AO Rz. 5 ff.). Daher hat der Strafrichter über den Umfang einer Steuerverkürzung bzw. eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils selbstständig zu entscheiden. Er darf seiner Entscheidung als verkürzt nur einen solchen Betrag zugrunde legen, zu dem er in Anwendung der Beweisgrundsätze des ordentlichen Strafverfahrens gelangt ist. Ist das geschehen, ist eine später ergehende abweichende Entscheidung im Besteuerungsverfahren kein Wiederaufnahmegrund für das Strafverfahren wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel i. S. des § 359 Nr. 5 StPO (OLG Zweibrücken v. 14.09.2009, 1 Ws 108/09, wistra 2009, 488, Anm. Weidemann, wistra 2010, 198).

 

Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Tatsache, dass wegen der Verfassungsmäßigkeit des Steueranspruchs ein Normenkontrollverfahren beim BVerfG anhängig ist, hindert an der Entscheidung in der Sache (a. A. BayObLG v. 11.03.2003, 4 St RR 7/2003, wistra 2003, 315, m. w. N.). Für den Fall der später festgestellten Nichtigkeit der Norm kann der Betroffene nicht auf den Weg des Wiederaufnahmeverfahrens verwiesen werden (BVerfG v. 08.11.2006, 2 BvR 620/03, wistra 2007, 60, 62; s. auch § 370 AO Rz. 25). Das Strafgericht muss die Sache entweder ebenfalls nach Art. 100 GG dem BVerfG zur Entscheidung vorlegen oder das Verfahren nach § 396 AO aussetzen. Die Staatsanwaltschaft bzw. Strafsachenstelle hat nur die Möglichkeit der Verfahrensaussetzung, weil Art. 100 Abs. 1 GG nur die Gerichte anspricht.

 

Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Ungewissheiten hinsichtlich des Umfanges einer Steuerverkürzung können nicht zum Anlass für eine Aussetzung des Strafverfahrens genommen werden. Auch wenn die Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren erklärt, dass sie ihrerseits den Ausgang des Strafverfahrens abwarten wolle, kommt eine Aussetzung nicht in Betracht (BGH v. 01.08.1962, 4 StR 209/62, NJW 1962 2070). Damit hat eine Aussetzung des Einspruchsverfahrens nach § 363 AO oder des Klageverfahrens nach § 74 FGO Vorrang, weil mit einer Entscheidung im Besteuerungsverfahren zunächst nicht zu rechnen ist (zur Übernahme strafrichterlicher Feststellungen in das Besteuerungsverfahren s. BFH v. 13.07.1994, I R 112/93, BStBl II 1995, 198). Ebenso kommt eine Aussetzung nicht in Betracht, wenn unterschiedliche Auffassungen in der steuerlichen Literatur bestehen (BVerfG v. 15.10.1990, 2 BvR 385/86, INF 1991, 45).

 

Tz. 4

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Aussetzung kann schon im Ermittlungsverfahren angeordnet werden. Damit will das Gesetz verhindern, dass das Strafverfahren trotz bestehender Ungewissheiten über die ihm zugrunde liegenden Besteuerungsmerkmale durch das Ermittlungsverfahren hindurchgeschleppt wird und eine Aussetzung erst nach Erhebung der öffentlichen Klage durch das Gericht erfolgt. Diese Befugnis hat auch die Finanzbehörde, wenn sie das Ermittlungsverfahren selbstständig führt (s. § 399 AO).

 

Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Entscheidung über die Aussetzung des Strafverfahrens liegt im pflichtmäßigen Ermessen des Gerichts bzw. der zuständigen Behörde (BVerfG v. 04.04.1985, 2 BvR 107/85, HFR 1986, 381; BVerfG v. 15.04.1985, 2 BvR 405/85, wistra 1985, 147). Abzuwägen ist das Interesse des Beschuldigten an einer raschen Entscheidung seines Falles mit dem Interesse der Allgemeinheit an größtmöglicher Richtigkeit der Entscheidung und an der Vermeidung widersprüchlicher E...

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