A. Allgemeines

 

Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Vorschrift gewährt zugunsten der Stpfl. einen Anspruch auf Verzinsung von Erstattungsbeträgen. Bei allen in Frage kommenden Tatbeständen handelt es sich um die Rückzahlung von Abgabenschulden nach Herabsetzung oder Aufhebung der dem Leistungsgebot zugrundeliegenden Festsetzung bzw. um die verspätete Gewährung früher entstandener Steuervergütungen. Hinsichtlich der Verzinsung des Rückzahlungsbetrags ist es ungenau, von einer Verzinsung des dem obsiegenden Kläger zustehenden Erstattungsanspruchs zu sprechen, weil der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO erst mit der Herabsetzung bzw. Aufhebung der Anspruchsfestsetzung (Wegfall des rechtlichen Grundes für die Entrichtung des Betrags) entsteht und eine Verzinsung eines noch nicht existierenden Anspruchs unserer Rechtsordnung fremd ist. Vielmehr handelt es sich um einen geldwerten Ausgleich für den Vermögensschaden, der dem obsiegenden Kläger dadurch erwachsen ist, dass er den Anspruch des Steuergläubigers ohne Rücksicht auf die von ihm im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Rechtmäßigkeit seiner Festsetzung erhobenen Einwendungen erfüllen musste (fehlender Suspensiveffekt des Rechtsbehelfs, s. § 361 Abs. 1 AO und § 69 Abs. 1 FGO; BFH v. 13.07.1994, I R 38/93, BStBl II 1995, 37). Dagegen handelt es sich im Falle der Steuervergütungen um "echte Prozesszinsen", die für die Zeit ab Rechtshängigkeit als Verzugsschaden wegen nachträglicher Festsetzung und Erfüllung eines schon vorher entstandenen Anspruchs gewährt werden (BFH v. 17.01.2007, X R 29/06, BFH/NV 2007, 942).

 

Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Eine höhere als die gesetzlich vorgesehene Verzinsung ist ausgeschlossen, da es sich bei § 236 AO um eine abschließende spezialgesetzliche Zinsregelung handelt (BFH v. 29.04.1997, VII R 91/96, BStBl II 1997, 476; BFH v. 23.06.2014, VIII B 75/13, BFH/NV 2014, 1713). Allerdings schließt die Vorschrift weitergehende Schadensersatz- und Folgenbeseitigungsansprüche nicht generell aus, da der Regelungsbereich des § 236 AO nur den durch die Kapitalüberlassung entstandenen Zinsschaden umfasst (gl. A. Loose in Tipke/Kruse, § 236 AO Rz. 2). Allerdings kommt eine entsprechende Anwendung auf vor Rechtshängigkeit entstandene Zinsnachteile nicht in Betracht (BFH v. 17.01.2007, X R 29/06, BFH/NV 2007, 942).

B. Anwendungsbereich

 

Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Gegenstand der Verzinsung sind nur (Steuer-)Beträge, die von der Finanzbehörde mit Rücksicht auf die ganz oder teilweise Aufhebung der Anspruchsfestsetzung zurückgezahlt werden müssen oder Steuervergütungen, die von ihr aufgrund einer Gerichtsentscheidung oder im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren entrichtet werden müssen, obwohl die frühere Festsetzung oder Entrichtung geboten gewesen wäre. Der Steuerbegriff entspricht dem des § 3 Abs. 1 AO, sodass auch Zölle und Abschöpfungen Gegenstand der Verzinsung sein können. Die Zinspflicht erstreckt sich auch auf Folgesteuern, wie z. B. die Kirchensteuer und den Solidaritätszuschlag (BFH v. 17.01.2007, X R 19/06, BFH/NV 2007, 855). Nicht in den Anwendungsbereich des § 236 AO fallen Steuererstattungsansprüche, die wegen einer Zahlung ohne rechtlichen Grund (z. B. Doppelzahlungen, Überzahlungen, überhöhter Steuereinbehaltung) oder die ohne Änderung einer Steuerfestsetzung erst aufgrund eines Rechtsstreits über einen Abrechnungsbescheid entstehen. In diesen Fällen fehlt es an einer Herabsetzung der festgesetzten Steuer (BFH v. 12.05.1987, VII R 203/83. BStBl II 1987, 702). Auch die Festsetzung einer "negativen Steuerschuld" bei der Umsatzsteuer (Überschuss der Vorsteuerabzugsbeträge) führt zu einem vergütungsähnlichen Anspruch des Berechtigten, der unter den übrigen in der Vorschrift normierten Voraussetzungen zu verzinsen ist. Auch Ansprüche auf Zahlung bzw. Erstattung von Wohnungsbau-, Spar- und Bergmannsprämien sowie Investitionszulagen fallen unter die Vorschrift, weil auf sie die Vorschriften über Steuervergütungen entsprechend anzuwenden sind (§ 8 Abs. 1 Satz 1 WoPG; § 12 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 2010).

 

Tz. 4

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Nicht unter die Vorschrift subsumiert werden können Beträge, deren Erstattung im Billigkeitswege erstritten wird (BFH v. 20.01.1999, IV B 40/98, BFH/NV 1999, 1055), Beträge, die wegen Aufhebung oder Herabsetzung eines Haftungsbescheids zu erstatten sind (BFH v. 25.07.1989, VII R 15/86, BStBl II 1989, 821; BFH v. 25.02.1997, VII R 39/86, BStBl II 1998, 2; BFH v. 23.08.2012, VI B 53/12, BFH/NV 2012, 1938) und kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung (§ 233 Satz 2 AO) die Ansprüche auf Rückzahlung entrichteter steuerlicher Nebenleistungen. Deshalb müssen auch erstrittene Zinsansprüche nicht verzinst werden.

 

Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Bei einer Klage auf marktordnungsrechtliche besondere Vergünstigungen fallen auch bei stattgebender Entscheidung keine Prozesszinsen an. § 14 Abs. 2 Satz 1 MOG enthält eine Rechtsgrundverweisung, sodass Prozesszinsen nur entstehen, wenn auch die Voraussetzungen des § 236 AO er...

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