A. Inhalt und Zweck der Vorschrift

 

Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Vorschrift stellt in Satz 1 klar, dass die Einleitung eines Einspruchsverfahrens oder die Durchführung eines Finanzprozesses die im Besteuerungsverfahren der Finanzbehörde zustehenden Befugnisse nicht beeinträchtigt. Soweit die Finanzbehörde nach den Vorschriften der AO für die Rücknahme, den Widerruf, die Aufhebung oder Änderung von Verwaltungsakten berechtigt oder verpflichtet ist, den Regelungsinhalt eines Verwaltungsakts ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit oder die Zukunft zu verändern, gilt dies auch nach Einlegung von außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfen.

B. Anwendungsbereich

 

Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 132 Satz 1 AO gilt trotz seiner systematischen Stellung für alle Steuerverwaltungsakte i. S. des § 118 AO, d. h. für Steuerbescheide und ihnen gleichgestellte Bescheide und für sonstige Verwaltungsakte, soweit auf sie die Korrekturregelungen der AO Anwendung finden. Als Verwaltungsakt, der unter § 132 AO fällt, ist auch die Einspruchsentscheidung anzusehen (§ 172 Abs. 1 Satz 2 AO); sie gibt dem ursprünglichen Verwaltungsakt lediglich einen anderen Inhalt (s. § 44 Abs. 2 FGO; s. von Wedelstädt in Gosch, § 132 AO Rz. 7). Für Zollverwaltungsakte gilt die Sonderregelung des Art. 23 Abs. 3 UZK, nach der die Korrekturen jederzeit – also auch während eines Rechtsbehelfsverfahrens – erfolgen können. Dagegen findet § 132 Satz 2 AO nur für sonstige Verwaltungsakte und nicht für Steuerbescheide und ihnen gleichgestellte Bescheide Anwendung (von Wedelstädt in Gosch, § 132 AO Rz. 4).

C. Korrektur des Verwaltungsaktes während des Einspruchsverfahrens oder finanzgerichtlichen Verfahrens (Satz 1)

 

Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Eine Korrektur des angefochtenen Steuerverwaltungsaktes ist nach § 132 Satz 1 AO auch im Einspruchsverfahren sowie während des finanzgerichtlichen Verfahrens zulässig, sodass eine nach dem Gesetz bestehende Änderungsmöglichkeit durch ein schwebendes finanzgerichtliches Verfahren nicht eingeschränkt wird (BFH v. 18.02.2016, V R 53/14, BFH/NV 2016, 869). Dies umfasst auch das Revisionsverfahren vor dem BFH. Daneben bleibt die umfassende Überprüfungsmöglichkeit der Finanzbehörde im Rechtsbehelfsverfahren nach § 367 Abs. 2 Satz 1 bestehen, sodass diese nicht an die Voraussetzungen der §§ 130ff. AO gebunden ist (BFH v. 10.03.2016, III R 2/15, BStBl II 2016, 508). § 132 Satz 1 AO gilt auch für die Fehlerberichtigung gem. § 129 AO. Diese ist "jederzeit" zulässig, also auch noch im Einspruchsverfahren und im Steuerprozess (s. § 129 AO Rz. 20), sodass es unerheblich ist, dass die Vorschrift den § 129 AO nicht ausdrücklich erwähnt.

 

Tz. 4

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Folgen der Korrektur im Rechtsbehelfs- oder Klageverfahren werden in § 132 Satz 1 AO nicht geregelt. Wird dem Rechtsbehelf abgeholfen, entfällt die Beschwer (§ 350 AO) bzw. die Klagebefugnis (§ 40 Abs. 2 FGO) und hat sich der Rechtsstreit erledigt. Erfolgt lediglich eine Teilabhilfe, wird der geänderte Bescheid Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens (§ 365 Abs. 3 AO) bzw. des Klageverfahrens (§ 68 FGO). Zur Kostentragung s. §§ 137f. FGO. Ein Widerruf oder eine Rücknahme können also dazu führen, dass der Betroffene eine Klage für erledigt erklären muss oder ein Einspruchsverfahren ohne Entscheidung endet (§ 367 Abs. 2 Satz 3 AO). Der Vertrauensschutz nach § 130 Abs. 2 und 3 AO sowie nach § 131 Abs. 2 AO wird durch die Einleitung eines Rechtsbehelfsverfahrens nicht eingeschränkt. Der "geänderte" Steuerverwaltungsakt wird zum Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens: § 365 Abs. 3 AO, § 68 FGO. Führt eine Änderung nach den allgemeinen Korrekturvorschriften zu einer Steuererhöhung, handelt es sich nicht um eine Verböserung i. S. des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO, es sei denn, die Festsetzungsfrist wird durch den Einspruch gem. § 171 Abs. 3a AO in ihrem Ablauf gehemmt (BFH v. 25.02.2009, IX R 24/08, BStBl II 2009, 587; s. § 367 AO Rz. 18).

D. Rücknahme und Widerruf eines Verwaltungsaktes mit Drittwirkung (Satz 2)

 

Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Nach § 132 Satz 2 AO stehen § 130 Abs. 2 und 3 AO und § 131 Abs. 2 und 3 AO der Rücknahme und dem Widerruf eines von einem Dritten angefochtenen begünstigenden Verwaltungsakts während des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens oder des finanzgerichtlichen Verfahrens nicht entgegen, soweit dadurch dem Begehren des Rechtsbehelfsführers entsprochen wird. Diese aus dem Verwaltungsverfahrensgesetz übernommene Regelung betrifft Verwaltungsakte, die sich (gegenläufig) auf mehrere Betroffene auswirken (sog. Verwaltungsakte mit Drittwirkung). Während im allgemeinen Verwaltungsrecht hierfür eine Reihe von Anwendungsfällen nahe liegen (z. B. Baugenehmigung), ist für das Steuerrecht die Bedeutung der Vorschrift äußerst gering. Steuerliche Verwaltungsakte mit Drittwirkung (z. B. Zurechnungsbescheide, einheitliche Feststellungsbescheide) sind in der Regel keine begünstigenden Verwaltungsakte und werden daher von § 132 Satz 2 AO nicht erfasst. Begünstigende Verwaltungsakte mit Doppelwirkung, d. h. unmittelbare belastende Wirkung gegen einen Dritten durch die Gewährung einer Vergünstigung für einen Betroffenen, kommen selten vor (zu ...

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