Tz. 8

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Entscheidungsgründe (§ 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO), deren Fehlen einen absoluten Revisionsgrund bildet (§ 119 Nr. 6 FGO), müssen die das Urteil tragenden Erwägungen darstellen, und zwar sowohl in tatsächlicher Hinsicht (§ 96 Abs. 1 Satz 3 FGO; s. BFH v. 25.05.1988, I R 225/82, BStBl II 1988, 944: nachvollziehbare Ableitung der tatrichterlichen Überzeugung aus den festgestellten Tatsachen und Umständen) wie in rechtlicher Hinsicht (Subsumtion). Die Beteiligten müssen in die Lage versetzt werden, die Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit zu überprüfen (BFH v. 02.03.2004, III B 114/03, BFH/NV 2004, 1109; BFH v. 05.08.2004, II B 159/02, BFH/NV 2004, 1665; BFH v. 30.07.2013, IV B 107/12, BFH/NV 2013, 1928 m. w. N.). Eine zu kurze, lücken- oder fehlerhafte Begründung stellt aber noch keinen Begründungsmangel dar, der revisionsrechtlich als Verfahrensfehler zu werten ist (BFH v. 11.05.2015, XI B 29/15, BFH/NV 2015, 1257). Die gesamten Erwägungen müssen die Entscheidung des Gerichts stützen. Alle wesentlichen prozessualen Fragen, auch die Gründe für eine Zurückweisung von Erklärungen und Beweismitteln (§§ 76 Abs. 3, 79b FGO) bzw. die Gründe, warum eine von den Beteiligten angeregte Beweisaufnahme vom Gericht nicht für erforderlich gehalten wurde, müssen ebenso in den Entscheidungsgründen abgehandelt werden wie die wesentlichen materiellrechtlichen Fragen. In den Entscheidungsgründen ist insbes. eine etwaige Beweiswürdigung vorzunehmen. Fehlen nach Durchführung einer Beweisaufnahme jegliche Ausführungen zur Beweiswürdigung, ist das Urteil "nicht mit Gründen versehen", es liegt ein absoluter Revisionsgrund i. S. von § 119 Nr. 6 FGO vor (BFH v. 20.05.1994, VI R 10/94, BStBl II 1994, 707; BFH v. 04.07.2006, X B 135/05, BFH/NV 2006, 1797; BFH v. 11.07.2012, X B 41/11, BFH/NV 2012, 1634). Die Begründungserfordernisse sind also letztlich ein Ausfluss des Rechts auf Gehör. Eine Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung ist möglich, wenn das FA zu allen vom Kläger im Klageverfahren vorgebrachten entscheidungserheblichen Einwendungen Stellung genommen hat (BFH v. 21.07.2017, X B 167/16, BFH/NV 2017, 1447).

 

Tz. 9

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Zur Begründung gehört allgemein auch die Angabe der entscheidungserheblichen Rechtsgrundlagen, das Fehlen begründet aber u. U. keinen Revisionsgrund, wenn die Entscheidung die maßgeblichen rechtlichen Ansätze wiedergibt. Eine Verpflichtung zu Zitaten aus Rspr. oder Literatur besteht nicht; sie können aber hilfreich sei, die Akzeptanz der Entscheidung zu fördern oder ggf. auch verdeutlichen, dass die Entscheidung von anderen Ansichten abweicht. Dies gilt insbes. bei Abweichungen von höchstrichterlicher Rspr.

 

Tz. 10

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Auch in den Entscheidungsgründen ist eine Bezugnahme nicht ausgeschlossen. So kann Bezug genommen werden auf ein zwischen den Beteiligten ergangenes Urteil, wenn dieses entweder bei Zustellung des Urteils bereits zugestellt war (BFH v. 26.06.1990, VII R 124/89, BFH/NV 1991, 463) oder gleichzeitig zugestellt wird (BFH v. 16.10.1986, II R 233/82, BFH/NV 1988, 425). Gleiches gilt für einen Beschluss über die Aussetzung der Vollziehung (BFH v. 24.10.2012, I B 140/12, BFH/NV 2013, 226). Wird auf eine nicht zwischen den Beteiligten ergangene Entscheidung Bezug genommen, so muss ihnen entweder vor Ergehen der Entscheidung ein neutralisierter Abdruck übergeben worden sein (BFH v. 04.12.1992, VI R 11/92, BStBl II 1993, 722) oder es muss ein solcher Abdruck beigefügt werden (BFH v. 30.09.1988, III R 27/87, BFH/NV 1989, 511) oder die Entscheidung muss vor Zustellung der Entscheidung bereits in einer allgemein zugänglichen Entscheidungssammlung (z. B. BFHE, BStBl, BFH/NV, EFG) veröffentlicht worden sein (BFH v. 17.10.1990, I R 177/87, BFH/NV 1992, 174); Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift genügt nicht (BFH v. 14.05.1992, V R 96/90, BStBl II 1992, 1040). Wird diejenige Entscheidung, auf die in den Entscheidungsgründen des Urteils Bezug genommen wird, erst später zugestellt (bzw. veröffentlicht), so ist das Urteil nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, § 119 Nr. 6 FGO), weil den Beteiligten für die Prüfung des Urteils die volle Rechtsmittelfrist zur Verfügung stehen muss (s. BFH v. 30.09.1988, III R 27/87, BFH/NV 1989, 511; BFH v. 31.07.1990, VII R 60/89, BStBl II 1990, 1071).

 

Tz. 11

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Zulässig ist auch eine alternative Urteilsbegründung, d. h. die Entscheidung kann auf mehrere unterschiedliche Aspekte gestützt werden, die aber jeweils für sich den Tenor tragen müssen. Solche Doppel- oder Mehrfachbegründungen sind in der Praxis nicht selten. Sie haben den Vorteil, dass die Beteiligten umfassend über die maßgeblichen Gesichtspunkte informiert werden. Insbes. dann, wenn die Beteiligten selbst mehrfache Begründungsansätze eingeführt haben, ist das Mittel der alternativen Begründung ein wichtiges Mittel zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens.

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